Lynn Hunt: Writing History in the Global Era, New York: W.W. Norton & Company 2014, X + 196 S., ISBN 978-0-393-23924-9, GBP 17,99
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Alexander Gallus / Axel Schildt / Detlef Siegfried (Hgg.): Deutsche Zeitgeschichte - transnational (= Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte; Bd. 53), Göttingen: Wallstein 2015, 339 S., 16 s/w-Abb., ISBN 978-3-8353-1708-6, EUR 42,00
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Ludger Grenzmann / Burkhard Hasebrink / Frank Rexroth (Hgg.): Geschichtsentwürfe und Identitätsbildung am Übergang zur Neuzeit. Band 1: Paradigmen personaler Identität, Berlin: De Gruyter 2016
Ines Peper / Thomas Wallnig (eds.): Central European Pasts. Old and New in the Intellectual Culture of Habsburg Europe, 1700-1750, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2022
Lisa Regazzoni: Geschichtsdinge. Gallische Vergangenheit und französische Geschichtsforschung im 18. und frühen 19. Jahrhundert, Berlin: De Gruyter 2020
Detlef Siegfried: Bogensee. Weltrevolution in der DDR 1961-1989, Göttingen: Wallstein 2021
Alexander Gallus (Hg.): Deutsche Zäsuren. Systemwechsel seit 1806, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2006
Axel Schildt / Detlef Siegfried (eds.): Between Marx and Coca-Cola. Youth Cultures in Changing European Societies, 1960-1980, New York / Oxford: Berghahn Books 2006
Die Institutionalisierung von transnationaler und globaler Geschichte schreitet weiter voran. Deutsch- und englischsprachige Veröffentlichungen, welche diese Ansätze im Titel tragen, nehmen kontinuierlich zu. Ebenso beständig steigt seit einigen Jahren die Anzahl von Lehrstühlen an deutschen Universitäten mit transnationaler oder globalhistorischer Ausrichtung. Die beiden hier besprochenen Bücher machen deutlich, dass trotz dieser Entwicklung der genaue Nutzen und die Stoßrichtung von transnationaler und globaler Geschichte weiterhin diskutiert werden. Inwiefern unterscheiden sich die einzelnen Ansätze zur Überwindung einer reinen Nationalgeschichte? Wie verhalten sich diese Ansätze zu Forschungsfeldern, die bislang vor allem von Nationalgeschichtsschreibung geprägt wurden?
Lynn Hunt konfrontiert die Leser ihres Buches "Writing History in the Global Era" bereits in der Einleitung mit einer prägnanten These: Die Geschichtswissenschaft befindet sich in einer Krise. Für Hunt liegt diese Krise vor allem im Verlust großer Paradigmen begründet. Die wirkmächtigen Denkrichtungen, welche die Geschichtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt hätten, wie Marxismus und Modernisierungstheorie, seien seit den 1970er Jahren durch kulturwissenschaftliche Ansätze in die Kritik geraten. Laut Hunt hätten die verschiedenen "Cultural Theories", zu welchen die Autorin unter anderem Poststrukturalismus und postkoloniale Ansätze rechnet, die Eigendynamik von Sprache und Kultur vor Augen geführt. Auf diese Weise sei der ökonomische und soziale Determinismus der bis zu diesem Zeitpunkt tonangebenden Denkrichtungen überzeugend kritisiert worden.
Hunt räumt ein, dass die Debatte um den Einfluss kulturwissenschaftlicher Ansätze in der Geschichtswissenschaft seit einiger Zeit abgekühlt sei. Allerdings bleibt für die Autorin eine wichtige Frage weiterhin unbeantwortet: Sollten Historiker zu den alten Denkrichtungen zurückkehren oder sollten sie gänzlich auf ein übergeordnetes Paradigma verzichten? Weder noch, fällt Hunts eindeutige Antwort aus. Viel eher sollten sich Historiker darum bemühen, neue Paradigmen zu entwickeln, um die Krise der Geschichtswissenschaft zu überwinden.
Aufbauend auf dieser Beobachtung entfacht Hunt vor den Augen ihrer Leserinnen und Leser ein wahres Theoriefeuerwerk. Auf wenigen Seiten breitet sie neuere Ansätze in der Geschichtswissenschaft von der Globalgeschichte über die Neurogeschichte bis hin zur Emotionsgeschichte aus. Hunt zufolge bieten diese die Möglichkeit, ein neues Paradigma zu formulieren. So würde die Globalgeschichte einen Einblick in den viel diskutierten Prozess der Globalisierung erlauben. Neuro- und Emotionsgeschichte wiederum eröffneten ein neues Verständnis des Zusammenhangs von Gesellschaft und Selbst. Dieses neue Verständnis, so Hunt, würde Geschichte als einen gesellschaftsverändernden Prozess darstellen, der durch ein nach Reizen suchendes Selbst angetrieben sei. Schließlich kombiniert Hunt die von ihr vorgestellten Ansätze. Ein Beispiel, an dem sie das Ineinandergreifen von Globalisierung, Selbst und Gesellschaft am Werk sieht, ist die Geschichte von Kaffee und Tee. In dieser Geschichte sei die Suche des Selbst nach neuen Reizen unmittelbar mit tief greifenden gesellschaftlichen Veränderungen und dem Entstehen globaler Handelsströme verwoben.
