Barbara Stollberg-Rilinger: Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit. Eine Biographie, München: C.H.Beck 2017, XXVIII + 1083 S., 30 Farb, 52 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-69748-7, EUR 34,00
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Alfred von Arneth brauchte für seine in den Jahren 1863 bis 1879 erschienene "Geschichte Maria Theresias" 10 Bände, Barbara Stollberg-Rilingers Biografie der letzten Habsburgerin beansprucht immerhin über 1000 Seiten, und man ist als Rezensent, der sich anschickt, dieses Opus maximum zu lesen, hingerissen zwischen Ehrfurcht und der Frage: Muss dieses Buch so dick sein? Nach der Lektüre steht für mich fest: Ja, es muss!
Das liegt zum einen daran, dass bis zum gegenwärtigen Jubiläum seit dem Untergang der Donaumonarchie keine einzige ernstzunehmende wissenschaftliche Biografie Maria Theresias mehr erschienen und der Nachholbedarf dementsprechend groß ist. Zum anderen war das Leben der Protagonistin vergleichsweise lang und zweifelsohne ereignisreich und ihre Persönlichkeit so vielschichtig, dass eine allzu knappe Darstellung Gefahr liefe, ihr nicht gerecht zu werden. Schließlich ist Barbara Stollberg-Rilinger angetreten, etablierte - wissenschaftliche und populäre - Vorstellungen von Maria Theresia und ihrer Regierung kritisch zu hinterfragen, und das benötigt Raum. Denn um Positionen wirksam dekonstruieren zu können, ist es erforderlich, sie zunächst einmal in angemessener Form vorzustellen. Außerdem hat die Autorin schlicht eine ganze Menge neue und wichtige Erkenntnisse beizutragen.
Barbara Stollberg-Rilinger schreibt die Biografie Maria Theresias als ein Stück Dynastiegeschichte. Damit gelingt es ihr nicht nur, die unterschiedlichsten Aspekte, die sie in ihrem Buch zu behandeln hat, zusammenzubinden, sondern sie befindet sich auch im Einklang mit aktuellen kulturgeschichtlichen Forschungsansätzen, die Phänomene von Herrschaft und grenzüberschreitenden Beziehungen etc. weniger unter der Perspektive der Entwicklung hin zum durchorganisierten Anstaltsstaat bzw. zum Nationalstaat zu fassen suchen, sondern betonen, dass sich politische Herrschaft in weiten Teilen Europas auch im 18. Jahrhundert immer noch wesentlich als dynastische Herrschaft, also als die Herrschaft einer hochadligen Familie, konstituierte, die mit anderen hochadligen Familien eine veritable "Société des Princes" (Lucien Bély) bildete.
In ihrem bezeichnenderweise nicht arabisch, sondern römisch bezifferten und somit von der eigentlichen Darstellung abgehobenen "Prolog" liefert die Autorin zunächst eine konzise Skizze der Forschungslage und konstatiert: "Die monumentalische Geschichte des 19. Jahrhunderts steht zwischen uns und der historischen Gestalt Maria Theresia und versperrt uns die nüchterne Sicht auf sie" (XIII). Freimütig räumt sie ein, dass auch ihre eigene "post-moderne, post-nationalistische Perspektive [...] selbstverständlich nur eine unter vielen möglichen Perspektiven ist und keinen Anspruch auf objektive Gültigkeit erheben kann" (XIV), beansprucht jedoch als Alleinstellungsmerkmal, "dass hier bewusst eine Perspektive der Fremdheit eingenommen wird. [...] Es soll keine falsche Vertrautheit mit Maria Theresia aufkommen: Man muss sich die Heldin vom Leibe halten" (ebenda).
Dezidiert distanziert sich Stollberg-Rilinger auch von den Versuchen männlicher Historiker, die Habsburgerin zur "Reichshausfrau" zu stilisieren (XXIII), ein bis in die Gegenwart wirksames Image, das mit dafür verantwortlich war, dass nicht nur die emanzipatorisch inspirierte Frauenforschung, sondern allgemein die jüngere Geschichtswissenschaft einen weiten Bogen um die als Identifikationsfigur so gar nicht taugliche Herrscherin machte - ganz im Gegensatz zu ihrem Berliner Erzfeind, der auch im 20. und 21. Jahrhundert ein Lieblingsgegenstand (nicht nur) der deutschsprachigen Forschung war und eine Fülle von unterschiedlichen Deutungen erfahren hat.
