Hans Dickel (Hg.): Zeichnen seit Dürer. Die süddeutschen und schweizerischen Zeichnungen der Renaissance in der Universitätsbibliothek Erlangen, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2014, XL + 455 S., 764 Farbabb., ISBN 978-3-86568-966-5, EUR 69,95
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Hans Dickel (Hg.): Zeichnen vor Dürer. Die Zeichnungen des 14. und 15. Jahrhunderts in der Universitätsbibliothek Erlangen, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2009
Nachdem 2009 der erste Band des Bestandskataloges der Graphischen Sammlung in der Universitätsbibliothek Erlangen zu den Zeichnungen des 14. und 15. Jahrhunderts - der Zeit vor Dürer - erschienen war, ist 2014 ebenfalls unter der Herausgeberschaft Hans Dickels der zeitlich anschließende Band mit den süddeutschen und Schweizer Zeichnungen der Renaissance veröffentlicht worden.
Er stellt etwa 500 Zeichnungen der Dürerzeit aus dem rund 1800 Zeichnungen umfassenden Gesamtbestand der Graphischen Sammlung in der Universitätsbibliothek Erlangen vor. In ihm sind die großen Meister der Dürerzeit mit eindrucksvollen Blättern vertreten - an erster Stelle Dürer selbst mit seinem immer noch nicht ganz entschlüsselten frühen "Selbstbildnis" von 1491/92 (Kat. 78), das sich auf der Rückseite einer Studie zur "Hl. Familie" befindet. Doch auch seine Zeitgenossen Albrecht Altdorfer (Kat. 2-8), Hans Burgkmair (Kat. 67), Matthias Grünewald ebenfalls mit einem "Selbstbildnis" (Kat. 205) oder Wolf Huber (Kat. 226-232) sind mit gewichtigen Arbeiten vertreten. [1] Solche großartigen Leistungen, die den hohen Standard der Zeichnung der Dürerzeit aufzuzeigen vermögen, bleiben allerdings die Ausnahme; im Bestand überwiegen Arbeiten von Schülern und Gesellen, die gleichwohl einen eindrucksvollen Einblick in die Arbeitsprozesse einer Künstlerwerkstatt der Dürerzeit gewähren. Sie dokumentieren auf verschiedene Weise Funktion und Prozess des Zeichnens - sei es als individuelle Aneignung zeichnerischen Könnens durch das Kopieren eines berühmten Vorbildes oder durch die Einbindung in den Arbeitsprozess einer Werkstatt, in der Gesellen und Lehrlinge mit Werkzeichnungen betraut wurden. Die Aufgabe der Autoren war deshalb nicht einfach - den Blick wegzulenken von einzelnen, in ihrer zeichnerischen Qualität hochstehenden Blättern hin zu allgemeineren Fragen der zeichnerischen Aneignung, zu Fragen der Funktion innerhalb des Werkstattbetriebes bis hin zur Erörterung von neuen Themen, die die 1525 in Nürnberg eingeführte Reformation nach sich zogen. Iris Brahms, die maßgebliche Bearbeiterin, geht in einem einführenden Essay dieser Problematik eigens nach. Christine Demele, ebenfalls Bearbeiterin, vertieft in ihrem Beitrag die Fragen nach den Werkstattpraktiken im 16. Jahrhundert anhand des Bestandes, der sich "im Kern als ein über Generationen gewachsener und von Werkstatt zu Werkstatt tradierter Mustervorrat" [2] erweist. Schließlich widmet sich Manuel Teget-Welz, neben Brahms und Demele der dritte Bearbeiter des Kataloges, in einem eigenen Beitrag den Nürnberger Goldschmiederissen der Renaissance, die vor allem durch Zeichnungen Peter Flötners (Kat. 165-192) und Wenzel Jamnitzers (Kat. 251-257) eine besondere Bedeutung besitzen.
Im Vergleich zu Ausstellungskatalogen, die zumeist auf das Meisterwerk fokussiert sind, liegt die große Bedeutung von Bestandskatalogen darin, auf Themenbereiche aufmerksam machen zu können, die nur in der Gesamtschau eines historisch gewachsenen Bestandes ihre kunsthistorische Relevanz entfalten können. Sie bilden die Entstehung einer Sammlung in ihren historischen Bedingtheiten ab. Elfried Bock, der 1929 einen ersten, kurz kommentierten Bestandskatalog hatte vorlegen können [3], hatte vielen Arbeiten noch eigenständige künstlerische Qualitäten abgesprochen; in der Folge sind zumeist nur einzelne Blätter oder eine größere Auswahl für Ausstellungen herangezogen worden. Bocks Urteil hat auch heute noch in vielen Fällen Bestand, doch erst die Gesamtschau erlaubt diesen präzisen Blick auf die tatsächlichen Arbeitsbedingungen in einer frühneuzeitlichen Künstlerwerkstatt. Deshalb ist an dieser Stelle noch einmal auf die Bedeutung solcher Projekte, die ganze Sammlungen erschließen, für die kunsthistorische Forschung hinzuweisen, die nicht nur die Sammlungsgeschichte offenlegen, sondern auch das Kunstgeschehen einer Epoche und in diesem besonderen Fall einer ganzen Region. Die Ursprünge der Sammlung, die im Winter 1805/06 zusammen mit der Schlossbibliothek der Markgrafen von Brandenburg-Ansbach von Ansbach nach Erlangen transferiert worden war, gehen nämlich wahrscheinlich auf verschiedene Nürnberger Patriziersammlungen zurück - darunter die Sammlungen Willibald Imhoffs (1519-1580), Joachim von Sandrarts (1606-1688) und vermutlich des Grafen Johann Septimius Jörger von Toilet (1596-nach 1670), eines österreichischen Exilanten und begabten Kunstdilettanten (vgl. zur nicht in allen Fragen geklärten Sammlungsgeschichte den Beitrag von Christina Hofmann-Randall). Sie haben die Kunst ihrer Region und ihrer Zeit, aber vor allem der Dürerzeit gesammelt, die bereits damals im historischen Bewusstsein verankert war und gesammelt wurde.
