Ministère des Affaires Etrangères: Documents diplomatiques français 1971. Tome I (1er janvier - 30 juin), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2015, XLI + 982 S., ISBN 978-2-87574-280-3, EUR 85,60
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Ministère des Affaires Etrangères: Documents diplomatiques français 1971. Tome II (1er Juillet - 31 Décembre), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2015, XLI + 838 S., ISBN 978-2-87574-306-0, EUR 85,60
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Hans Dieter Zimmermann: Theodor Fontane. Der Romancier Preußens, München: C.H.Beck 2019
Philip Bajon: Europapolitik "am Abgrund". Die Krise des "leeren Stuhls" 1965-66, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2012
Rainer F. Schmidt (Hg.): Deutschland und Europa. Außenpolitische Grundlinien zwischen Reichsgründung und Erstem Weltkrieg. Festgabe für Harm-Hinrich Brandt zum siebzigsten Geburtstag, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2004
Ein wahrlich gewichtiges Werk: Auf über 1800 Seiten präsentieren die Documents Diplomatiques Français 575 Dokumente zur französischen Außenpolitik des Jahres 1971. Lag der Reiz der beiden Vorgängerbände insbesondere im Problem von Kontinuität und Diskontinuität der französischen Außenpolitik zu Beginn der Präsidentschaft Georges Pompidous, geht es nun vor allem um dessen Bewährung in einem Jahr voller Krisen und Kriege. Um zu verdeutlichen, dass die Aktivitäten des Außenministeriums nicht nur aus Großer Politik bestanden, hat die Herausgebergruppe unter der fachkundigen Leitung von Maurice Vaïsse die Edition abermals mit einigen Quellen über eher randständige Themen der Außenpolitik angereichert, etwa den Umweltschutz oder den Drogenhandel. Im Fokus der Edition stehen die Ost-West-Beziehungen, d.h. namentlich die Vier-Mächte-Verhandlungen über Berlin und die Beratungen über Sicherheit und Abrüstung, die Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft, der faktische Zusammenbruch der Weltwährungsordnung von Bretton Woods und die mehr oder minder erfolgreiche Pflege des Verhältnisses zu Frankreichs ehemaligen Kolonien in Afrika.
Wie sein Vorgänger Charles de Gaulle begriff Pompidou die Außenpolitik als seine domaine réservé. Umso bedauerlicher ist es, dass die Archives du Ministère des affaires étrangeres, wie der Hauptherausgeber im zweiten Teilband ausdrücklich zur Kenntnis gibt, "ne comportent pas tous les verbatim des entretiens du président de la République" (Bd. II, XIII). Als Ersatz für fehlende Protokolle druckt die Edition Zirkulartelegramme des Außenministeriums über Pompidous Gespräche auf höchster Ebene ab, wodurch die Lücke aber nicht vollwertig geschlossen werden kann.
Pompidou stand nicht nur in Bezug auf die außenpolitische Entscheidungsgewalt in ostentativer Kontinuität zu de Gaulle. Er hielt auch an dessen Linie einer auf Unabhängigkeit pochenden Außenpolitik fest. Dessen ungeachtet hatte der Präsident bereits im ersten Jahr seiner Amtszeit unter Beweis gestellt, dass er zu einer außenpolitischen Neujustierung bereit war. So richtete er seine Entspannungspolitik konsequent auf eine Multilateralisierung der Détente aus und strebte eine Verbesserung der Beziehungen zu den USA an. In mancherlei Hinsicht herrschte Anfang 1971 ein Gefühl der Ernüchterung. Da die Amerikaner, so meldete Botschafter Lucet aus Washington, mitunter wie ein "Orion aveugle" agierten, der ohne bösen Willen alles zerstöre, was sich ihm in den Weg stelle (Bd. I, 144), ließ die Konzertierung zwischen Paris und Washington deutlich zu wünschen übrig. Ja, der Quai d'Orsay hielt es gar für notwendig, dem State Department gegenüber die eigenen "intérêts fondamentales" in Erinnerung zu rufen (Bd. I, 200) und überdies klar zu machen, dass nicht die USA, sondern die Force de frappe der Garant dieser Interessen sei. Zugleich intensivierte Pompidou seine Kontakte zum Kreml und regte Mitte März eine "étroite coopération franco-soviétique" in der Nahostpolitik an (Bd. I, 357). Erheblichen Wert legte er auf das Zustandekommen eines Besuches des Generalsekretärs der KPdSU, Leonid Breschnew, und zwar sowohl zur Herausstellung des französischen Rangs in der Welt wie auch aus Misstrauen gegenüber der Ostpolitik der Bundesrepublik.
