Guido Grünewald (Hg.): Alfred Hermann Fried: Organisiert die Welt! Der Friedens-Nobelpreisträger - sein Leben, Werk und bleibende Impulse (= Schriftenreihe Geschichte & Frieden; Bd. 36), Bremen: Donat Verlag 2015, 272 S., ISBN 978-3-943425-50-5, EUR 16,80
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Alfred Hermann Fried (1864-1921) war 1911 - zusammen mit dem Juristen T.M.C. Asser - Friedensnobelpreisträger. Zur 100. Wiederkehr des Ereignisses veranstaltete der Herausgeber in Potsdam ein Symposium, dessen Ergebnisse hier recht spät vorgelegt werden. In Wien geboren, wirkte Fried einige Jahrzehnte in Berlin. Dort gründete er 1892 die Deutsche Friedensgesellschaft und kehrte später nach Wien zurück. Während des Ersten Weltkriegs lebte er in der Schweiz. Er rief u.a. die heute noch erscheinende Zeitschrift "Die Friedenswarte" ins Leben und arbeitete eng mit Bertha von Suttner zusammen - eine Zusammenarbeit, aus der es 5000 Briefe geben soll. Er war nicht akademisch ausgebildet, vertrat aber einen "Pazifismus" - das Wort wurde damals gerade geprägt -, das er mit dem Etikett "revolutionär" versah. Das war schon missverständlich, so dass er auch vom "ursächlichen Pazifismus" sprach. Mit ersterem meinte er das Gegenteil von reformerisch, er glaubte, man müsse grundsätzlicher die Welt verändern, nicht nur oder primär durch Schiedsgerichte oder ähnliche Maßnahmen. Man würde heute eher von einem kurativem als von einem präventivem Ansatz sprechen. Eingebettet war dieser "wissenschaftliche Pazifismus" in einen Fortschrittsglauben, der Krieg einer zu überwindenden anarchischen Welt zuordnete. Kampf werde es immer geben, nur Krieg sei irrational, und dagegen müsse man aufstehen.
Fried ließ sich von Jan Bloch, dem polnischen Kriegstheoretiker, stark beeinflussen, der in sechs Bänden, um 1900 in vielen Sprachen vorliegend, ausführte, dass Krieg sich nicht lohne und auf Heller und Pfennig ein falscher Ansatz sei. Bei aller Diagnose von Kriegsgefahren, so besonders ab 1912, durchzog Frieds umfängliches Werk von mehr als 40 selbständigen Publikationen doch ein grundsätzlicher Fortschrittsoptimismus. Als Zar Nikolaus II. im August 1898 zu einer allgemeinen Friedenskonferenz mit dem Ziel der Abrüstung einlud, kommentierte Fried: "Die Friedensidee hat eine Siegesnachricht zu verzeichnen. [...] Alle Mann an Bord... alle Mann zu den Waffen des Geistes: 'der Friede ist ausgebrochen'." (132) Oder anders zu Kriegsbeginn 1914: "An Clausewitz anlehnend, können wir sagen: Der Krieg ist die Fortsetzung der Friedensarbeit, nur mit anderen Mitteln." [1] Immer wieder zeigte sich Fried optimistisch über einen guten Weg in die Zukunft, benutzte aber auch in charakteristischer Brechung die Militärsprache der Zeit. Über Wilhelm II. verfasste er den Band "Der Kaiser und der Weltfrieden" (1910). Ein solcher Optimismus, der heute eher grotesk wirkt, findet sich bei Fried öfter.
Wie kann man an Fried heute herangehen? Zwei Wege bieten sich an: Man kann ihn als Zeitgenossen in einer deutschen und internationalen Intellektuellen- und Kulturszene sehen, zeigen, warum und wie sehr er Außenseiter blieb, warum seine Ideen nicht zur praktischen Politik wurden. Man kann ihn aber auch in der Tradition von Vorkämpfern für eine bessere oder friedlichere Zukunft sehen, eines damals - relativ - einsamen Rufers in der Wüste, dessen Ideen erst später genauso oder mit leichten Modifikationen Gültigkeit erlangten, ja sogar in die Wirklichkeit umgesetzt wurden. Beides geschieht in diesem Band zum Teil nebeneinander, wobei neben der Historisierung auch versucht wird, das Werk eines großen Pazifisten als Gesamtkonzept oder durch einzelne Zitate für die Gegenwart nutzbar zu machen.
