Patrizio Foresta: "Wie ein Apostel Deutschlands". Apostolat, Obrigkeit und jesuitisches Selbstverständnis am Beispiel des Petrus Canisius (1543-1570) (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz; Bd. 239), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2016, 528 S., ISBN 978-3-525-10100-1, EUR 89,99
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Der Jesuit Petrus Canisius ist eine jener wichtigen Figuren der deutschen Geistesgeschichte, die zwar vielen vom Namen her bekannt sind, deren Bedeutung sich aber nur Spezialisten erschließt. Er bleibt in Erinnerung als Autor eines Katechismus, der in verschiedenen Formen erschien (Maior 1555, Minor 1558, Minimus 1556) und der neben demjenigen von Roberto Bellarmino sicher zu den am intensivsten rezipierten religiösen Texten der Frühen Neuzeit wurde, ja das damals durchaus noch junge Genre des Katechismus für die religiöse Unterweisung der Jugend mit durchsetzte.
Canisius gehört zu den zentralen Figuren der Gegenreformation, die verhindern sollte, dass im Anschluss an die Reformation und den im Augsburger Reichstag 1555 gefundenen modus vivendi der Konfessionen noch größere Teile von Deutschland Rom den Gehorsam aufkündigten. Die damals als Orden neu entstandenen Jesuiten (1540 vom Papst Paul III. mit der Bulle "Regimini militantis ecclesiae" bestätigt) arbeiteten formal noch nach der päpstlichen Erlaubnis einer Formula Instituti, die den Beginn der religiösen Arbeit ermöglichte, und die in einem langen Prozess zwischen 1547 und 1551 erstellt, aber erst 1581 in offizieller lateinischer Übersetzung ediert wurde. Es war aber von Anfang an klar, dass sie als direkt dem Papst unterstellter Orden Teil der Ecclesia militans im Sinne der Gegenreformation werden sollten.
Angesichts der konfessionellen Situation in den deutschsprachigen Territorien des Heiligen Römischen Reichs wurden die Jesuiten bereits ab 1540-1541 in Deutschland eingesetzt, namentlich mit Petrus Canisius sowie anderen Patres (Jerónimo Claude Jay, Pierre Favre, Alfonso Salmerón, Nicolas Bobadilla, Paul Hoffaeus). Der Autor vorliegender Publikation, heute an der Fondazione per le scienze religiose in Bologna tätig, nimmt sich in seiner Dissertation zum Ziel, das Selbst- und Apostolatsverständnis von Petrus Canisius und seiner Mitbrüder in den Anfangsjahren der deutschen Ordensprovinzen zu untersuchen und dabei auch ihr Verhältnis zur Obrigkeit in den Blick zu nehmen.
Im Selbstverständnis der Jesuiten war ihre Arbeit in der Mission Teil eines heilsgeschichtlichen Kontexts, insbesondere im Kampf gegen die Reformation, diente aber letztlich auch immer seelsorgerischen Aufgaben. Natürlich wäre das Thema jesuitischen Selbstverständnisses sehr breit angelegt möglich, der Autor beschränkt sich aber aus "forschungsstrategischen Gründen" (16) auf die Figur von Canisius und seine ersten Gefährten. Canisus, geboren in Nimwegen 1521, war von 1556 bis 1569-70 Provinzial der Oberdeutschen Jesuitenprovinz und wirkte bis 1580 in den katholischen Territorien des Alten Reichs. Er starb 1597 in Freiburg im Üechtland und wurde 1864 selig gesprochen. Der schon in ersten hagiographischen Biographien verwendete Ausdruck vom (zweiten) "Apostels Deutschlands" fällt - sicher auch vor dem Hintergrund des Kulturkampfs mit den Jesuitengesetzen des Deutschen Kaiserreichs - in der Bulle Militantis Ecclesiae von Leo XIII. 1897, ihr folgte die Heiligsprechung und Erhebung in den Rang eines Kirchenlehrers 1925.
Der interpretatorische Ansatz des Autors am Beispiel Canisius' vom Selbstverständnis der Jesuiten auszugehen und dann erst sekundär ihre historische Rolle in den Mittelpunkt zu stellen, entspricht sicher den heutigen Forschungsansätzen der Jesuitenforschung. In dem einleitenden Kapitel zu deren Stand setzt sich die Arbeit dabei auch kritisch mit früher einseitig innerhalb eines Konfessionalisierungsparadigmas arbeitenden Ansätzen auseinander, die oft die Tatsache außer Acht ließen, dass das Verhältnis zwischen kirchlich-religiösen und weltlichen Elementen in der frühneuzeitlichen Staatsbildung durchaus nicht immer unproblematisch war und vernachlässigte, wie die verschiedenen Reformbewegungen gerade auch auf die frühneuzeitlichen Veränderungen aktiv reagiert haben. Die Jesuiten werden in neueren Ansätzen trotz aller Vorgaben des Ordens zu Akteuren mit Wahlmöglichkeiten in ihrem individuellen Handeln. Dieser Ansatz ermöglicht es auch zu hinterfragen, inwieweit Canisius sich selbst in der Tradition des "Apostolats" sah, das natürlich spätere Jesuitenbiographien meist hagiographisch auf ihn und auch seine Gefährten als Ehrentitel angewandt haben.
