Fritz Brechtel / Christoph Schäfer / Gerrit Wagener (Hgg.): LUSORIA RHENANA. Ein römisches Schiff am Rhein. Neue Forschungen zu einem spätantiken Schiffstyp, Hamburg: Koehlers Verlagsgesellschaft 2016, 287 S., zahlr. Farbabb., ISBN 978-3-7822-1268-7, EUR 29,90
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Christoph Schäfer: Kleopatra, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2006
Christoph Schäfer: Lusoria. Ein Römerschiff im Experiment. Rekonstruktion, Tests, Ergebnisse, Hamburg: Koehlers Verlagsgesellschaft 2008
Tatjana Timoschenko / Angelika Meier / Christoph Schäfer (Hgg.): Alte Geschichte multimedial: Analyse, Realisierung und Evaluation. Beiträge einer Tagung in Sankt Katharinen vom 14.04.-15.04.2005, Gutenberg: Computus 2009
Antike Schiffsrekonstruktionen haben Konjunktur: Gerade hat Boris Dreyer von der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg die Rekonstruktion eines römischen Flusskriegsschiffs angekündigt [1], an der Universität Trier bereitet Christoph Schäfer gerade den Nachbau eines Handelsschiffes vor. [2] Im vorliegenden Band wird Schäfers bislang letztes Schiffsprojekt beschrieben. Die Lusoria Rhenana ist nach der Lusoria Regina und der Victoria das dritte römische Flusskriegsschiff, welches unter seiner Ägide entstand. Dabei wurde zum zweiten Mal die Konstruktion des spätantiken Typs navis lusoria gewählt, die schon 2004 in Regensburg realisiert worden war. Damals hatten jedoch kurz nach der Fertigstellung neue Untersuchungen nahegelegt, dass der dem Projekt zugrundeliegende archäologische Befund anders zu interpretieren sei. [3] Zur Überprüfung des Einflusses der neuen Daten auf die Ergebnisse von 2004 erschien ein erneuter Nachbau dieses Typs sinnvoll. Auf Initiative von Vertretern des Landkreises Germersheim konnte dieser in den Jahren 2009-2012 ausgeführt und erprobt werden.
Das vorliegende Werk lässt sich grob in zwei Arten von Beiträgen einteilen: rein beschreibende, die Entstehung und Verlauf des Projektes schildern, sowie analysierende und kontextualisierende. Zu letzteren gehören die zwei Aufsätze von Ronald Bockius, die sich mit den archäologischen Grundlagen befassen: den Mainzer Wrackfunden des Jahres 1981. Zunächst stellt Bockius die Topografie des Fundplatzes Löhrstraße vor. Dieser sei kein Flusshafen gewesen, sondern ein Abfallgelände, auf dem man die Schiffe einst sich selbst überlassen hatte (41). Daneben weist Bockius auf einige inzwischen verlorene Funde neben den Militärschiffen hin, die mehr Beachtung in der Forschung verdient hätten (35-36). Bedeutend für das Verständnis des erneuten Lusoria-Nachbaus ist sein zweiter Beitrag, in welchem die Entstehung der Interpretation durch Olaf Höckmann ebenso nachgezeichnet wird, wie der Weg zur Neubewertung durch Bockius selbst. Schon die problematischen Umstände der Wrackbergung hätten letztlich zur gut vier Meter zu langen Rekonstruktion Höckmanns geführt (45). Dessen jüngste Verteidigung seiner Längenrekonstruktion, bei der er besonders auf seine Beobachtungen an den Wracks in situ und seine genaue Kenntnis der Fundumstände hinweist, war offenbar noch nicht wahrgenommen worden. [4]
Zentral sind neben diesen vor allem die Beiträge von Christoph Schäfer und Christian Nitschke, die das gesamte Projekt in den spätantiken Kontext einordnen. Schäfer setzt den Schiffstyp in Bezug zu den literarischen und ikonografischen Quellen. Aus den Schriftquellen werden die diversen Einsatzfelder der Lusorien herausgearbeitet. Bei den Münzbildern (203) wäre eine Auseinandersetzung mit der revidierten Ansicht Höckmanns interessant gewesen, der inzwischen die auf Postumus-Prägungen auftauchenden Schiffe nicht mehr für Vorläufer des Lusoria-Typs hält. [5]
