Karin Gludovatz / Juliane Noth / Joachim Rees (eds.): The Itineraries of Art. Topographies of Artistic Mobility in Europe and Asia (= Berliner Schriften zur Kunst), München: Wilhelm Fink 2015, 323 S., Zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-3-7705-5795-0, EUR 39,90
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Veränderungen von Raumordnungen rückten im Zuge der Globalisierung vermehrt in den Blick. Wie diese Räume definiert und gedeutet werden, steht dabei keineswegs fest und bedarf Vorschläge aus unterschiedlichen Disziplinen. So hat beispielsweise Sigrid Weigel in die Debatte um den Spatial Turn die topografische Beschreibung eingebracht. In Abgrenzung der deutschen Kulturwissenschaften von den amerikanischen Cultural Studies macht Weigel einen Raumbegriff stark, der historische, mediale und territoriale Konstruktionen berücksichtigt. [1] Damit möchte die Autorin Fragen nach einer eurozentrischen Formierung von Räumen durch Projektionen von Eigenem auf das Andere ebenso wie kausale Zusammenhänge zwischen Räumen, historischen Ereignissen und sozialen Handlungen in den Hintergrund rücken und stattdessen mit der Betonung des 'Grafischen' in der Topografie die Lesbarkeit kultureller Zeichen für die Konstruktion von Raum sowie Zuschreibungsprozesse an Raumkonstellationen fokussieren.
Vorliegender Sammelband stellt ein Interpretationsmodell vor, das Raumkonzepte und künstlerische Mobilität gleichermaßen analysiert und so die Ansätze des Spatial Turns um einen anregenden, wichtigen und nützlichen kunsthistorischen Analyserahmen erweitert. Situationen vor Ort und regionale Bezugnahmen in den Werken der Schaffenden dienen in den Artikeln als Ausgangspunkte, um Verflechtungen zwischen Topografien und künstlerischer Bildproduktion vom späten 16. bis ins späte 18. Jahrhundert zu untersuchen. Zentrale Elemente frühneuzeitlicher Mobilität, so führen Juliane Noth und Joachim Rees in ihrer Einleitung aus, sind Bewegung, Repräsentationen und Praktiken (16). Den Herausgeberinnen und dem Herausgeber ist es wichtig, bestehende Narrative der westlichen Kunstgeschichtsschreibung zu erweitern. Dieses Ansinnen zeige sich beispielsweise darin, dass Künstlerinnen- und Künstlerreisen nicht nur aus Interesse an den jeweiligen Künstlerinnen- und Künstlerbiografien in den Blick genommen, sondern als Teil von Netzwerken verstanden werden und als situiert in politischen Kontexten. Ebenso zeigt sich der innovative Ansatz des Sammelbandes in der Annahme, dass materielle und mediale Bedingungen für Repräsentationen von Mobilität genauso zentral sind wie Möglichkeiten des Transports der Objekte und der Trägermedien. Diese Relation von repräsentierter und repräsentierender Dynamik berücksichtigen die Artikel zusätzlich in Bildern und Objekten verschiedener Kulturen (17). Die Herausgeberinnen und der Herausgeber machen deutlich, dass Fragen von Raumkonstruktionen und damit verbundenen kulturellen Aushandlungsprozessen schon in der Frühen Neuzeit aktuell waren und dass künstlerisches Handeln relational zu Raumkonzepten steht. Indem sowohl europäische als auch asiatische Artefakte Beachtung finden sowie Gemälde, Zeichnungen, Grafiken, Objekte und Gebrauchsgegenstände, unternimmt der vorgestellte Rahmen eine Erweiterung des Gegenstandsbereichs frühneuzeitlicher Kunstgeschichtsschreibung sowohl in medialer als auch geografischer Hinsicht.
