Bettina Noak (Hg.): Wissenstransfer und Auctoritas in der frühneuzeitlichen niederländischen Literatur (= Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung; Bd. 19), Göttingen: V&R unipress 2015, 301 S., 29 Abb., ISBN 978-3-8471-0310-3, EUR 44,99
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Wilhelm Haefs / York-Gothart Mix (Hgg.): Zensur im Jahrhundert der Aufklärung. Geschichte - Theorie - Praxis, Göttingen: Wallstein 2007
Bernadette Hofinger / Harald Kufner / Christopher F. Laferl u.a. (Bearb.): Die Korrespondenz Ferdinands I. Familienkorrespondenz Bd. 5: 1535 und 1536, Wien: Böhlau 2015
Der Sammelband geht aus einer gleichnamigen Tagung hervor, die im November 2010 in Berlin stattfand. Die zwölf Beiträge handeln von Einflüssen fremdsprachigen Wissens auf die frühneuzeitliche niederländische Literatur, wobei von einem breiten Literaturbegriff ausgegangen wird, der neben fiktionalen auch politische, religiöse oder wissenschaftliche Werke einbezieht. Untersuchte Konzepte sind die Übersetzung, das Wunder, die Konversion und die kreative Imitation (Einleitung, 10).
Der Band ist in vier Hauptteile gegliedert. Der erste hat "Wissenstransfer und de[n] Umgang mit Autoritäten in der außereuropäischen Welt" zum Gegenstand. Christina Brauner schildert den erstaunlich großen Unterschied zwischen dem Guinea-Reisebericht des Pieter de Marees von 1602 und seiner deutschen Übersetzung durch Gotthard Artus ein Jahr später. Artus schrieb die Vorlage an vielen Stellen mit Rücksicht auf seine deutschsprachigen intendierten Leser um, von Werktreue und Urhebergedanken war dabei keine Rede. Siegfried Huigen stellt die Beschreibung einer Meerjungfrau im Ostindienzyklus des François Valentyn vor und überprüft anhand dieser Beschreibung den anthropologischen Wissenshintergrund: Valentyn war eher an Raritäten als an streng wissenschaftlichen Erkenntniselementen interessiert. Maria-Theresia Leuker wertet die beiden zentralen Publikationen des deutsch-niederländischen Naturforschers Georg Eberhard Rumpf aus und stellt sein Kräuterbuch ("Kruid-boek") und sein Raritätenkabinett ("d'Amboinsche Rariteitkamer") als typische Vertreter des "Third Space" im Sinne von Homi Bhabha vor Augen.
Im zweiten Hauptteil stehen "Spiel und Spiritualismus als Felder des Wissenstransfers" auf dem Programm. Arjan van Dixhoorn sieht in den "Rederijkerskamers" in Brabant und Flandern während der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert wichtige Promotoren einer volkssprachlichen Wissenskultur, indem nicht nur klassisch-literarische Bezüge eine Rolle spielten, sondern auch die Aufmerksamkeit auf naturwissenschaftliche und technische Entwicklungen gerichtet wurde. Julie Rogiest zeigt in ihrem Beitrag über das ethische Grundlagenwerk "Zedekunst" von Dirck Volckertszoon Coornhert, dass die Perfektibilität des Menschen aus den Wertmaßstäben der klassischen Antike hergeleitet werden sollte, die an christliche Vorstellungen angepasst wurden. Esteban Law exemplifiziert Wissenstransfer und Auctoritas-Gedanken am christlichen Hermetismus von Abraham Willemsz van Beyerland, bei dem hermetische Topoi von Jakob Böhme eine beherrschende Rolle spielten - Beyerland verbreitete damit das Böhmesche Denken im niederländischen Sprachraum.
Der dritte Hauptteil behandelt den "Wissenstransfer in Translation und Poetologie". Marco Prandoni betrachtet die niederländische Versreform der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, die sich auf der Basis französischer Vorbilder vollzog, wobei Karel van Mander Metrik und Kunsttheorie in seinem "Schilder-boek" (1604) thematisch verband. Francesca Terrenato rückt den Kulturtransfer aus Italien in die Niederlande in den Vordergrund und untersucht dazu Giorgio Vasaris "Le vite dei più eccellenti architetti, pittori et scultori italiani" und Niccolo Machiavellis "Il Principe"; beide Werke erschienen 1604 und 1615 in niederländischer Sprache, wobei Vasari in van Manders erwähntem "Schilder-boek" aufging, Machiavelli aber unter eigenem Namen herausgebracht wurde. Jeroen Jansen betont, dass der niederländische Dichter Gerbrand Adriaensz Bredero in Ermangelung einer Lateinausbildung seine Antikenkenntnisse aus einem niederländisch-französischen Schulbuch schöpfte, das seinerseits auf Gilles Corrozets "Le conseil des sept sages de Grece" (1545) aufbaute, einem kleinen Lexikon antiker Weisheiten und Sentenzen. Christian Sinn untersucht Beispiele von Jacob Cats' "Proteus" (1618) und "Sinne- en Minnebeelden" (1627) sowie Herman Hugos "Pia Desideria" (1624) daraufhin, wie die Verfasser kritisch und mit Selbstreflexion das Problem der Autorität behandelten und damit einer Entkonfessionalisierung der geistlichen Emblematik den Weg bahnten.
Im letzten Hauptteil geht es um die "Konstruktion politischer Autoritäten". Rita Schlusemann untersucht niederländische Flugschriften mit politischem und religiösem Inhalt aus der Zeit des Achtzigjährigen Krieges, die ins Deutsche übersetzt worden sind. Mike Keirsbilck betrachtet den politischen Kern von Joost van den Vondels Drama "Palamedes" vor dem Hintergrund der Vorstellung von "Gouvernementalité" im Sinne von Michel Foucault, wobei er dem Ständeregiment in den Niederlanden das Attribut der Toleranz zuschreibt, während die Machtausübung durch Moritz von Oranien als Gesetzesbruch und Intoleranz verurteilt wird.
Im vorliegenden Sammelband wird Wissenstransfer in jedem Beitrag deutlich, Auctoritas bleibt meistens metaphorisch und bedeutet fast überall etwas Verschiedenes im Rückgriff auf früheres Denken. Das bekannte Bild, dass Philosophen, Intellektuelle und Künstler aller Sparten auf die klassische Antike und die Bibel zurückgriffen, wird bestätigt. Verdienstvollerweise verdeutlichen die Verfasser, durch welch unterschiedliche Medien dieser Transfer geleistet werden konnte. Dem Band hätten eine Gesamtbibliografie und ein Index gut getan, leider hat die Kraft der Verantwortlichen nur noch zu einer Zusammenstellung der Kurzbiografien der Beiträger gereicht.
Johannes Arndt