Als wichtiger Hebel zur Verhinderung deutschlandpolitischer Überraschungen dienten Frankreich vor allem die Vier-Mächte-Verhandlungen über Berlin. Zu Beginn des Jahres präsentierte Außenminister Schumann den westlichen Partnern einen Vertragsentwurf, der nach Abstimmung mit der Bundesregierung an die Sowjetunion weitergeleitet wurde. Obwohl Paris eindringlich nach Moskau meldete, dass man den westlichen Positionen keineswegs blind folge, reagierte der Kreml mit einer "rigidité", die nicht dazu geeignet war, "pour aider à l'extension de la détente" (Bd. I, 287). Anfang Juli forderte der sowjetische Botschafter Abrassimow von seinem französischen Kollegen Sauvagnargues unverblümt "une politique plus bienveillante à l'égard des intérêts de l'Union soviétique" (Bd. II, 50). Über den weiteren Verlauf der am 23. August beendeten Verhandlungen informiert nur ein einziges Dokument (Bd. II, Nr. 144) und über die von Sauvagnargues verweigerte verbindliche deutsche Übersetzung des Schlussdokuments vom 3. September erfährt der Leser so gut wie gar nichts [1].
Die kurz nach der Unterzeichnung des Vier-Mächte-Abkommens durchgeführte Reise von Bundeskanzler Willy Brandt zu Leonid Breschnew versetzte das deutsch-französische Verhältnis in schwere Turbulenzen. Da Breschnews Besuch in Frankreich für Ende Oktober erwartet wurde, schien das Treffen auf der Krim darauf hinzudeuten, dass Bonn Paris den Rang abzulaufen wünsche. "Nous ne devons pas oublier que nos deux gouvernements sont liés par un traité de coopération" (Bd. II, 331), schrieb Außenminister Schumann Bonns Botschafter Ruete ins Stammbuch und machte keinen Hehl aus seinem Verdruss, nicht vorab informiert worden zu sein.
Breschnews Visite in Paris gab Pompidou die willkommene Gelegenheit, Frankreichs Rang im Kreis der westlichen Partner wieder zurechtzurücken. Sieht man einmal von dem gemeinsamen Wunsch nach einer Vertiefung der Verbindung "dans tous les domaines" (Bd. II, 555) ab, bestand das wesentliche Ergebnis in der Übereinkunft, dass die zwischen Ost und West kontrovers diskutierte europäische Sicherheitskonferenz (KSE, später KSZE) multilateral vorbereitet werden und im Verlauf des Jahres 1972 zusammentreten sollte. Pompidou stand der vom Warschauer Pakt 1969 angeregten KSE positiv gegenüber, beäugte das zweite sicherheitspolitische Fundamentalprojekt, die vom Westen empfohlenen Verhandlungen zu Mutual and Balanced Force Reductions in Europa (MBFR) hingegen äußerst skeptisch.
Der Aufstieg Chinas ins "concert des nations" durch den Beitritt zur UNO (Bd. II, 165) und die amerikanisch-chinesische Annäherung gehören weltpolitisch zu den bedeutsamsten Entwicklungen des Jahres 1971. Entsprechend aufmerksam wurden sie von der französischen Diplomatie beobachtet. In der von Paris so empfundenen Absicht zu einem "véritable jeu triangulaire entre Moscou, Pékin et Washington" (Bd. I, 563) nahm US-Präsident Nixon Anfang August eine Einladung nach Peking an und begründete dies gegenüber Pompidou mit dem Wunsch, dem Frieden in der Welt zu dienen (Bd. II, Nr. 57). Wenngleich Frankreich dem kaum widersprechen mochte, wies sein Verhältnis zum Reich der Mitte Licht und Schatten auf. Während Botschafter Manac'h im März die "atmosphère la plus cordiale" eines vierstündigen Gesprächs mit Tschou En-lai rühmte (Bd. I, 390), beklagte sich das Außenministerium in Paris über die fehlende Bereitschaft Pekings zur "non-ingérence" in die Angelegenheiten anderer Staaten (Bd. I, 136) und wetterte über die "Pénétration chinoise en Afrique francophone" (Bd. II, 377).