Schließlich legt die Autorin ihre "Darstellungsprinzipien" offen: Sie will "mehrere Perspektiven und Wahrnehmungsweisen", die durchaus widersprüchlich sein können, nebeneinanderstellen, ohne diese Widersprüchlichkeit aufzulösen, und so die "Illusion der Allwissenheit" der Biografin vermeiden (XXVI). Außerdem strebt sie eine Verbindung von Analyse und Erzählung, von Nahsicht und Fernsicht an, um sich, wie gesagt, "vor falscher Vertrautheit mit [ihrer] Heldin" zu hüten (ebenda). Dass sie diesen Punkt in ihrer Einleitung mehrfach aufgreift, unterstreicht, wie wichtig er ihr ist. Man könnte es aber auch als Indiz dafür werten, dass sie sich bewusst ist, dass eine solche Distanz bei einem Gegenstand, mit dem man sich in jahrelanger Forschungsarbeit beschäftigt, nicht immer leicht durchzuhalten sein mag.
Denn intensiv hat sich Barbara Stollberg-Rilinger fraglos mit ihrem Gegenstand beschäftigt. Sie hat nicht nur die Forschungsliteratur und edierten Quellen ausgewertet und neu gedeutet, sondern auch einen tiefen Blick in die Archive getan. Nur so ist es ihr möglich geworden, ihre von den etablierten Erzählungen in einigen wesentlichen Punkten deutlich abweichende Sichtweise des Lebens Maria Theresias auf eine feste Grundlage zu stellen.
Schon im ersten Kapitel der eigentlichen Biografie ("Die Erbtochter") offenbart sich die darstellerische Meisterschaft der Autorin, gelingt es ihr doch immer wieder, anhand der Lebensgeschichte der Protagonistin tiefe Einsichten in die in der Tat vielfach ausgesprochen fremde Welt des 18. Jahrhunderts zu vermitteln, wie hier in den außerordentlich hohen Stellenwert von Ritualen und Zeremoniell an frühneuzeitlichen Höfen und in die Logiken des Patronagewesens. Angesichts der relativen Quellenarmut für die ersten 23 Lebensjahre Maria Theresias kann sie zu deren Jugend zwar kaum völlig neue Erkenntnisse beisteuern, jedoch durchaus einige etablierte Gewissheiten hinterfragen, wie die Anschauung, die Erzherzogin sei nicht auf ihre Rolle als Erbin vorbereitet worden. Denn: "abgesehen davon, dass sie keinen Unterricht in Jurisprudenz erhielt, unterschied sich ihr Fächerkanon nur wenig von dem eines männlichen Erzherzogs" (24). Anders als ein erwachsener männlicher Thronfolger und nach ihrer Heirat ihr eigener Mann wurde sie allerdings nicht zu den Sitzungen der Geheimen Konferenz hinzugezogen, hatte also vor ihrem Regierungsantritt keine Gelegenheit, diesen Teil der Regierungsarbeit zu lernen. Als Patronin bzw. Maklerin der herrscherlichen Gnade zu wirken, lernte die Kaisertochter allerdings schon frühzeitig, und das ist für Stollberg-Rilinger wesentlich, weil sich ihrer Auffassung nach die "'große' Politik [...] strukturell nicht von der 'kleinen'" unterschied (57). Keineswegs ungewöhnlich war auch, dass der Ehepartner der Erbtochter entsprechend den dynastischen Interessen ausgewählt wurde. Durchaus bemerkenswert war dagegen die enge emotionale Bindung Maria Theresias an Franz Stephan von Lothringen. Bemerkenswert war aber auch der Standesunterschied zwischen den Eheleuten, der vor und nach dem Regierungsantritt Maria Theresias zu einigen Problemen führte.