Nitschke fasst zum einen die antike Vorgeschichte Germersheims zusammen, welches auf Basis des spätantiken Staatshandbuchs notitia dignitatum wahrscheinlich mit dem dort genannten Vicus Iulius identifiziert werden kann. Als Belegschaft nennen die notitia eine Abteilung milites. Für die bislang unsichere Einsatzweise dieses Einheitentyps in der Spätantike macht Nitschke einen neuen Vorschlag. Da diese fast ausnahmslos an befahrbaren Gewässern und in Grenznähe nachgewiesen seien, hält er sie für kleinere Abteilungen, die jeweils mit einigen Lusorien für die flussgestützte Grenzsicherung in einem bestimmten Abschnitt sorgen sollten (159-161). Der Begriff milites weise allerdings eigentlich auf Heeres- und nicht Marinesoldaten hin. An dieser Stelle schlägt Nitschke den Bogen zu den Testfahrten mit Schiffsnachbauten, die ergaben, dass auch Ungeübte den Umgang mit diesen Schiffen schnell hätten erlernen können. Die milites hätten also sowohl als Rudermannschaft, als auch als Kampftruppe fungiert (160). Diese hätten jedoch gegen plündernde Germanen erst auf deren Rückweg über den Rhein ihre Effizienz bewiesen, worauf die zahlreichen spätantiken Hort- und Schatzfunde aus dem Stromgebiet hinweisen (158).
In einem kleinen Schlussteil behandeln drei Beiträge die detaillierte technische Analyse der Ergebnisse und setzen diese in Relation zu den Vorgängerprojekten sowohl im Modellversuch der Schiffsversuchsanstalt (231-235), als auch beim Original (236-250). Die grundlegenden Erkenntnisse aus dem ersten Lusoria-Nachbau werden zwar von diesen wie auch von Schäfer (211) nicht abgeändert: Gute Manövrierbarkeit, Schnelligkeit und einfache Handhabung auch für unerfahrene Besatzungen bleiben die entscheidenden Merkmale des Schiffstyps. Jedoch schließen die Autoren aus den technischen Analysen auf eine nochmal höhere Effizienz der Lusoria Rhenana gegenüber ihrer Regensburger Vorgängerin und stützen damit die Rekonstruktion nach Bockius.
Bei Arne Döpke und Gerrit Wagener (59-102) wird zudem der Nutzen eines wiederholten Baus für die experimentelle Archäologie deutlich. In mehreren Punkten machen die Schiffsbauer auf Lerneffekte aus den Erfahrungen mit der Lusoria I und der Victoria aufmerksam, durch die besonders Details im Bereich der Riemen und des Ruders, die der archäologische Befund nicht hergab, verbessert worden seien (86-87, 91, 94-95).
Der Band ist durchweg angenehm zu lesen und ausführlich bebildert. Dies und ein Glossar im Anhang helfen beim besseren Verständnis der zahlreichen technischen und nautischen Begriffe. Insgesamt wird der Betonung der erfolgreichen Zusammenarbeit unterschiedlicher Disziplinen und Personengruppen viel Raum gewährt. Erfreulicherweise steht die Lusoria Rhenana seit ihrer Fertigstellung dem Publikum für verschiedene Zwecke zur Verfügung, die ebenfalls in einem der Beiträge vorgestellt werden (218-230). Mit der nachhaltigen Nutzung dürften dieses Projekt und das dazugehörige Buch den gegenwärtig schweren Stand der altertumswissenschaftlichen Fächer in der öffentlichen Wahrnehmung verbessern.
Anmerkungen:
[1] https://www.fau.de/2016/12/news/panorama/rudern-wie-die-roemer-fau-baut-roemisches-boot-in-originalgroesse/.
[2] https://www.uni-trier.de/fileadmin/fb3/GES/R%C3%B6merschiff_Unijournal_1_neu3-2016_Final_Juni-3.pdf.
[3] Ronald Bockius: Die spätrömischen Schiffswracks aus Mainz. Schiffsarchäologisch-technikgeschichtliche Untersuchung spätantiker Schiffsfunde vom nördlichen Oberrhein, Mainz 2006.
[4] Olaf Höckmann: Die spätrömische Lusoria (Typ Mainz A), in: Kölner Jahrbuch 42 (2009), 593-615.
[5] S. Anm. 4, hier: 610-611.
Simon Thijs