Stephan Steiner: Rückkehr unerwünscht. Deportationen in der Habsburgermonarchie der Frühen Neuzeit und ihr europäischer Kontext, Wien: Böhlau 2014, 653 S., ISBN 978-3-205-79499-8, EUR 69,00
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Die aus einer Wiener Habilitationsschrift hervorgehende Studie von Stephan Steiner widmet sich Deportationen in der Habsburgermonarchie. Dabei geht es dem Autor in dem 653 Seiten umfassenden und in 16 Kapitel gegliederten Werk darum, Deportationen in der Habsburgermonarchie über den langen Zeitraum vom 16. bis zum 18. Jahrhundert systematisch in ihrer Tiefe und Breite zu verfolgen, sie mit Zwangsverschickungen anderer Mächte zu vergleichen und nach Kontinuitäten der Deportationspraktiken und der Vergleichbarkeit mit Deportationen in der Moderne zu fragen.
Einem Einstiegsbeispiel folgt in Kapitel I die Einleitung, in welcher der Autor zunächst die Relevanz der Deportationsgeschichte hervorhebt und dann den Begriff der Deportation klärt und von anderen Begriffen abgrenzt. Für Steiner ist die Geschichte der Deportationen im Habsburgerreich "Teil einer europäischen und bis zu einem gewissen Grad auch Teil der Globalgeschichte" (29). Sie ist zugleich eine Geschichte des Sozialen und des Alltags, die sowohl mikro- als auch makrohistorisch zu erforschen sei. Schließlich sei die Deportationsgeschichte des Habsburgerreiches eine, die "Ähnlichkeiten im Erscheinungsbild und in der Tiefenstruktur" mit der Deportationsgeschichte der Moderne aufweise und deshalb in der Longue Durée betrachtet werden müsse. Steiner definiert Deportationen als "staatlich verordnete und planmäßig durchgeführte Zwangsverschickungen von ausgewählten Bevölkerungsgruppen unter Beiziehung militärischer Eskorten oder anderer Bewachungseinheiten von einem Ort A nach einem Ort B, wobei Letzterer unter Strafandrohung meist lebenslänglich nicht mehr verlassen werden darf" (32). Mit dieser Definition, welche die Dauerhaftigkeit der Umsiedlung unterstreicht, grenzt er Deportationen ab von anderen verwandten Begriffen und Phänomenen wie Relegation, Galeerenstrafe, Zwangsrekrutierung, Bettlerschub, Zwangsarbeit, Strafarbeit in ungarischen Bergstätten, Zigeunerschub oder Menschenraub. Der Unterschied zwischen Deportationen und diesen Zwangsmaßnahmen liegt ihm zufolge weniger im Erscheinungsbild der Fortschaffung, als darin, "wie im Weiteren mit den Fortgeschafften verfahren wurde" (45). Strikt trennen möchte er die Deportationen von Emigrationen, Vertreibungen, Auswanderungen und Fluchtbewegungen. Ausgeklammert bleiben auch der Sklavenhandel und die Versklavung von Indianern.
In Kapitel II wird auf den Forschungsstand und die Gründe für die Vernachlässigung der Deportationen in der frühneuzeitlichen Habsburgermonarchie eingegangen. Kapitel III skizziert Deportationssysteme in verschiedenen europäischen Staaten der Frühen Neuzeit, von Portugal über Frankreich bis hin zu Russland, England und dem Osmanischen Reich. In Kapitel IV werden Forschungsansätze für das Verständnis der Deportationen in der Habsburgermonarchie erläutert. Dabei identifiziert und streift der Autor kurz fünf Konzepte: Sozialdisziplinierung, Konfessionalisierung, Militarisierung, verschobener Kolonialismus und Ethnisierung. Schließlich werden in Kapitel V mit Banat, Siebenbürgen und der Militärgrenze die Zielregionen der Deportationen in der Habsburgermonarchie dargestellt.