Ähnlich wie im ersten Kapitel den Reigen der potentiellen Ehepartner Maria Theresias und die Verwicklungen um die Anerkennung der Pragmatischen Sanktion schildert Stollberg-Rilinger im Kapitel zum Österreichischen Erbfolgekrieg den Gang der äußeren Ereignisse, die Feldzüge und Friedensschlüsse eher knapp. Wesentlich mehr Raum widmet sie vertiefenden Abschnitten etwa zum ungarischen Reichstag von 1741, der sich keineswegs so von der Begeisterung für seine junge, hilflose Königin hinreißen ließ, wie das die im 18. Jahrhundert einsetzende Legendenbildung suggeriert hat. Erhellend sind auch die Ausführungen zur Publizistik, die bei der Darstellung der von ihren männlichen Gegnern drangsalierten Habsburgerin mehrfach auf eindeutig sexuell aufgeladene Bilder zurückgriff. Wichtig ist der Autorin aber auch der Blick auf die schmutzige Seite des Krieges, die Maria Theresia für die Durchsetzung dessen, was sie als ihr Recht erkannt hatte, in Kauf nahm, die in manchen älteren, heroisierenden Darstellungen jedoch allzu leichtfertig ausgeblendet wurde.
Das Kapitel über das Verhältnis Maria Theresias zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation ist vergleichsweise kurz ausgefallen. Denn es war ihr zwar ein wichtiges Anliegen, dass Franz Stephan - im zweiten Anlauf 1745 - zum Kaiser gewählt und gekrönt wurde. Sie selbst entschied sich jedoch ganz bewusst gegen eine Kaiserinnenkrönung und damit gegen die Krönung mit einer Krone, die ihr nicht aus eigenem Erbrecht zukam, sondern als Frau des Kaisers (148). Für sie war die Kaiserkrone zwar ein nützliches Attribut ihres Hauses und das Reich ein wichtiges Einflussgebiet. "Reichspolitik" war, so Stollberg-Rilinger, für Maria Theresia aber keine an den Belangen des Reichs orientierte Politik, sondern die Verfolgung habsburgischer Interessen im Reich und unter Ausnutzung der Möglichkeiten, die die Reichsverfassung dem Kaiserhaus bot.
Eine wichtige Rolle in der historischen Forschung zu Maria Theresia und ihrer Zeit haben von jeher ihre Verwaltungsreformen gespielt, die grundlegend für ihre Wertschätzung als die eigentliche Gründerin der "modernen" Donaumonarchie waren. Hier interessieren die Autorin weniger die institutionellen Neuerungen als solche als die ihnen zugrundeliegenden Staatsvorstellungen, die kommunikativen Prozesse, mit denen sie ins Werk gesetzt wurden, und, nicht zuletzt, ihre Grenzen. Denn die Reformen waren zwar keineswegs folgenlos, sie leisteten "nur eben nicht das, was intendiert war" (244). Noch frustrierender für die Herrscherin war ihr zunehmend gestörtes Verhältnis zum Adel, der sich in seinen Erwartungen an die Kaiserin-Königin getäuscht sah. Kein Wunder, dass aus der Reformzeit zwischen den großen Kriegen ihre beiden sogenannten "Politischen Testamente" stammen, nach Stollberg-Rilinger die "Apologie ihres Regierungshandelns" (218), die vor allem auf der "Überzeugung vom göttlichen Recht der Dynastie" (221) basierte.
Unter der Überschrift "Körperpolitik" erörtert die Autorin unter anderem das Verhältnis zwischen sexuellen Normen und Praktiken am Wiener Hof, die durch "eine strukturell angelegte, kollektive Heuchelei" (259) geprägt gewesen sei. Mit gutem Grund warnt sie davor, der kaiserlichen Familie bürgerliche Vorstellungen des 19. Jahrhunderts überstülpen zu wollen. Die außerehelichen Affären ihres eigenen Mannes versuchte Maria Theresia aus ihrem herrscherlichen Selbstverständnis souverän zu ignorieren, während sie die Sexualmoral ihrer Untertanen, wiederum mit begrenztem Erfolg, einer rigorosen Kontrolle zu unterwerfen suchte. Der vielleicht wichtigste Abschnitt dieses Kapitels ist jedoch den 16 Schwangerschaften und Geburten gewidmet, die während der ersten Jahrzehnte ihrer Ehe den durchaus robusten Körper der Kaiserin erheblich belasteten, mit denen sie aber eine ihrer zentralen Aufgaben bravourös erfüllte: den Fortbestand ihrer Dynastie für die folgenden Generationen zu sichern.