Der historische Teil der Studie nimmt zunächst zentrale Ereignisse ins Visier, so die überregional beachteten Proteste des Jesuitenpaters Nicolás Bobadilla 1548 gegen das Interim, die Rolle der Jesuiten in der Ingolstädter Universität, damals der einzigen auf altbayerischem Territorium, die Ende 1549 den Jesuiten Jay, Canisius und Salmerón anvertraut wurde. Behandelt wird das theologische Werk von Canisius in Auswahl, darunter sein Hauptwerk, die Summa doctrinae christiane, 1555 im Auftrag des Habsburger Hofs geschrieben, wobei dieses Werk weniger theologiegeschichtlich bewertet wird, sondern in Bezug auf das sich darin abzeichnende Verhältnis der S.I. zur Obrigkeit. Als weitere historische Ereignisse werden die Gründung des Prager Kollegs 1554 bis 1556 und die Rolle der Jesuiten bei der Besetzung des Wiener Bischofssitzes zwischen 1552-1555 in den Fokus genommen. Diesen Ereignissen sind ausführliche Unterkapitel gewidmet.
Entsprechend des beschriebenen interpretatorischen Ansatzes widmet sich der Autor anfangs konzeptionellen Begriffen der S.I. Auch wenn der Apostolatsbegriff natürlich neutestamentarische Begrifflichkeit aufnahm, und vor allem auf die Missionen umgeprägt wurde, gab es doch auch eine weitere Traditionslinie der Apostolizität als "vita apostolica". Der berühmt-berüchtigte Gehorsam der Jesuiten gegenüber der Obrigkeit konnte dabei durchaus mit dem ordensintern höherrangigen Gebot des Papstgehorsams in Konflikt geraten. So hat Ignatius in Instruktionen an die 1549 nach Ingolstadt entsandten Jesuiten darauf verwiesen, dass diese keinesfalls durch ungeschickte Verteidigung des Papstes ihre Glaubwürdigkeit verlieren und als "Papisten" erscheinen sollten, sondern auch ein gutes Verhältnis zur lokalen Obrigkeit benötigten. Ein solches war auch für die Finanzierung der neu gegründeten Bildungseinrichtungen zentral, wobei meist ein Stiftungsfond gegründet wurde, in dem öffentliche und private Mittel einflossen. Dies entsprach der Idee eines "Erziehungsapostolats". Es gelingt dem Autor die vielfachen Schattierungen des Konzepts bei den frühen Jesuiten aufzuzeigen, auch in Bezug auf die Nachahmung des apostolischen Lebensstils am Beispiel von Jerónimo Nadals bis hin zu der Imago primi saeculi societatis Jesu, einem zentralen jesuitischen Emblembuch von Jean de Tollenaer (1640: Antwerpen: Moret). Nadal sah gerade in dem Einsatz der Jesuiten in der weltweiten Mission einen für den Orden spezifischen Lebensstil als apostolische Nachfolge Christi und seiner Jünger, im Sinne der ersten Ordenskonstitution (die Mission wird schon erwähnt in der Paul III. 1539 vorgelegten Formula Instituti).
In der Folge widmet sich der Verfasser der Bedeutung des frühverstorbenen Jay für die Ordensgeschichte und schließlich der Biographie von Canisius, von seinem Studium in Köln bis hin zur prägenden Freundschaft mit seinem Lehrer Pierre Fabre, der 1546 starb. In Köln gab Canisius, was erst später bekannt wurde, eine Taulerausgabe unter dem Pseudonym Petrus Noviomagus heraus. Er edierte auch Cyrill von Alexandria und Leo den Großen, weilte kurzzeitig in Italien, worüber wir durch Briefe unterrichtet sind, legte 1543 in Mainz seine Gelübde ab und empfing die Priesterweihe in Köln 1546.
Das Problematische an der gut recherchierten und lesenswerten Arbeit ist, dass sie im Grunde in zwei Teile zerfällt. Eine Biographie von Canisius und im kleineren Maße seiner wichtigsten Gefährten und darum herum eine Studie einiger zentraler Konzepte der frühen Jesuiten wie dem sicher wichtigen Apostolatskonzept, das in seinen Ursprüngen und individuellen Verwendungen dargestellt wird. Dies ist natürlich dem Forschungsstand geschuldet, hinterlässt aber einen zwiespältigen Eindruck. Überdies stellt sich die Frage, inwieweit die individuelle Wirklichkeit der Jesuiten angesichts der stark vorgegebenen (auch biografischen) Modellen folgenden Überlieferung überhaupt quellenmäßig, darüber hinaus noch individuell, erfassbar ist. Ebenso schwierig ist es zu entscheiden, wo die Grenzen zwischen individuellem Wunsch bis hin zum Selbstopfer im Martyrium in der Mission und der Selbststilisierung des Ordens zu ziehen sind und ob hier gezielt ein Bild nach Außen vermittelt werden sollte. Spätere Interpreten und Gegner der Jesuiten sind vielen dieser Klischeevorstellungen blindlings gefolgt und haben sich in ihrer Kritik genau auf einige mit den Jesuiten verbundene Konzepte fokussiert. So differenziert diese im Denken der ersten Jesuiten wohl auch waren: Im täglichen Leben spielten sie wohl eine geringere Rolle, als es uns die Quellen bisweilen suggerieren. Der Grund für den Erfolg des Ordens in der Gegenreformation dürfte im Wesentlichen seiner praktischen Arbeit vor Ort geschuldet gewesen sein, insbesondere im daniederliegenden Erziehungssektor, vor allem im Aufbau gut funktionierender Kollegien und in der individuellen Einflussnahme als Beichtväter auf entscheidende Persönlichkeiten.
Die umfangreiche Studie bringt neben der ausführlichen Biographie einen nützlichen Quellenanhang ausgewählter Dokumente zu Canisius und ist insgesamt ein wichtiger Beitrag zu einem Themengebiet früher jesuitischer Konzepte, und zu Canisius, zu dem sicher noch weitere Forschungen ein vielschichtigeres Bild ergeben können.
Franz Obermeier