Hartmut Frank / Karin Lelonek (Hgg.): Peter Behrens, Zeitloses und Zeitbewegtes. Aufsätze, Vorträge, Gespräche 1900-1938 (= Schriftenreihe des Hamburgischen Architekturarchivs), München / Hamburg: Dölling und Galitz 2015, 1151 S., ISBN 978-3-86218-032-5, EUR 79,90
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In dieser Anthologie präsentieren die Herausgeber Frank und Lelonek Aufsätze, Vorträge und Gespräche von Peter Behrens, die im Zeitraum von 1900 bis 1938 entstanden sind. Hierbei umfasst die kritisch kommentierte Textsammlung erstmals in ihrer Gesamtheit 119 Texte von Peter Behrens zu Architektur, Design, Städtebau, Mode und Ausbildung.
Auf den Aufsatz "Entwerfen, Bauen, Schreiben" von Hartmut Frank und einen Aufsatz von Silvia Malcovati über einige Schlüsselbegriffe in Behrens Architekturverständnis folgen nach der editorischen Notiz von Karin Lelonek die Quellentexte selbst.
Peter Behrens Leben und Wirken in seinem Zeitalter ist das Thema von Hartmut Franks einführendem Aufsatz. Hierbei konzentriert sich Frank nicht nur auf Behrens Biografie und das Zeitgeschehen, sondern er stellt immer wieder Bezüge zu Behrens schriftlichen Aufsätzen oder seinen Vorträgen her. Ferner fasst er die Behrens-Rezeption zusammen und arbeitet die Desiderate der bisherigen Forschung heraus.
Ausführlich beschreibt Frank die Herstellung der Werkmonografie über Peter Behrens von Fritz Hoeber aus dem Jahr 1913. [1] Hierbei betont Frank, dass Hoeber als erster auch die bis dahin erschienenen Texte von Behrens publiziert hat und Hoebers Publikation die bis heute gründlichste Analyse von Behrens Werk darstellt (50). Damit schlägt Frank die Brücke zu der hier vorliegenden Anthologie. Denn Frank sieht in der Herausgabe der Schriften einen "Teil der Bemühungen, Behrens in seiner ganzen Komplexität zu sehen und zu hinterfragen" (70).
Hier knüpft Malcovatis Artikel "Der schreibende Architekt: Schlüsselbegriffe im Architekturverständnis von Peter Behrens" an, der das Ergebnis ihrer Forschungsarbeit zum Thema "Die Schriften von Peter Behrens" vorstellt. Ihrer Ausarbeitung der Schlüsselbegriffe lag eine Lesung der Behrens Texte in chronologischer Reihenfolge zugrunde. Dadurch erhielt Malcovati Zugang zu Begriffen, die bei Behrens über Jahrzehnte immer wiederkehren (77). Hiervon wählte sie einige aus und teilte sie in ihrem Artikel thematisch in vier Gruppen ein: 1) Bezugspersonen und -theorien, die Peter Behrens architekturtheoretische Ansichten prägten (77-80). 2) Behrens Verständnis und Zugang zu Geometrie und Proportion (81-84). 3) Die Auffassung zum Körper und Raum und den Auswirkungen auf Behrens architektonische Konstruktionen (84-86). 4) Behrens wichtige künstlerische Elemente der Gestaltung wie Rhythmus, Bewegung und Reihung (86-59).
Malcovatis chronologische Herangehensweise und Anordnung sowie die akribische Quellenarbeit an Behrens Texten unterstreichen ihre These, dass Behrens Architekturverständnis auf einigen Schlüsselbegriffen beruhte, die er stetig wandelte bzw. erweiterte. Zugleich eröffnet Malcovati mit ihrer Herangehensweise dem Leser einen leicht verständlichen Zugang zu Behrens Architekturverständnis.
Im umfangreichsten Abschnitt der Anthologie, den Quellentexten, findet sich der Leser schnell zurecht. Hierfür sorgt die chronologische Anordnung der 119 Texte und das Verzeichnis der ausgewählten Schriften am Ende des Quellenabschnittes, der einen schnellen Zugriff und Überblick auf Behrens Themen liefert.
Der Apparat des Buches ist sehr ausgiebig. Auf jeden Quellentext folgen Hinweise und Besonderheiten zur Textentstehung sowie Hinweise auf weiterführende Sekundärliteratur. Positiv hervorzuheben sind ebenso die Anmerkungen im Text, die gut gesetzt sind und den Quellentext nicht überlasten. An dieser Stelle hätte man eventuell mehrere Anmerkungen und Querverweise erwarten können. Die Herausgeber haben sich jedoch dafür entschieden möglichst wenig Querverweise einzubinden, da sie dem Leser "ein Hin- und Herblättern [...] ersparen" wollten (102). Diese Prämisse führte dazu, dass in der Anthologie die ausgewählten Texte "vollständig" und "unzerschnitten" (102) publiziert wurden. Hierdurch kann sich der Leser Redundanzen in Behrens-Texten selbst erschließen und Rückschlüsse auf seine für ihn wichtigen Aussagen ziehen.
Überraschend für eine Anthologie wirkt auch die Führung des Lesers durch die Quellentexte. Diese grenzen sich voneinander ab, indem jedem neuen textlichen Jahresabschnitt Abbildungen zu Behrens künstlerischem Schaffen (Architektur, Kunsthandwerk, Werbegrafik) aus dem jeweiligen Jahr vorangestellt sind. Dadurch verbinden sich die theoretischen Äußerungen mit den künstlerischen Arbeiten und vermitteln zusammen einen guten Gesamteindruck von Peter Behrens.
Die illustrative Einführung, die den Quellenteil begleitet, hätte auch Peter Behrens Biografie, welche am Ende der Anthologie zu finden ist, belebt und dadurch die Gestaltung der Anthologie abgerundet. Hierfür wäre es wünschenswert gewesen, wenn Peter Behrens Fotografien aus seinem Privatleben nicht zugleich am Anfang der Publikation dem Leser kommentarlos präsentiert worden wären, sondern als Begleitung im biografischen Teil der Publikation.
Dieser kleine Kritikpunkt, der sich auf das Layout bezieht, schmälert nicht den Verdienst der Herausgeber und der Autoren dieser Anthologie. Trotz eines fehlenden zusammenhängenden Behrens-Nachlasses haben die Herausgeber 119 Texte, Interviews und Vortragsrezensionen von Peter Behrens erfasst, die von ihm eindeutig verfasst wurden und in der Originalfassung greifbar waren. [2] Dadurch liegt der Wissenschaft die erste kommentierte Textsammlung zu Peter Behrens vor. Die Herausgeber haben mit der Anthologie eine Grundlage zur Erforschung der theoretischen Anschauungen Behrens geschaffen. Dies entsprach der Intention der Herausgeber, die seine Ansichten dem wissenschaftlichen Diskurs öffnen und zugänglich machen wollten um damit "[...] auch einen Beitrag zur Belebung der eingeschlafenen heutigen Debatten um Charakter und Ziel der Gestaltungsarbeit von Architekten und Designern zu leisten." (32)
Anmerkungen:
[1] Fritz Hoeber: Peter Behrens, München 1913.
[2] Eine Ausnahme stellt der Artikel "Die Tapete in der modernen Zimmerausstattung" dar, welcher in der Originalfassung nicht auffindbar ist. Karin Lelonek, Editorische Notiz, Hartmut Frank / Karin Lelonek (Hgg.): Peter Behrens. Zeitloses und Zeitbewegtes, 2015, 101.
Yvonne Blumenthal