Die Kapitel VI bis XIV bestehen aus Fallstudien unterschiedlichen Umfangs und unterschiedlicher Tiefe. Dabei behandelt Steiner die Deportationen der Uskoken von Senj (Kapitel VI), das Projekt "Carlobagen" zur Deportation von spanischen Migranten aus Wien (Kapitel VII), die Transmigrationen nach Siebenbürgen (Kapitel VII), den Temesvarer Wasserschub (Kapitel VIII), die Deportationen der Salpeter (Kapitel IX), die Zwangsumsiedlung von kroatischen und slawonischen "Tumultuanten" (Kapitel X), die Deportationen aus der mährischen Walachei (Kapitel XII) sowie schließlich die Deportation der böhmischen Deisten und Israeliten (Kapitel XIII). Ergänzt werden diese acht Fallstudien von einem weiteren Kapitel (XIV) zu Deportationsmaßnahmen kleineren Umfangs in Mähren, Vorderösterreich und im Waldviertel in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Im nur zweieinhalb Seiten langen Kapitel XV reißt Steiner die quantitativen Aspekte der habsburgischen Deportationen an, wobei er hier eigenes Zahlenmaterial mit den Zahlen der Sekundärliteratur ergänzt. [1]
Die "Aspekte und Prospekte einer Longue Durée" sind der Gegenstand vom Kapitel XVI, in dem es darum geht, die Befunde aus den Fallstudien zu bündeln und die habsburgischen Deportationen zeitlich sowohl im Vergleich zu Vorläufern, als auch mit Blick auf das 19. und 20. Jahrhundert einzuordnen. Hier hebt Steiner die Bedeutung der Deportationen als Strafmittel hervor, er erwähnt die unterschiedlichen Möglichkeiten der Rückkehr (Steiner verwendet den Quellenbegriff "Reversion"), unterstreicht die Bedeutung der Kindeswegnahmen bei Deportationen und argumentiert, es habe diverse "Übertragungsphänomene" gegeben, die die Deportationspolitik der Habsburgermonarchie beeinflussten. Diesem Kapitel folgt eine nachgestellte Coda, die Deportationen als Gegenstand der hauptsächlich von Juristen, aber auch von Schriftstellern und Politikern geführten öffentlichen Debatte in Österreich um 1900 erörtert.
Am stärksten ist das Buch Steiners, der zum Thema bereits andere grundlegende Arbeiten vorgelegt hat, bei den einzelnen Fallstudien. Insbesondere die Kapitel VIII und XI zu Transmigration und zum Temesvarer Wasserschub sind beeindruckend dokumentiert und beleuchten das Phänomen der Deportationen aus unterschiedlichen Blickwinkeln. So können diese Deportationen aus der Sicht der zentralen und lokalen Obrigkeiten sowie zeitgenössischer Beobachter und in einigen Fällen auch aus der Sicht der Deportierten selbst analysiert werden.
Da eine systematische Untersuchung neueren Datums der habsburgischen Deportationen bisher fehlte [2], leistet die Arbeit von Steiner Grundlegendes. Dennoch ergeben sich einige Kritikpunkte im Verhältnis zu Methodik und Themenumfang. Der Autor skizziert im Kapitel IV Sozialdisziplinierung, Konfessionalisierung, Militarisierung, verschobenen Kolonialismus und Ethnisierung als Schlüsselkonzepte einer Untersuchung der Deportationen. Es gelingt ihm jedoch nicht, die auf unterschiedlich umfangreicher Quellenbasis fußenden Fallstudien systematisch mit diesen Konzepten in Dialog zu setzen. Auch die Vergleichbarkeit der einzelnen Fallstudien untereinander bleibt im Dunkeln. Hier wäre eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit den Konzepten und dem, was einen frühneuzeitlichen Staat ausmacht, wünschenswert gewesen. Das Problem des Vergleichs stellt sich auch in Bezug auf Kapitel III, in welchem europäische Deportationssysteme auf der Grundlage von Sekundärliteratur dargestellt werden und in Bezug auf die Kontinuitäten der Deportationspraktiken in der Moderne, die der Autor in Kapitel XVI mit den Begriffen des Rassismus, Kolonialismus, Genozid, ethnische Säuberung, Kriegsverbrechen und Totalitarismus verbindet. Anstatt als analytische Kategorien zu überzeugen, geraten diese Konzepte und Begriffe zu Werkzeugen einer Beschreibung, durch welche sich Steiners Thesen zwar nachvollziehen, aber nicht systematisch belegen lassen. Nichtsdestotrotz ist dieses sehr solide, gut geschriebene und auf einer breiten Quellenbasis beruhende Buch als eine Arbeit zu empfehlen, die umfangreich über Deportationen im Habsburgerreich informiert und gewiss als unabdingbare Grundlage für künftige Arbeiten in diesem Bereich dienen wird.
Anmerkungen:
[1] David Eltis: Free and Coerced Migrations from the Old World to the New, in: Ders. (ed.): Coerced and Free Migration: Global Perspectives, Stanford 2002, 33-74; Sylvia Hahn: Österreich, in: Klaus J. Bade et al. (Hgg.): Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Paderborn u.a. 2007, 171-187.
[2] Konrad Schünemann: Österreichs Bevölkerungspolitik unter Maria Theresia, Bd. 1, Berlin 1935.
Hanna Sonkajärvi