Marian Füssel / Philip Knäble / Nina Elsemann (Hgg.): Wissen und Wirtschaft. Expertenkulturen und Märkte vom 13. bis 18. Jahrhundert, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2017, 418 S., 6 s/w-Abb., eine Tabl., ISBN 978-3-525-30122-7, EUR 70,00
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Mit der Ausrichtung auf die Verbindung von Wissen und Wirtschaft, mithin der Definition von Ökonomie als einem Wissenssystem, das nicht alleine durch ökonomische, sondern erst durch die Einbeziehung epistemischer, kultureller und technischer Teilsysteme verstanden werden kann, berührt der vorliegende Band gleichermaßen die Wirtschaftskulturgeschichte wie die Wissensgeschichte der Wirtschaft. Die sehr heterogenen Fallstudien richten den Blick im weitesten Sinne auf solche ökonomischen Praktiken, die eng mit spezifischen Wissensformen verbunden sind. Sie verbindet zudem, dass sie Bereiche unter ökonomischen Gesichtspunkten als Märkte interpretieren, die in der Regel nicht dezidiert dem Ökonomischen zugeordnet werden. Dabei treten gleichermaßen Akteure, die unter Zuhilfenahme eines konstruktivistisch-wissenssoziologischen Ansatzes als Experten identifizierbar sind, als Träger ökonomischen Wissens wie Märkte für solches Wissen in den Vordergrund.
Die Beiträge gehen auf eine Göttinger Ringvorlesung mit dem Titel "Wissensmärkte der Vormoderne" sowie auf die 2016 vom Göttinger Graduiertenkolleg "Expertenkulturen des 12. bis 18. Jahrhunderts" veranstaltete Tagung "Experten des Ökonomischen - Ökonomie der Experten" zurück und sind nun im vorliegenden Band unter den Sektionsüberschriften "Vertrauen und Risiko", "Produktion und Transfer" sowie "Angebot und Nachfrage" geordnet. Diese Überschriften deuten zwar Faktoren an, die die Funktion und Mechanismen von Märkten beeinflussen, bleiben aber sowohl in der Einleitung als auch in den Beiträgen meist unkommentiert. Philip Knäble begründet dies in der Einleitung des Bandes damit, nicht "kurze, scheinbar zeitlose, Definition[en] der Begriffe" voraussetzen zu wollen, sondern für deren Historisierung zu werben, mithin Aneignungsformen zu zeigen (19). In der Folge aber sind die das 13. bis 18. Jahrhundert abdeckenden Beiträge untereinander kaum miteinander verbunden. Eine systematische Verklammerung erfolgt nicht, was wohl auch der Genese des Bandes aus zwei eigenständigen Veranstaltungen geschuldet sein dürfte.
Unter der Sektionsüberschrift "Vertrauen und Risiko" untersucht Tim Neu die Hintergründe und Folgen der Absetzung des englischen Schatzmeisters Sidney Gondolphin im Jahr 1710. Er blickt dabei weniger auf die soziale Konstruktion von Expertise als auf deren Dekonstruktion im öffentlichen Diskurs. Neu kann dabei nicht nur sozio-kulturelle Einflüsse auf ökonomische Prozesse zeigen, sondern verdeutlicht am Beispiel des englischen public credit, wie Expertenskepsis mit der Ausdifferenzierung von Systemvertrauen einherging. Benjamin Scheller untersucht die Bedeutung von Praktiken der Informations- und Wissensgewinnung im Kontext spätmittelalterlicher Seeversicherungen. Expertenwissen wurde hier durch die Gestaltung von Versicherungsprämien kapitalisiert. Eva Bruggers Beitrag zur Praxis des Projektmachens plädiert am Beispiel der nordamerikanischen Kolonie New Netherland dafür, den Aufbau der Kolonie als Projekt zu verstehen und die dem vormodernen Projektverständnis eigene Vorläufigkeit zu nutzen, um Kategorien wie Erfolg und Scheitern in den Hintergrund treten zu lassen und so den Blick für die Kontingenz ökonomischer Vorhaben zu schärfen. Wie Vertrauen und Risiko auf frühneuzeitlichen Märkten und Messen durch Praktiken des Bewertens und Messens objektiviert und damit von persönlichen Netzwerken gelöst wurden, zeigt Harold Cook. Mit mittelalterlichen Scholastikern als Experten für wirtschaftliches Wissen schließt Philip Knäble die Sektion. Er verdeutlicht, wie eine kulturwissenschaftlich orientierte Wirtschaftsgeschichte durch die Einbeziehung der religiösen Bedürfnisse von Kaufleuten neue Experten des Handels, nämlich die Bettelorden, sichtbar macht und erhellt damit ein bisher nicht betrachtetes Feld des Ökonomischen.