"Writing History in the Global Era" fußt damit auf einem eindrucksvollen theoretischen Fundament. Allerdings wirken einige von Hunts Setzungen im Detail nicht vollkommen überzeugend. So ist Globalgeschichte nicht zwangsläufig deckungsgleich mit einer Geschichte der Globalisierung. Die Kritik von Historikern an Globalisierung als einem ideologisch aufgeladenen Begriff, der einen alternativlosen Prozess suggeriert, hat zu Debatten über den Nutzen dieses Konzepts in der Globalgeschichte geführt. [1] Ähnlich verhält es sich mit der Emotionsgeschichte, in der Hunts neurowissenschaftliche Gewährsautoren, Antonio und Hanna Damasio, nicht unumstritten sind. [2] Hier zeigt sich das Problem, dass Hunt äußerst dynamische Forschungsfelder beschreibt, denen sie in der Kürze des Buches nur schwer gerecht werden kann. Schließlich bleibt somit auch die Frage der Verallgemeinerbarkeit ihrer theoretischen Grundannahmen offen. Gerade die Übertragung großer Paradigmen auf verschiedene Weltregionen und Gruppen von Menschen wurde durch postkoloniale Ansätze kritisiert. Debatten um Konzepte des Selbst und der Globalisierung in den Regionalwissenschaften zeigen, dass hier ähnliche Fallstricke drohen.
Trotzdem bietet Hunt zahlreiche Anregungen und wichtige Überlegungen für Historiker. Ihr Buch zeigt überzeugend, dass die Frage nach großen Erzählungen in der Geschichtswissenschaft nicht an Aktualität eingebüßt hat. Unabhängig davon, ob man sich von den theoretischen Setzungen des Buches überzeugen lässt, bietet "Writing History in the Global Era" die Möglichkeit, neu über umfassende Theorieentwürfe nachzudenken. Hunt veranschaulicht dabei auf beeindruckende Weise die Verbindung zwischen verschiedenen neueren Ansätzen in der Geschichtswissenschaft, die auf den ersten Blick disparat wirken mögen.
Der Sammelband "Deutsche Zeitgeschichte - transnational" kommt auf etwas leiseren Sohlen daher als Lynn Hunts programmatisches Buch. In der Einleitung betonen die Herausgeber Alexander Gallus, Axel Schildt und Detlef Siegfried, dass der Sammelband nicht darauf abzielt, ein Gegennarrativ zu existierenden Erzählungen der deutschen Zeitgeschichte zu liefern. Stattdessen soll es darum gehen, den transnationalen Elementen dieser Geschichte nachzuspüren. Obgleich die Herausgeber einen vollständigen Paradigmenwechsel ablehnen, fragt auch dieses Buch nach den Möglichkeiten und Grenzen einer Geschichtsschreibung, die sich gegen eine reine Nationalgeschichte wendet.
Die konzise Einleitung des Buches formuliert hierzu einige anleitende Überlegungen. Transnational, so heben die Herausgeber hervor, bezieht sich in ihrem Sammelband nicht auf einen klar abgegrenzten Begriff oder auf eine Methode, sondern ganz allgemein auf die Untersuchung von grenzüberschreitenden Beziehungen. Ebenso weisen die Herausgeber auf mögliche Probleme einer solchen Herangehensweise hin, indem sie die Frage nach der Quantifizierbarkeit transnationaler Einflüsse stellen und betonen, es gelte, das theoretische Versprechen der transnationalen Geschichte durch empirische Forschung einzulösen. Der Anspruch der Herausgeber an eine empiriegesättigte transnationale Geschichte wird in den sechzehn Einzelbeiträgen des Sammelbands beeindruckend eingelöst. Hier eröffnet sich ein Forschungspanorama, das sowohl Aspekte der Geschichte der DDR als auch der Bundesrepublik umfasst.