Der Fokus auf der Kunst der Dürerzeit und der Nachfolge Dürers in Nürnberg wird an umfangreichen Konvoluten von Künstlerpersönlichkeiten wie Hans von Kulmbach (Kat. 261-280) und Hans Schäufelein (Kat. 401-407) deutlich, die als Schüler Dürers dessen Stil weiter tradierten, nach seinen Werken im Rahmen des Werkstattbetriebs kopierten - etwa Schäufeleins Kopie nach Dürers "Stehender Frau am Baumstamm" in Oxford (Kat. 401) -, doch deren Werke anderen Zeichnern ebenfalls als Vorlagen dienten (Kat. 265-268; 275-279; 405-407). Auch für Künstler der nachfolgenden Generation wie Erhard Schön (Kat. 408-419), den zu den sogenannten "gottlosen Malern" zählenden Brüdern Barthel und Sebald Beham (Kat. 41-52) oder Georg Pencz (Kat. 388-396) blieb der Zeichenstil Dürers bindend, doch ist bei ihren Zeichnungen auch der Einfluss druckgrafischer Techniken spürbar - insbesondere bei den Beham-Brüdern, die im Bestand vor allem mit Kopien und Zuschreibungen vertreten sind, wie Christine Demele in ihrem Beitrag erläutert.
Neben dem deutlichen Sammlungsschwerpunkt fränkischer Zeichnungen wird der Bestand durch bedeutende Blätter aus dem weiteren süddeutschen Raum ergänzt. Den bereits erwähnten Blättern von Altdorfer, Burgkmair, Grünewald und Wolf Huber stehen gewichtige Blätter aus Augsburg zur Seite - vertreten durch Hans Holbein d.Ä. Silberstiftzeichnung eines Hundes in verschiedenen Ansichten (Kat. 216) und Zeichnungen seines Umkreises (Kat. 217-223), einer repräsentativen Darstellung der "Hl. Barbara" von Daniel Hopfer (Kat. 224) sowie einiger bisher nur dem Kunstkreis Augsburgs zuzuweisenden Blättern (Kat. 22-27). Möglicherweise dem Augsburger Kunstkreis zuzuschreiben ist auch jenes wundervolle großformatige Blatt in Clair-Obscur (Kat. 453), auf dem der Torso vom Belvedere - auf einem Steintisch stehend - von zwei Flöte spielenden Faunen begleitet wird. Das Blatt gilt gemeinhin als bedeutendes Zeugnis der Antikenrezeption in der süddeutschen Zeichenkunst des 16. Jahrhunderts, deren Kenntnis - vor allem der Zeichenkunst in Franken - mit diesem Bestandskatalog vertieft wird. Die Publikation des Erlanger Bestandes legt den Grundstein für die weitere Beschäftigung mit der Zeichenkunst in Franken und gibt der Forschung mit dem hauptsächlich aus dem Zusammenhang der Werkstätten stammenden Blättern umfangreiches Material an die Hand, um Fragen nach der Autonomie und Heteronomie von Zeichnungen zu stellen. Dafür ist den Autoren vorbehaltlos zu danken und es ist zu hoffen, dass der bereits avisierte Band zu den Barockzeichnungen in selber Qualität erscheinen kann.
Anmerkungen:
[1] Nicht aufgenommen wurde der große Block von Zeichnungen aus der mitteldeutschen Cranach-Werkstatt, deren wissenschaftliche Bearbeitung genauso wie die der norddeutschen Zeichnungen einem eigenen Band vorbehalten bleiben soll.
[2] Rainer Schoch: Meister der Zeichnung. Höhepunkte aus einer einzigartigen Sammlung der Erlanger Universitätsbibliothek, in: Museumszeitung 25, 18.3.2008, 8.
[3] Elfried Bock: Die Zeichnungen in der Universitätsbibliothek Erlangen, 2 Bde., Frankfurt am Main 1929.
Peter Prange