Im Kapitel "Distinktionen und Finessen" vertieft Stollberg-Rilinger den Einblick in die höfischen Hierarchien und Kommunikationsstrukturen und erörtert unter anderem die Möglichkeiten für Angehörige niederer Stände, überhaupt in Kontakt zur Monarchin zu treten. Gerade hier wird deutlich, wie sehr die Wahrnehmung Maria Theresias durch die jeweils eigene Position der wahrnehmenden Zeitgenossen und durch die spezifischen Umstände, unter denen sie die Kaiserin erlebten, geprägt war. Treffend charakterisiert die Autorin den Zwiespalt zwischen der Erwartungshaltung, dass die Herrscherin prinzipiell für die Anliegen jedes Untertanen zugänglich sein sollte, und der Notwendigkeit, den Zugang zu ihr zu kontrollieren - wobei Maria Theresia eine vergleichsweise restriktive Position einnahm. Wichtig war die exemplarische Auszeichnung einzelner Untertanen, wie bei der rituellen Fußwaschung am Gründonnerstag, die nicht nur eine "eindrucksvolle symbolische Inszenierung von Demut und Barmherzigkeit" (345) darstellte, sondern, wie vielleicht noch deutlicher akzentuiert werden könnte, zugleich die Verpflichtung der Souveränin zum Dienst an ihren Untertanen hervorhob. Bei der Charakterisierung des Hofes Maria Theresias, für den das Tagebuch des langjährigen Obersthofmeisters Khevenhüller eine wichtige Quelle darstellt, wird deutlich, dass das Hofleben kein Vergnügen war, weder für die Monarchin, die sich einer äußerst strengen Arbeitsdisziplin unterwarf, noch für die anderen Hofangehörigen. Grundlegende Veränderungen des Geschmacks, ein Hang zur "Natürlichkeit", taten ein Übriges und sorgten dafür, "dass das aufwendige Leben am Kaiserhof für den hohen Adel immer unattraktiver wurde" (399).
Die äußere Geschichte des "Renversement des Alliances" und des Siebenjährigen Krieges erzählt Stollberg-Rilinger vergleichsweise straff und vertieft ihre Darstellung mit Ausführungen zum - wenig erfolgreichen - Reichskrieg gegen Preußen, das seinerseits versuchte den Krieg zum Religionskrieg zu stilisieren. Außerdem geht sie erneut auf den Aspekt der Propaganda sowie auf das Spionagewesen ein. Ihrem Befund einer "Desaströse[n] Bilanz" (457) des Krieges aus der Sicht Maria Theresias ist rückhaltlos zuzustimmen.
Das nächste Kapitel ist dem "Kapital der Dynastie", den Kindern Maria Theresias, gewidmet: ihrer nach heutigen Maßstäben überaus strengen Erziehung - wobei Stollberg-Rilinger mit gutem Grund vor anachronistischen Wertungen warnt - und ihrem Einsatz auf dem dynastischen Heiratsmarkt. Besondere Aufmerksamkeit widmet die Autorin hier den beiden Ehefrauen des Thronfolgers Joseph, der schillernden Isabella von Parma und der wenig geliebten Josepha von Bayern, für die sich Joseph, vor die Wahl gestellt, nur entschied, weil sie gegenüber der anderen Kandidatin, Kunigunde von Sachsen, als "das kleinere Übel" erschien (500). Dass Maria Theresias Familie, 1767 auch sie selbst, mehrfach von den Blattern heimgesucht wurde, nimmt die Autorin zum Anlass, das Verhältnis der Kaiserin zu dem von ihr überausgeschätzten Gerhard van Swieten und in diesem Kontext insbesondere die Problematik der Pockenimpfung zu beleuchten, zu der die Monarchin "eine bemerkenswert avantgardistische Haltung" einnahm (515).
