Thomas Wilke: Innendekoration. Graphische Vorlagen und theoretische Vorgaben für die wandfeste Dekoration von Appartements im 17. und 18. Jahrhundert in Frankreich (= Schriftenreihe des Kunsthistorischen Instituts der Universität Stuttgart; Bd. 3), München: Scaneg 2016, 2 Bde., 782 S., 1378 s/w-Abb., ISBN 978-389235-233-4, EUR 150,00
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Mit seinem zweibändigen Werk gelingt es Thomas Wilke, einen umfassenden wie tiefgreifenden Überblick über die Entwicklung der Innendekoration in der französischen Vorlagengrafik des 17. und 18. Jahrhunderts zu erarbeiten. Die klassische Unterteilung in Text- und Katalogband ist zur Aufarbeitung der umfangreichen Materialfülle klug gewählt und erlaubt es, der in chronologischer Reihenfolge erfolgenden Analyse ein wertvolles Nachschlagewerk beizuordnen, das alle in diesem Bereich der französischen Druckgrafik tätigen Künstler verzeichnet.
Arbeiten zur Vorlagengrafik für Innenausstattungen sind in der Forschung rar. [1] Wilke begreift sie in seiner Untersuchung, die auf der 2012 an der Universität Stuttgart angenommenen Dissertation beruht, erstmals als eigenständige Gattung. Dabei konzentriert er sich ausschließlich auf Elemente der wandfesten Ausstattung: Decken, Böden, Wände, Türen, Kamine und Alkoven. Vorlagen zu Möbeln wie auch Ornamentstiche für Einzelformen wurden daher nicht in die Untersuchung aufgenommen.
Die Entwicklungsgeschichte der druckgrafischen Innendekoration-Vorlagen wird chronologisch anhand von Einzelstudien der wichtigsten Akteure abgearbeitet. Die gattungsinhärente Problematik der kollektiven Autorenschaft (entwerfende und ausführende Künstler, Verleger) hebt der Autor eingangs hervor. Nach einer kurzen historischen Einordnung folgen zu jedem Akteur kurze biografische Informationen und Erläuterungen bezüglich des Anteils besagter Vorlagenstiche im jeweiligen Gesamtwerk. Anschließend werden die verschiedenen dargestellten Elemente der wandfesten Ausstattung auf dort fassbare Neuerungen und Übernahmen im Vergleich zu anderen Vorlagen beleuchtet. Im gesamten Untersuchungszeitraum machen dabei Kamine den Löwenanteil aus.
Dem ohnehin weit gefassten Untersuchungszeitraum - vom Beginn des 17. bis Ende des 18. Jahrhunderts - wird die Entwicklungsgeschichte grafischer Vorlagen von Innendekorationen in illustrierten italienischen Architekturtrakten vorangestellt. Aufgrund der intensiven Italienrezeption formierte sich, so Wilke, im Frankreich des 16. Jahrhunderts die "Gattung des architektonischen Musterbuchs aus Tafeln, das einen Vorläufer der graphischen Vorlagen im Innenraum in Buchform darstellt" (38). Im Zuge dessen wird Jacques I Androuet Ducerceau als erster französischer Entwerfer von Innenraum-Vorlagen bezeichnet, der mit wesentlich mehr Varianten von Kaminentwürfen nunmehr den Italiener Sebastian Serlio übertraf.
Die zeitliche Einordnung der Hauptakteure des 17. und 18. Jahrhunderts erfolgt nach Stilperioden - von den "Pioniere[n] in Frankreich" über "France baroque?" und "Style classique", "Régence", "Genre pittoresque" bis hin zum Klassizismus. Wilke stellt fest, dass bereits in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Grundregel, einen Kamin gegenüber der Eingangstür anzuordnen, von Louis Savot und Pierre Le Muet formuliert wurde. Für die zweite Jahrhunderthälfte arbeitet er besonders den Einfluss Jean Lepautres heraus. Von der Kunsttischlerei kommend, realisierte dieser unzählige grafische Folgen zu Kaminen, Alkoven, Wandvertäfelungen und Decken. Seine Kaminentwürfe weisen noch einen block- und trapezförmigen Aufbau auf, jedoch zeichnet sie eine Fülle plastischer Dekorationen aus, sowie die Tendenz, den oberen Kaminmantel mehr und mehr in die Wandfläche zu integrieren. Zudem kann Wilke nachweisen, wie Lepautres Formensprache auch nach seinem Tod 1682 durch seinen Neffen Jean Dolivar und seinen Schüler, Marguerin Daigremont, fortgeführt wurde (72).
