Marcin Starzyński: Das mittelalterliche Krakau. Der Stadtrat im Herrschaftsgefüge der polnischen Metropole. Aus dem Poln. übers. von Christian Prüfer und Kai Witzlack-Makarevich, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2015, XII + 223 S., ISBN 978-3-412-22382-3, EUR 32,90
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Krakau, eine nach deutschem (Magdeburger) Recht 1257 neugegründete Stadt, entwickelte als letzte Stufe städtischer Selbständigkeit einen Stadtrat. Ab 1312 bestand er aus acht gewählten Mitgliedern, erlangte im Laufe des 14. Jahrhunderts immer mehr Kompetenzen und hatte schließlich legislative und exekutive Zuständigkeiten. Spätmittelalterliche Stadtkonflikte, so etwa 1406 die Hinrichtung des Ratsherrn Andreas Wirsing und die antijüdischen Ausschreitungen 1407, führten in der Folge zu einer Aufstockung des Rates auf sechzehn Mitglieder mit Beteiligung der Zünfte. Diese spannende Zeit ist Gegenstand einer grundsoliden Dissertation zum Krakauer Stadtrat von Marcin Starzyński, Mediävist am Institut für Historische Hilfswissenschaften der Universität Krakau.
Aus einer Kooperation des renommierten Münsteraner Instituts für vergleichende Städteforschung und dem Deutschen Historischen Institut (DHI) Warschau entstand die zu besprechende Übersetzung der polnischsprachigen Originalfassung über die "polnische Metropole" Krakau - die "führende Metropole des spätmittelalterlichen polnischen Königreiches", wie der Mediävist Eduard Mühle, seinerzeit Direktor des DHI und nun an der Universität Münster tätig, in seiner Vorbemerkung konkretisiert (X-XI). Die Originalfassung der Untersuchung von 2010 [1] spricht im Titel gar nicht und im Text eher zurückhaltend von Hauptstadt, sondern ganz allgemein von Stadt. Die immerhin 408 Seiten starke Originalarbeit ist im Zuge der Übersetzung um die Quellenanhänge gekürzt worden, vor allem um das rund 100 Seiten umfassende, chronologische Verzeichnis der 325 fassbaren Mitglieder des Krakauer Rates (im polnischen Original Anhang I). Dieses sei für deutschsprachige Leser "mit den lateinischen und niederdeutschen Namensangaben und Amtsbezeichnungen ohne Weiteres verständlich und benutzbar", so Mühle (XI). Das mag sein, allerdings sind nur sehr wenige Exemplare des polnischen Originals in deutschen Bibliotheken nachweisbar. Starzyński hat vor allem mit dieser Liste Grundlagenforschung betrieben, und man fragt sich, warum gerade dieser prosopografische Quellenteil nicht zur (bequemen) Verfügung gestellt wurde, hätte er doch kaum Übersetzungsarbeit, sondern nur Druckkosten verursacht.
An der Übersetzungsleistung von Christian Prüfer und Kai Witzlack-Makarevich gibt es nichts auszusetzen, ihnen gelingt die Übertragung der Begrifflichkeiten und des kleinteiligen Duktus des Originals gut, das sich freilich bisweilen im Detail verliert. Hier hätte vermutlich eine kürzende Hand zugunsten einer breiteren Darstellung der Schlussfolgerungen und Ergebnisse gut getan. So bleiben die in der Vorbemerkung angekündigten Anknüpfungen an die "jüngere[n] stadtgeschichtliche[n] Diskurse (z. B. Rituale, Rats-Memoria, Herrschen durch Ratsgeschenke)" (XI) zu knapp und unpräzise thematisiert, obgleich das Material diese Analyse tatsächlich hergegeben hätte. Allein letzterwähntes Thema findet in dem Kapitel "Geschenke als Mittel zur Politikausübung" seinen expliziten Niederschlag. Starzyński führt hier im Anschluss an Valentin Groebners These der gefährlichen Geschenke [2] die vom Stadtrat gemachten Geschenke auf - sie waren insgesamt ordentlich in den Rechnungsbüchern festgehalten und konnten zwischen 10 und 25 Prozent der Jahreseinnahmen der Stadt ausmachen. Welche spezifische Politik - außer der allgemeinen Stärkung einer Beziehung zu den Beschenkten - allerdings nun daraus folgte, bleibt offen. Interessant ist im Falle Krakaus das vielfältige Netzwerk zwischen dem sich dort nun ständig aufhaltenden Königshof, dem kirchlichen Zentrum, der Universität und dem Handelszentrum. Zwei knappe Exkurse gehen im Ansatz hierauf ein: zu den Bemühungen um das Patronat der Marienkirche und zu der Erneuerung der Universität. Hier ist auf jeden Fall noch Potenzial für weitere Forschungen.
Der Band wird abgerundet durch eine Aufzählung der mittelalterlichen Krakauer Willküren, die Starzyński in einem zentralen Kapitel zu den rechtlichen Kompetenzen des Stadtrates behandelt. Sie lassen sich in drei Kategorien einordnen: Willküren zu den Strukturen der Stadt, Willküren zum Straf- und Privatrecht sowie Willküren zu Regelungen von Handelsbeziehungen, Tarifen, Preisen, Vorschriften zur Produktion und zum richtigen Gebrauch von Gewichten. Wenn etwa 1367 mit der Verbreitung des Backsteinbaus Bauvorschriften und Brandschutzreglungen getroffen wurden, Wasserleitungen geplant und eine Art "Kehrwoche" zur Reinhaltung der Straße organisiert wurde (92), so erfahren wir beiläufig einiges über das Alltagsleben dieser deutschrechtlichen Städte. Vor allem aber zeigt sich der zunehmende Ordnungs- und Regulierungswille spätmittelalterlicher Städte. Hier wäre eine Chance zu einer stärkeren Einordnung und Kontextualisierung Krakaus auch mit Hilfe von mehr internationaler Forschungsliteratur gewesen, die die überzeugende Auswertung der umfangreichen polnischen Fachliteratur an einigen Stellen gut ergänzt hätten.
Krakau, im Spätmittelalter noch eine bedeutende Großstadt unter vielen, entwickelte sich erst mit zunehmender Residenzbildung, dem Ausbau des kirchlichen Zentrums, der Universität, der Hofkultur und -kunst zu einer überregionalen Metropole der Renaissancezeit. Für unser Verständnis dieses Weges bildet die vorliegende Arbeit einen wichtigen Baustein.
Anmerkungen:
[1]: Marcin Starzyński: Krakowska rada miejska w średniowieczu [Der Krakauer Stadtrat im Mittelalter], Kraków 2010.
[2]: Valentin Groebner: Gefährliche Geschenke. Ritual, Politik und die Sprache der Korruption in der Eidgenossenschaft im späten Mittelalter und am Beginn der Neuzeit, Konstanz 2000.
Karen Lambrecht