Die entscheidende Zäsur in der Biografie und Regierungszeit Maria Theresias stellt der Tod Franz' I. 1765 in Innsbruck dar. In der Tradition ihrer Dynastie und in Übereinstimmung mit den herrschenden Konventionen, aber auch aus einer tiefempfundenen Trauer heraus inszenierte die Kaiserin ihren Witwenstand geradezu. Sie trat 1765 aber nicht nur in eine neue Lebensphase ein, sondern sah sich als Herrscherin mit einem neuen Mitregenten konfrontiert, der ein ganz anderes Kaliber war als Franz Stephan. Dieser war zwar keineswegs einflusslos gewesen, hatte sich jedoch im Konfliktfall im Allgemeinen den Wünschen seiner Gemahlin gefügt. Der schon 1764 zum Römischen König gewählte Joseph II. dagegen, der sich in hohem Maße den Ideen der von seiner Mutter mit Misstrauen betrachteten Aufklärung geöffnet hatte und sich - horribile dictu - in mancher Hinsicht deren preußischen Lieblingsfeind zum Vorbild nahm, musste sich zwar, wenn es zum Äußersten kam, der wahren Souveränin (denn Souveränität war eben letztlich nicht teilbar) unterwerfen. Dennoch waren die Jahre zwischen 1765 und 1780 geprägt von einem zähen Ringen und mannigfaltigen Konflikten zwischen Maria Theresia, Joseph und Staatskanzler Kaunitz, in wechselnden Konstellationen. Ihren mehrfach geäußerten Wunsch, sich aus der Regierungsverantwortung zurückzuziehen, setzte die alternde Kaiserin nie in die Praxis um.
Während Maria Theresia sich nach langem Zögern bereitfand, die erste Teilung Polens mitzuvollziehen, biss Joseph in der Frage der Toleranz gegenüber "Unkatholischen" bei seiner Mutter auf Granit. In der Tradition der "Pietas austriaca" erzogen und aufgewachsen, verfolgte die fromme Katholikin unter dem wachsenden Einfluss jansenistischer Ratgeber zwar schon längst eine Politik, die auf eine Durchsetzung der staatlichen Kontrolle über die Kirche sowie auf die Abstellung von "Aberglauben" und Ressourcenvergeudung abzielte, und sie nutzte die Handlungsspielräume, die sich ihr 1773 durch die Aufhebung des Jesuitenordens boten, konsequent. "Freigeisterei" lehnte sie jedoch zeit ihres Lebens ab. Stollberg-Rilinger, die die Kirchen- und Religionspolitik Maria Theresias als ausgesprochen widersprüchlich begreift, resümiert: "Wenn es [...] eine Konstante gab, eine Überzeugung, an der sie ihr Leben lang festhielt, dann war es zweifellos die, als Souveränin unmittelbar von Gott zur Herrschaft beauftragt zu sein" (626).
Fremdheit war im vornationalen Zeitalter in erster Linie religiös bedingt, und in diesem Sinne war Maria Theresia in ihrem eigenen Herrschaftsbereich mit Fremden konfrontiert. Während sie andersgläubigen Souveränen - und sei es der osmanische Sultan - selbstverständlich mit dem gebührenden Respekt begegnete, legte sie gegenüber ihren jüdischen Untertanen eine schon die Zeitgenossen irritierende Feindseligkeit an den Tag, bis hin zur Vertreibung der Prager Gemeinde 1745. Auch ihr unerbittliches Vorgehen gegen den Untergrundprotestantismus in den Erblanden, das auf die Bekehrung der "räudigen Schafe" und die Deportation der Renitenten und Rückfälligen setzte, wurde nicht nur von Joseph II. dezidiert abgelehnt und war "im Zeitalter der Aufklärung bereits zum Anachronismus geworden" (679).