Die Beiträge von Detlev Brunner zur internationalen Solidarität in der DDR, von Werner Plumpe zum wirtschaftlichen Strukturwandel der 1970er Jahre und von Maren Möhring zu ausländischem Essen in der Bundesrepublik veranschaulichen dabei beispielhaft den möglichen Erkenntnisgewinn eines transnationalen Ansatzes. Brunner macht deutlich, wie konkrete Kampagnen, etwa die "Nähmaschinen für Vietnam"-Kampagne, die Leitidee der internationalen Solidarität für weite Kreise der Bevölkerung in der DDR erfahrbar machten und eine identitätsstiftende Wirkung entfalteten. Außen- und innenpolitische Aspekte waren hier eng miteinander verflochten. In seinem Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte der 1970er Jahre zeigt Werner Plumpe, dass die Einbeziehung vergleichender Perspektiven und weltwirtschaftlicher Veränderungen die Rede von einer wirtschaftlichen Krise in der Zeit relativiert. Aus dieser Perspektive würden die ökonomischen Daten der Bundesrepublik eher auf eine Normalisierung nach den außergewöhnlichen Wachstumsraten der Nachkriegsjahre als auf einen wirtschaftlichen Niedergang hinweisen. Maren Möhring illustriert in ihrem Beitrag wiederum, wie sich die Migration der 1960er und 1970er Jahre auf Essgewohnheiten und städtische Räume in der Bundesrepublik auswirkte. Pizzerien und Dönerbuden rücken hier als Orte des Transfers, des Aufeinandertreffens von Migranten und Nicht-Migranten sowie als Kontaktzonen verschiedener Essenstraditionen in den Blick. Eher skeptische Töne schlägt der abschließende Beitrag von Mary Fulbrook an, in dem sie die Nachwirkungen der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik aus einer transnationalen Perspektive untersucht. Sie argumentiert, dass ein transnationaler Ansatz neue Überlegungen, etwa zu Täter- und Opfergemeinschaften, erlaubt. Allerdings dürfe man dabei die staatliche Ebene nicht aus dem Blick verlieren, die unter anderem für die Verfolgung nationalsozialistischer Täter entscheidend war. Fulbrook resümiert, dass Historiker eher das Zusammenspiel unterschiedlicher Ebenen in den Blick nehmen sollten, als sich ausschließlich auf eine über- oder zwischenstaatliche Ebene zu konzentrieren.
Insgesamt macht der Sammelband deutlich, wie transnationale Zugänge neue Einsichten in die deutsche Zeitgeschichte ermöglichen. Bisher noch wenig untersuchte Phänomene spielen dabei ebenso eine Rolle wie ein neues Nachdenken über existierende Forschungsdebatten. Die Vielfalt der einzelnen Kapitel wirft jedoch die Frage nach der theoretischen Kohärenz auf. So sind etwa die Linien zwischen Globalgeschichte und transnationaler Geschichte in einigen Kapiteln fließend. Andere Beiträge hätten wiederum auch unter dem Label einer internationalen Geschichte laufen können. Die pragmatische Herangehensweise des Sammelbandes an den Begriff der transnationalen Geschichte leuchtet vollkommen ein. In der Praxis führt das relativ lose Theorieverständnis jedoch zu durchaus unterschiedlichen Ergebnissen. Wenn es nicht darum geht, Alternativen zu bestehenden Narrativen zu bieten, wird transnationale Geschichte dann nicht eine Art Anhängsel der weiterhin primär national ausgerichteten Zeitgeschichte? In manchen Kapiteln des Buches klingt das anders. Wenn etwa Migranten bei Maren Möhring als wichtige, bisher relativ unbeachtete Akteure der Geschichte der Bundesrepublik auftreten, so könnte dies durchaus auf eine Veränderung der Erzählung dieser Geschichte hinwirken. Das von Möhring angedeutete Narrativ entlang von "Orientalisierungsprozessen", das man auch auf den Beitrag von Isabel Richter zum "Hippie Trail" anwenden könnte, unterscheidet sich eben von existierenden Erzählungen der Geschichte der Bundesrepublik. [3]
In der Frage nach der Rolle transnationaler oder globaler Geschichte sprechen die beiden hier vorgestellten Bücher zueinander. Zielen diese Ansätze auf ein neues Paradigma ab oder geht es eher um eine Erweiterung bereits existierender Narrative? "Writing History in the Global Era" und "Deutsche Zeitgeschichte - transnational" liefern hier letztlich sehr unterschiedliche Antworten. Während Lynn Hunt offensiv für einen Paradigmenwechsel zur Überwindung der Krise der Geschichtswissenschaft wirbt, plädiert der Sammelband insgesamt eher für das Einziehen einer zusätzlichen Analyseebene, als für einen weiteren "Turn". Dieses Spannungsverhältnis weist auf die Frage nach dem Zweck neuer Ansätze in der Geschichtswissenschaft hin. Nicht zuletzt im Rahmen der fortschreitenden Institutionalisierung transnationaler und globaler Geschichte bleibt die Beantwortung dieser Frage spannend.
Anmerkungen:
[1] Arif Dirlik: Globalization as the End and the Beginning of History: The Contradictory Implications of a New Paradigm, in: Rethinking Marxism 12 (2000), 4-22; Frederick Cooper: Colonialism in Question: Theory, Knowledge, History, Berkeley 2005, 91-112.
[2] Jan Plamper: Geschichte und Gefühl. Grundlagen der Emotionsgeschichte, München 2012, 253-257; Ute Frevert: Was haben Gefühle in der Geschichte zu suchen?, in: Geschichte und Gesellschaft 35 (2009), 187-192.
[3] Vgl. Pascal Eitler: Der kurze Weg nach "Osten". Orientalisierungsprozesse in der Bundesrepublik Deutschland um und nach 1968, in: Von draußen. Ausländische intellektuelle Einflüsse in der Bundesrepublik bis 1990, hg. von Axel Schildt, Göttingen 2016, 288-305.
Joseph Ben Prestel