Insgesamt enthält der Band zwölf Beiträge, die sektoral versuchen, Frieds Werk einzukreisen oder bis zur Gegenwart oder von der Gegenwart her zu argumentieren. Diese Gliederung "Fried und..." hat Vorteile, führt jedoch zu zahlreichen Wiederholungen biographischer Details, auch von Zitaten, wobei viele sprechende Zitate auch erstmals zutage gefördert werden. Ein anschauliches Lebensbild gibt seine Biographin Petra Schönemann-Behrens. Die Einbettung in eine Fried nicht gerade freundlich gesinnte europäische Situation liefert mit knappen Pinselstrichen Christoph Jahr: Militarismus, Nationalismus, Antisemitismus. Auch weil ihm Herausgeber Grünewald einleitend mit Blick auf Deutschland widerspricht, ist das für den Band ein bisschen wenig. Am aufschlussreichsten stellt Peter van den Dungen das Konzept Frieds vor und weist besonders auf Bloch hin. Sandi Cooper bettet ihn in die internationale Friedensbewegung der Zeit insgesamt ein. Es gibt Beiträge über den Freimaurer mit Ambitionen auf Volksbildung, auf den Friedensjournalisten (lange Zeit vor Johan Galtung!), seine Beziehungen zur Frauenfriedensbewegung, zu Esperanto als Universalsprache, die auch für den Weltfrieden wichtig sei. Grünewald selbst hätte gern mehr über Fried und die Sozialdemokratie in seinem Band gesehen - offenbar hatte Fried gute Kontakte, aber auch ein spannungsreiches Verhältnis. Differenziert schildert Dieter Riesenberger das Schweizer Exil Frieds.
Der Rezensent findet Frieds internationale Anerkennung in seinen Kreisen - signalisiert durch den Friedensnobelpreis im Kontext internationaler Juristen - bemerkenswert, reiht dies sich doch ein in den Aufbruch der Kodifizierung von Völkerrecht, zumal des humanitären Völkerrechts, der seit den 1870er Jahren in Gang kam. [2] Hier hätte man gern noch mehr darüber gewusst, wie sich der Autodidakt in die Schar illustrer Professoren einreihte und wie seine Akzeptanz im Einzelnen aussah. Dazu liest man einiges bei Klaus Schlichtmann, der jedoch größeres Gewicht darauf legt, Fried zum Vordenker für das Kommende zu machen: Das reicht von der Völkerbundsatzung bis zu Artikeln der UN-Charta, die für ihn genau die Ansätze Frieds ausformulieren. Gegenüber einigen relativierenden Bemerkungen Grünewalds in der Einleitung hat Schlichtmann mittlerweile nicht öffentlich, aber doch gegenüber zahlreichen Wissenschaftlern Widerspruch eingelegt.
Ganz in die Gegenwart führen die Beiträge der beiden Politologen und Friedensforscher Dieter Senghaas und Ulrich Schneckener. Senghaas setzt Frieds "ursächlichen Pazifismus", den er lieber "konstruktiv" nennt, mit heutigen Weltordnungsmodellen und zumal seinem zivilisatorischen Hexagon in Beziehung, um dann zu fordern, die "bleibenden Erkenntnisse und Einsichten" von damaligen Pazifisten auch im Lichte aktueller Probleme und deren konstruktiven Lösungen heranzuziehen. Schneckener sieht in Frieds Appell an eine "organisierte Welt" einige Ansätze zu heutiger funktionalistischer Betrachtungsweise und landet nach Ausführungen über gegenwärtige Weltprobleme auch seinerseits bei der Forderung nach einer Organisation der Welt. Ob es zu diesem Unterfangen überhaupt eines unmittelbaren Rückgriffs auf Fried bedarf, lässt sich fragen; fast alle Ansätze sind ohne Kenntnis seiner Schriften entstanden. Dem Rezensenten scheint eine angemessene Historisierung in seiner Zeit wichtiger zu sein als seine neu zu entdeckende Rolle als Impulsgeber der Gegenwart. [3] Jedenfalls: ein anregender Band!
Anmerkungen:
[1] Die Friedenswarte, August/Sept 1914, hier zit. nach http://ww1.habsburger.net/de/kapitel/alfred-h-fried-und-die-friedensbewegung-im-krieg-zwi-schen-zen¬sur-und-spott; vgl. insgesamt die gute Auswahledition: Alfred Hermann Fried: Mein Kriegstagebuch, 7. August 1914 bis 30. Juni 1919, hg. von Gisela Riesenberger / Dieter Riesenberger, Bremen 2005.
[2] Vgl. Martti Koskenniemi: The Gentle Civilizer of Nations: The Rise and Fall of International Law 1870-1960, London 2001; ders.: From Apology to Utopia; The Structure of International Legal Argument, Helsinki 1989.
[3] Vgl. auch die Rezension von Reinhold Lütgemeier-Davin; http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-25464.
Jost Dülffer