Das Verhältnis zwischen Maria Theresia und ihren "getreuen Untertanen" wird nicht nur immer wieder aufgegriffen, sondern ihm ist auch ein eigenes Kapitel gewidmet. Das Herrschaftsverständnis der Souveränin war ein eindeutig "paternalistisches" bzw. "maternalistisches" (683): "Die Untertanen schuldeten dem Monarchen Gehorsam, wie die Menschen Gott und die Kinder den Eltern Gehorsam schulden" (683). Nicht ganz so stark akzentuiert Stollberg-Rilinger an dieser Stelle die umgekehrte Verpflichtung der Monarchin, die den Untertanen mehr als "zärtliche Liebe, mütterliches Wohlwollen und Mitleiden" (ebenda) schuldete, sondern sich für ihr irdisches Wohlergehen (oder was sie dafür hielt) und noch mehr ihr ewiges Heil einzusetzen und dafür Gott gegenüber Rechenschaft abzulegen hatte. Maria Theresia war eine Fürstin, die über alles und jedes informiert sein wollte, auch wenn Inspektionsreisen, wie sie ihr Sohn mehrfach unternahm, für sie nicht in Betracht kamen. Eine besondere Bedeutung erlangte die "Seelenkonskription" von 1770/71, die ihr ein neues Bild von der Lage der Landbevölkerung vermittelten. Entsetzt über die Lage in Böhmen, nahm sie nun hinsichtlich der Bauernbefreiung eine wesentlich radikalere Position als ihr aufgeklärter Sohn ein. Die Elementarschulreform wertet die Autorin gar als "die langfristig erfolgreichste Unternehmung von Maria Theresias später Regierungszeit" (714). Die an Folter und ausgeklügelten Körperstrafen festhaltende Theresianische Halsgerichtsordnung von 1769 war demgegenüber schon zum Zeitpunkt ihres Erscheinens ein Anachronismus. 1776 rang sich die Kaiserin immerhin zur Abschaffung der Folter durch. Nicht nur aus Gründen der Chronologie hat die Autorin den Bayerischen Erbfolgekrieg dem Untertanenkapitel angefügt, denn das Wohl ihrer Länder und Untertanen waren das entscheidende Argument für Maria Theresia, hinter dem Rücken Josephs II. Friedenssondierungen zum preußischen Gegner anzuspinnen. Die Fassade der Einigkeit zwischen Mutter und Sohn, die für die Legitimität der dynastischen Herrschaft essentiell war, bekam Risse - und das Schlimmste war: Diese Risse waren auch für Außenstehende sichtbar.
Das letzte Kapitel der Biografie ist erneut den familiären Beziehungen gewidmet. Deutlich arbeitet Stollberg-Rilinger das letztlich zum Scheitern verurteilte Bestreben der Matriarchin heraus, ihre Kinder zu kontrollieren, nicht zuletzt diejenigen, die dauerhaft fern von Wien in Frankreich oder Italien lebten. Gerade damit trieb sie sie zur Heuchelei. Am offenkundigsten war der Kontrollverlust im Fall der nach Parma verheirateten Maria Amalia, was ihre Mutter, durchaus nicht leichten Herzens, nach manchen vergeblichen Ermahnungen damit sanktionierte, dass nicht nur sie selbst zeitweilig den Kontakt zu dieser Tochter abbrach, sondern auch deren Geschwistern verbot, mit ihr zu kommunizieren. Dank der zahlreichen erhaltenen Briefe lässt sich manches von komplexen Beziehungen der Geschwister zu ihrer Mutter und untereinander rekonstruieren. Dass Christine, der erklärte Liebling Maria Theresias, von ihren Brüdern und Schwestern teilweise geradezu gehasst wurde, ist weniger überraschend als der Befund hinsichtlich des allgemein wertgeschätzten Leopold, der sich bisweilen mit ätzender Schärfe über seine Angehörigen äußerte. Im Zeitalter des dynastischen Fürstenstaates waren solche Spannungen in den regierenden Häusern anders als heutzutage nicht nur Futter für die Boulevardblätter, sondern Staatsaffären. Das Kapitel schließt mit dem Bericht über das Sterben Maria Theresias, dass sie nach den Grundsätzen der "ars moriendi" als das gute Sterben einer gläubigen Katholikin zu gestalten vermochte.