Zur Jahrhundertwende bestimmte vor allem sein Sohn Pierre Lepautre die Entwicklung zur Cheminée à la royale, welche durch den technischen Fortschritt bei der Spiegelherstellung ermöglicht wurde. Auch die neue Gestaltungsweise für Wandpaneele, bei der geschnitzte plastische Ornamente auf den Rahmen übertragen werden, lassen sich bereits bei Pierre Lepautre erkennen. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gewannen somit Ornamentschnitzer zunehmend an Bedeutung. Oftmals waren diese für die detaillierte Ausgestaltung der Einzelformen zuständig, während der Architekt nur noch die Position des Ornaments auf der Wand andeuteten, wie Wilke anhand von Nicolas Pineaus Drucken dokumentiert.
Jacques François Blondel stellte dagegen den Vorrang der Architektur gegenüber dem Ornament heraus. Wie Charles-Étienne Briseux publizierte Blondel Darstellungen von Spiegel-, Alkoven- und Türbekrönungen mit detailliert ausgestalteten Schnitzereien. Am Beispiel von Briseux beweist Wilke, wie trotz des Einsatzes von Rocaille der Wandgliederung ein symmetrischer Entwurf zugrunde liegt. Ab der Jahrhundertmitte dominiere dann wiederum die Feldgliederung der Wand mit meist rechtwinkligen Paneelen, und für die offizielleren Räume eines Appartements seien Pilaster- und Säulenstellungen nunmehr fast obligatorisch geworden (180).
Abschließend unterscheidet Wilke zwei Publikationsformen von Innenraum-Vorlagen zwischen 1600 und 1789: Entweder seien die Vorlagen als lose Folge erschienen, wie beispielsweise die Sammelbände Gilles-Marie Oppenordts, die größtenteils nach seinem Tod 1742 veröffentlicht wurden. Oder sie wurden in Architekturbücher integriert. Bei letzteren interessiert sich Wilke für das Verhältnis von Grafik und Text. Waren bei Jean-Baptiste Leroux' vor 1703 entstandenen Nouveaux Lambris nur kurze Erklärungen zu finden, so entwickelten sie sich bei Jacques-François Blondels Maison de Plaisance (1737/38) zu erläuternden Textpassagen. Ende des 18. Jahrhunderts wurden diese in Blondels und Pierre Pattes Cours d'architecture (1771-77) durch eine historische Einordnung ergänzt.
Einen wichtigen Teil von Wilkes Untersuchung bildet die Aufarbeitung formaler Kriterien der grafischen Vorlagen. Neben grundlegenden Erläuterungen zu üblichen Abkürzungen und Angaben wie Titel, Widmung oder Adresszeilen erläutert der Autor fehlende Beschriftungen. Die Abwesenheit von Jahreszahlen auf zahlreichen Kupferstichen stellt sich als Verkaufsstrategie der Verleger heraus. Stiche, die bereits in Paris aus der Mode gekommen waren, konnten so weiterhin in der Provinz oder im Ausland verkauft werden (206).
Insgesamt wären eine stärkere Thesenbildung sowie ein kurzes Zwischenfazit zum Verständnis der Entwicklungsgeschichte und Orientierung des Lesers hilfreich gewesen. Allerdings stellt Wilkes akribische und detaillierte Vorgehensweise bei der Zusammenstellung des 211 Personen verzeichnenden Katalogs eine beeindruckende Leistung dar, die es an dieser Stelle nochmals zu würdigen gilt. Es liegt mit dieser Untersuchung nun ein umfassendes Nachschlagewerk vor, das eine gute Basis für weiterführende Studien sein wird.
Anmerkung:
[1] Sie wurden bisher nur am Rande im Rahmen von Untersuchungen zur Grafik im Allgemeinen (Peter Fuhring: Ornament prints in the Rijksmuseum II. The seventeenth Century, 3 Bände, Rotterdam 2004), zum stilistischen Wandel von Dekorationen (Nicolas Courtin: L'art d'habiter à Paris au XVIIe siècle: l'ameublement des hôtels particulièrs, Dijon 2011) oder zu Monografien einzelner Architekten und Künstler (Alexandre Gady: Jules Hardouin-Mansart - Architecte et ingénieur du Rois, Paris 2011) abgehandelt.
Miriam Schefzyk