Obwohl Frankreich sich weiterhin als eine global operierende Großmacht verstand, lag "le principal champ d'action" seiner Diplomatie eindeutig in Europa (Bd. II, 785). Ganz im Sinne de Gaulles zielte Pompidous Europapolitik darauf ab, "favoriser l'établissement de l'Europe unie à l'Occident, rechercher la détente, l'entente et la cooperation avec l'Est" (Bd. II, 785). Dem Präsidenten konnte es daher nicht gefallen, dass die zur Fortschreibung der westeuropäischen Einigung formulierten Beschlüsse des Den Haager Gipfels vom Dezember 1969 noch immer der Umsetzung harrten. Freilich trug auch Frankreich dazu bei, dass die Bäume integrationspolitisch nicht in den Himmel wuchsen. Zwar half der Quai d'Orsay seit Anfang 1971 aktiv an der stufenweisen Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion mit, achtete aber behutsam darauf, dass die EWG keinen allzu festen politischen Kern bildete.
Diese Grundeinstellungen prägte auch Frankreichs Haltung in den Beratungen über den EWG-Beitritt Großbritanniens. Im vollen Bewusstein der Tatsache, dass man zu den "principaux bénéficaires" (Bd. I, 204) der EWG-Agrarpolitik gehörte, warnte die Regierung vor einer Rückkehr zu den Gesetzen von "dumping" und "anarchie" (Bd. I, 202, 203). Der Kursverfall des Dollar sollte den Handlungsdruck seit Mai erheblich erhöhen. Fundamentale Bedeutung für den Fortgang der Beratungen über die Norderweiterung wie auch für die französische Europapolitik insgesamt gewann ein Treffen Pompidous mit dem britischen Premierminister Heath am 20./21. Mai. Ein kompaktes Zirkulartelegramm an die französischen Auslandsvertretungen unterstreicht die "grande convergence" zwischen beiden Staatsmännern über die Zukunft der vergrößerten EWG, die "vraiment 'européenne'" sein und zugleich vor allem ökonomische Aufgaben wahrnehmen solle (Bd. I, 740).
Während die Beitrittsverhandlungen mit London Ende Juni erfolgreich abgeschlossen wurden, zeigten die Beratungen über die Wirtschafts- und Währungsunion zunehmend tiefere Risse. Nachdem die USA die internationale Währungspolitik mit der Aufhebung der Konvertibilität des Dollar in eine schwere Krise gestürzt hatten, wurde für die EWG das alte Problem des "Burden Sharing" virulent (Bd. II, 313). In der Überzeugung, dass eine europäische Position in der Währungsproblematik kaum ohne "entente préalable" zwischen Bonn und Paris gefunden werden könne (Bd. II, 493), wandte sich Pompidou Mitte Oktober an Brandt und stimmte einer "conférence au sommet" zu, sofern sie in Paris stattfinde (Bd. II, 495). Zur Vorbereitung trafen sich beide Staatsmänner Anfang Dezember zu einem außerplanmäßigen Gipfel, der nachdrücklich Chancen und Grenzen des deutsch-französischen Einvernehmens verdeutlichte. Einerseits sperrte sich Pompidou gegenüber Brandts Vorschlag periodischer Treffen zwischen der EG und den USA. Andererseits verständigte er sich mit ihm auf eine gemeinsame Währungspolitik gegenüber dem Dollar, die wenige Tage später zur Grundlage einer Einigung zwischen Pompidou und Nixon werden und die "crise grave" beilegen sollte (Bd. II, 759).