Abschließend fasst Barbara Stollberg-Rilinger in einem "Epilog" in drei Abschnitten ihre Deutung der Persönlichkeit und der Regierung Maria Theresias konzis zusammen. Erneut legt sie besonderen Nachdruck auf die Feststellung, dass die letzte Habsburgerin "einer jahrhundertealten Tradition der Herrschaftsethik verpflichtet" war und nach deren Maßstäben "als vorbildliche Herrscherin erscheinen" mochte (847). Doch: "Die alten Herrschertugenden taugten nicht mehr zur Lösung der neuen Probleme". Auch ihr "hoch ambitioniertes Kontrollprogramm", das aus der auch von Kaunitz und anderen Beratern geteilten Vorstellung der "Staatsmaschine" resultierte (849), scheiterte weitgehend - nicht zuletzt gegenüber den eigenen Kindern. Die Reformen waren zwar keineswegs wirkungslos, die Wirkungen entsprachen allerdings nicht den Intentionen: "Den neuen politischen Herausforderungen war man mit diesem autokratischen Politikstil nicht gewachsen" (850). "Ihre Tragik war, auf Normen zu bestehen, die kaum jemand mehr teilte, und sehenden Auges zum Scheitern verurteilt zu sein" (855). - Ein klares Statement, das die alte Meistererzählung von der Gründerin des "modernen Österreich" geradezu in ihr Gegenteil verkehrt und noch für manche Diskussionen in der Fachwelt sorgen könnte. Denn man könnte durchaus die Erfolge der Kaiserin stärker gewichten, dass Maria Theresia nicht nur als Stammmutter des gewissermaßen durch die Absorption der Lothringer erneuerten Hauses Habsburg äußerst erfolgreich war, sondern, verglichen mit ihrem eigenen Regierungsantritt, ihrem Nachfolger ein bei allen Defiziten konsolidiertes Herrschaftsgebiet hinterließ.
Möglicherweise wird der eine Leser oder die andere Leserin den Wertungen der Autorin nicht in jedem einzelnen Punkt folgen oder auch Anstoß an gelegentlichen Redundanzen nehmen, etwa im Zusammenhang mit der Schilderung der Verheiratungen und der Ehen der Kinder sowie der Darstellung des innerfamiliären Beziehungsgeflechts. Derartige Quisquilien fallen angesichts dieser souveränen Forschungs- und darstellerischen Gesamtleistung jedoch kaum ins Gewicht.
Mit diesem Buch liegt ein Standardwerk vor, an dem künftige Forschungen zu Maria Theresia nicht vorbeikommen werden. Arneths "Geschichte Maria Theresias" wird als faktenreicher "Steinbruch" ihren Wert behalten. Aber mit Stollberg-Rilingers Buch liegt nun endlich eine moderne Biografie vor, die unter einer klaren Fragestellung eine spezifische wissenschaftliche Deutung des Lebens der Kaiserin-Königin vollzieht. Der gut geschriebene Band ist jedoch nicht nur für ein Fachpublikum höchst empfehlenswert, sondern auch für eine breitere, nicht zuletzt studentische Leserschaft. Diese könnte sich anhand dieser Biografie Maria Theresias viele grundlegende Erkenntnisse zur frühneuzeitlichen Kultur, Gesellschaft und Politik erschließen, aber auch zu den Umbrüchen während der Lebens- und Regierungszeit der Protagonistin, als die europäische Moderne sich sozusagen in statu nascendi befand. Mit Recht trägt das Buch den Untertitel "Die Kaiserin in ihrer Zeit". Für die Erschließung des Bandes, dem ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis, Stammtafeln, eine Karte sowie zahlreiche Abbildungen beigegeben sind, leistet das Personenregister gute Dienste.
Ob Maria Theresia allen Deutungen Barbara Stollberg-Rilingers zugestimmt hätte, mag zweifelhaft sein. Mit ziemlicher Sicherheit gefreut hätte es die tiefkatholische Kaiserin jedoch, dass im Jahr des Reformationsjubiläums nicht etwa ein Luther-Buch, sondern ihre Biografie den Preis der Leipziger Buchmesse für das beste Sachbuch 2017 gewonnen hat.
Matthias Schnettger