Das Kapitel "Produktion und Transfer" versammelt Beiträge mit einem Fokus auf Zirkulation, Transfer und Aneignung von Wissen über Ökonomie. Heinrich Lang beschreibt Aneignungspraktiken von Wissen anhand der Ausbildung von Kaufleuten und zeigt die Bedeutung eines vielschichtigen, letztlich prozessualisierten Wissens als Ergebnis eines lebenslangen Lernprozesses. So sicherten die Kaufmannsbankiers nicht nur ihren wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch ihre Anerkennung als Financiers und Experten für die Herrscherfinanzen. Den fließenden Übergang zwischen gelehrtem und praktischem Wissen im Bereich der Ökonomie beleuchtet Tanja Skambraks am Beispiel der Monti di Pietà im spätmittelalterlichen Italien. Sie zeigt, welchen Einfluss franziskanische Predigten und Streitgespräche auf ein sich veränderndes Verständnis von Wucher und damit auf die Statuten der Monti hatten, und verweist so auf die Interferenz von gelehrtem und wirtschaftlichem Wissen. Am Beispiel des wirklichen k.k. Kommerzienrats Graf Karl von Zinzendorf und Pottendorf zeichnet Kolja Lichy das Werden eines Experten nach und relativiert dabei die Bedeutung von dessen Expertise für seinen sozialen Aufstieg. Zinzendorf habe nicht nur von seiner Ausbildung profitiert, sondern davon, als "doppelter Kompetenzträger" wahrgenommen worden zu sein: juridisch-herrschaftlich als Administrator und sozial-hierarchisch als Mitglied des Adels. Den Praktiker als Experten, der nicht über theoretisches Wissen verfügen musste, rückt Marian Füssel anhand europäischer Militärexperten in Südasien in den Vordergrund. An ihrem Beispiel wird deutlich, dass es in der Vormoderne bisweilen alleine die Herkunft, also nicht der Nachweis von Spezialwissen, war, die über die Wahrnehmung als Experte entschied. Vordergründig keine Experten, sondern den süddeutschen Buchmarkt als Wissensmarkt und Kontaktzone mit Asien, Afrika und Amerika untersucht Rainald Becker anhand jesuitischer Publikationen, die eine breite, multikonfessionelle Nachfrage bedienten.
Die Beiträge der Sektion "Angebot und Nachfrage" blicken auf die Entwicklung und die Eigenschaften von Märkten für Expertenwissen. So zeigt Gion Wallmeyer die Möglichkeiten und Grenzen der Anwendung eines modernen Marktbegriffs auf die lateinischen Herrscherhöfe, genauer auf den Kontext der Kreuzzugsberater, und meint damit die zunehmende Ausdifferenzierung des höfischen Beraterwesens zu erkennen. Angebot und Nachfrage auf Arbeitsmärkten widmen sich die Beiträge von Colin Arnaud und Mark Häberlein. Arnaud zeichnet anhand italienischer Textilunternehmer nach, wie die Bewertung von Arbeit hin zum Arbeit geben durch die Unternehmer zum Akt der Caritas diskursiviert wurde. Den systemischen Schwierigkeiten, denen sich Fremdsprachenlehrer und Lehrwerksautoren ausgesetzt sahen, spürt Häberlein nach. Ian Maclean thematisiert sodann den Bedeutungsverlust der Frankfurter Buchmesse als Distributionsort, den Bedeutungsgewinn von Druckereien in den Niederlanden und die Entstehung neuer Finanzierungsmodelle und Käufergruppen auf dem Markt für gelehrte Bücher. Der Beitrag von Miriam Müller schließt den heterogenen Band. Sie untersucht den Arbeitsmarkt für Universitätsprofessoren und zeigt am Beispiel Gottfried Wilhelm Beireis' und Christian Wilhelm Büttners, wie den Professoren Objekte und Sammlungen als soziales und symbolisches Kapital dienten und aus Sicht der Universitäten, die oftmals nicht über eigene Sammlungen verfügten, zu entscheidenden Argumenten auf dem universitären Arbeitsmarkt wurden.
Insgesamt verdeutlichen die für sich allesamt mit Gewinn zu lesenden Beiträge, dass Wissensmärkte ein lohnendes Untersuchungsfeld für die Wirtschaftsgeschichte sind, und zwar nicht nur aus kulturgeschichtlicher Perspektive. Zu bedauern ist, dass ein gemeinsamer analytischer Rahmen vage bleibt, was auch daran liegt, dass - abgesehen vom zugrundeliegenden Expertenbegriff - wie so oft bei Sammelbänden keine konsequente, gemeinsame theoretisch-methodische Ausrichtung hervorsticht. Die Verbindung von Wissen und Märkten bildet zwar in allen Beiträgen den Ausgangspunkt der Betrachtung, hätte aber stärker beleuchtet werden können, etwa indem auch spezifische Regeln und Ordnungen von Wissensmärkten hinterfragt werden. Offen bleiben auch Fragen nach Markttransaktionen zwischen Experten, die es neben der Dichotomie von Experte und Laie ja durchaus auch gab. Dass die die untersuchten Wissensmärkte bestimmenden Faktoren, die ja auch als Sektionsüberschriften dienten, weder in der Einleitung noch in den Beiträgen selbst weiter reflektiert werden, ist schade. Es mag angesichts der Zielsetzung, eine "symmetrische Betrachtung von Wandlungsprozessen von Relationen von Wissen und Ökonomie in vormodernen Gesellschaften" (26) zeigen zu wollen, zwar nachvollziehbar sein, führt aber auch dazu, dass analytisches Potential vergeben wird. So loten die Beiträge Ansatzpunkte für eine Wissensgeschichte der Wirtschaft und eine kulturhistorische Wirtschaftsgeschichte zwar aus und liefern Impulse für weitere Forschungen. Damit aber insbesondere eine solche kulturhistorische Wirtschaftsgeschichte nicht zu sehr entökonomisiert wird, bleibt viel zu tun.
Sebastian Becker