Eine "crise grave" durchlief seit Anfang 1971 auch Frankreichs Verhältnis zu Algerien, nachdem Präsident Boumedienne die Übernahme von 51 % der französischen Erdölunternehmen, die Nationalisierung der Gasproduktion und der Transportleitungen verkündet hatte. Zwar ebbte der Konflikt in der zweiten Jahreshälfte ab, doch die Détente blieb "précaire" (Bd. II, 598 f.). Weitaus erfreulicher entwickelten sich Frankreichs Verbindungen zu den Staaten Schwarzafrikas, wie der "très grand succès populaire" einer mehrtägigen Reise Pompidous signalisierte (Bd. I, 258). Doch auch hier gab es Ausnahmen: zum einen die zentralafrikanische Republik unter General Bokassa, die mehr und mehr der Kontrolle Frankreichs entglitt; zum anderen der Kongo, dessen Reformbemühungen dazu geeignet schienen "de contrarier notre propre influence en Afrique" (Bd. I, 367).
Schwierig gestaltete sich auch das Verhältnis zu Südafrika, da die französische Diplomatie zwar das "régime de l'Apartheid" verurteilte (Bd. II, 62), an der Ausrüstung der dortigen Armee mit Waffen aber festhielt (Bd. II, 25). Auch in Kongo-Kinshasa, Uganda, Syrien, Libanon und Libyen betrieb Frankreich seine Außenpolitik vor allem als Außenwirtschafts- und Rüstungspolitik, so dass selbst der Quai d'Orsay bisweilen von einer "optique globale du problème de nos ventes d'armes" (Bd. I, 447) sprach.
Kaum Verbesserung zeichnete sich aufgrund der französischen Haltung im Nahostkonflikt im Verhältnis zu Israel ab, wohingegen die Beziehungen zu Ägypten wenig überraschend als "très bonnes" galten (Bd. I, 424). In Süd-Jemen wurde Frankreich gar als "seul espoir de rester tourné vers les pays occidentaux" gehandelt (Bd. II, 126).
Weitgehend ohnmächtig agierte die französische Diplomatie gegenüber der militärischen Auseinandersetzung im Osten Asiens. Die USA forcierten eine "vietnamisation de la guerre", die offenbar weniger auf ein Ende des Krieges denn auf ein Ende der eigenen Beteiligung abzielte (Bd. I, 654), und gaben mit ihrer Annäherung an China außerdem zu erkennen, dass eine etwaige Friedenslösung in einem größeren Rahmen gefunden werden musste.
Wenngleich nicht jedes der von der Herausgebergruppe ausgewählte Dokument und nicht jede Anmerkung [2] plausibel wirken, bestätigen die durch knappe Einführungen, eine sparsame Kommentierung, ein regestenartiges Dokumentenverzeichnis und einen Personenindex erschlossenen Bände den Ruf der Documents Diplomatiques Français als unverzichtbares Instrument für die Erforschung der französischen Außenpolitik. Wer sich intensiver mit Frankreichs Europapolitik und den deutsch-französischen Beziehungen des Jahres 1971 befassen möchte, sollte darüber hinaus zwei Dokumentationen der Association Georges Pompidou [3] und die Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1971 konsultieren.
Anmerkungen:
[1] Vgl. dazu die Dokumente in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland. 1971, hrsg. im Auftrag des Auswärtigen Amts vom Institut für Zeitgeschichte, bearb. von Martin Koopmann / Matthias Peter / Daniela Taschler, 3 Bde., München 2002, 1316-1318 u. 1333-1340.
[2] Muss die Funktionsbezeichnung einer in den Dokumenten mehrfach erwähnten Person bei jeder Nennung in einer Fußnote wiederholt werden? Sollte beim Hinweis auf ein nicht abgedrucktes Dokument aus den Archives du Ministère des affaires étrangeres nicht auch der Fundort angegeben werden?
[3] Eric Bussière / Emilie Willaert: Un projet pour l'Europe. Georges Pompidou et la construction européenne, Brüssel u.a. 2010. Rezension in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 1; Sylvain Schirmann / Sarah Mohamed-Gaillard: Georges Pompidou et l'Allemagne, Brüssel u.a. 2012. Rezension in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 2
Ulrich Lappenküper