Die zehn Beiträge des Sammelbandes dokumentieren die gleichnamige Jahrestagung der DFG-Forschergruppe "Transkulturelle Verhandlungsräume von Kunst", die im Mai 2013 am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin und im Museum für Asiatische Kunst Berlin stattfand. Die Sektionsüberschriften der Artikel "Art Histories of the Route: Trancultural Approches", "Symbolic Itineraries and Topographies: Framing Roads and Routes" sowie "Crossroads as Contact Zones: Artefacts of Interaction" stellen Raumordnungen auf methodischer, bildimmanenter und praxeologischer Ebene vor. Methodologisch grundlegende Überlegungen zur Frage, wie Bilder und Objekte sowohl Aussagen auf der Makroebene, also Befunde über transkulturelle Begegnungen, erlauben, als auch das Dickicht von lokalen Gegebenheiten auf der Mikroebene berücksichtigen können, führt Monica Juneja aus. Anhand ihrer Analyse von frühneuzeitlichen Bildern, die an nord- und südindischen Höfen der Moghul-Zeit Formen des Sehens thematisieren, entwickelt die Autorin einen Horizont jenseits teleologischer und universalistischer Narrative der europäischen Kunstgeschichte. Von besonderem Interesse ist für Juneja, wie kulturell unterschiedliche Konzeptionen des Sehens auf den Blättern miteinander in Beziehung gesetzt werden. Diese "transactions with alterity and mimesis" (71) lassen auch immer Aussagen über historisch spezifische Bildpraktiken zu. Deren Pluralität trägt Juneja wiederum methodisch Rechnung, indem sie christliche, islamische, persische und indische Darstellungstraditionen räumlichen Sehens gleichermaßen analysiert.
Sophie Annette Kranen untersucht die Relation von geografischen Karten und Anthropologie. 1784 publizierte die Royal Admiralty in drei Textbänden und einem Bildband, betitelt Atlas, mit 61 Drucken nach Zeichnungen von John Webber, die Chronologie von James Cooks dritter Reise der Jahre 1776 bis 1780. Eine große Weltkarte zu Beginn des Bildbandes, auf der alle drei Cook-Reisen inklusive der Daten eingezeichnet sind, führt eine universelle "spatio-temporal structure" (134) für die Erfassung der Welt ein. Mit dem neu präsentierten geografischen Wissen wird gleichzeitig eine "great map of mankind" (134) und damit eine Entwicklungsgeschichte zur Anschauung gebracht. Kranen zeigt auf, dass in gleichem Maße, wie die Welt präzise vermessen wird, eine Bewertung der verschiedenen Kulturen nach Entwicklungsstadien erfolgt. Kriterien für den vermeintlichen Grad der Zivilisation sind Subsistenzwirtschaft und die Verbindung zur europäischen Antike.
Die Handelswege sogenannter Delfter Keramikfliesen und damit einhergehende politische Identitätskonstruktionen in verschiedenen nordeuropäischen sozialen Milieus, lokalen sowie historischen Kontexten analysiert Evelyn Reitz in ihrem Aufsatz. Die Fliesen als "Vehicles of Exchange" (235) zu verstehen, lässt sowohl Aussagen über deren Handelswege zwischen Nordsee und Baltikum zu als auch über die stabilisierende Wirkung der eindeutig erkennbaren Delfter Fliesen. Für deren Gebrauch in aristokratischen Kreisen, beispielsweise im bayerischen Schloss Nymphenburg, spielte auch die Nähe der weiß-blauen Farbgebung zu feinem chinesischem Porzellan eine wichtige Rolle, das im 17. Jahrhundert auf den Handelswegen der niederländischen East India Company nach Europa kam.
Schon die wenigen hier vorgestellten Analysen machen deutlich, wie vielfältig die wechselseitigen Bezüge zwischen topografischen Raumordnungen und visueller sowie materieller Kultur in der Frühen Neuzeit waren. Ein großer Verdienst dieses anregenden Sammelbandes besteht darin, künstlerisches Schaffen und die Interpretation von Artefakten in ein Wechselverhältnis mit globalen Handelswegen und mit Routen des kulturellen Austauschs zu setzen. Die gewählte transkulturelle Perspektive des Sammelbandes bereichert den Spatial Turn um die Erkenntnis, dass frühneuzeitliches Handeln ein Angebot ist, sich mit bestehenden Raumordnungen in der globalisierten Welt auseinanderzusetzen.
Anmerkung:
[1] Sigrid Weigel: Zum 'topographical turn'. Kartographie, Topographie und Raumkonzepte in den Kulturwissenschaften, in: KulturPoetik. Zeitschrift für kulturgeschichtliche Literaturwissenschaft 2 (2002), H. 2, 151-165.
Silke Förschler