Mark Darlow: Staging the French Revolution. Cultural Politics and the Paris Opéra, 1789-1794 (= The New Cultural History of Music), Oxford: Oxford University Press 2012, XIV + 432 S., 20 s/w-Abb., 8 Notenbeispiele, ISBN 978-0-19-977372-5, GBP 40,00
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Das vorliegende Werk widmet sich aus der Perspektive der Institutionsgeschichte der Pariser Oper im Zeitraum der Französischen Revolution 1789-1794. Damit fügt sich Darlows Studie in eine Reihe neuerer historischer Forschungen zu Kulturpolitik und Kulturmanagement ein [1], deren gemeinsamer Ansatz darin besteht, einer auf das Repertoire oder das Produkt zentrierten Analyse von Kulturinstitutionen nur begrenzte kulturhistorische Einsichten zuzugestehen. Jüngere Publikationen zur Geschichte der Institution Theater und der Öffentlichkeit [2] fließen in diese Studie nicht ein.
Darlow liegt richtig mit der Vermutung, dass eine Analyse der Spielpläne der Pariser Oper in der Revolutionszeit das Wirken dieser wechselweise staatlich, städtisch und privat gelenkten Institution nur mehr auf das eines Instruments der Propaganda reduzieren würde, dessen Werke zu Recht dem musikhistorischem Vergessen anheim fielen (7). Stattdessen verfolgt Darlow die Fragestellung, wie die Pariser Oper mit den jeweiligen staatlichen Organen in Verhandlungen trat, welche Aussagen sich aus den jeweiligen Regulierungen über die Kulturpolitik und das Erziehungswesen ableiten ließen und welchen Einfluss diese Interaktion und Regulierungspraxis wiederum auf ihr Repertoire der Oper hatte. Der Ansatz mag sehr umfassend erscheinen, jedoch geht es Darlow auch um den Versuch, die noch ausstehende "full story of the Opéra's trajectory during the Revolution" (6) zu erzählen.
Die hier vorgestellte Institutionsgeschichte der Pariser Oper erweitert also den Blick von inhaltlichen und ästhetischen Aspekten des Revolutionstheaters auf die kulturpolitischen Machtverhältnisse, was ein detailreicheres Bild des Theaters in seiner historischen Ausprägung verspricht. Die bekannten ästhetischen Programme der Revolutionäre und ihrer Gegenspieler werden aus dieser Perspektive mit juristischen, ökonomischen und politischen Quellen kontrastiert, um eine detailliertes Bild des historischen Geschehens zu geben. So gelingt es, Subtexte zu entziffern, die von Loyalitäten, Verrat und Abhängigkeiten statt von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit berichten. Dies stellt ein komplexes und sich historischen Kontingenzen öffnendes Unterfangen dar und bietet mögliche Erklärungen für den Umstand, dass eine eher konservative und dem König nahe stehende Kulturinstitution wie die Pariser Oper in ihrer Integrität und finanziellen Ausstattung von den Unruhen der Revolution relativ unangetastet blieb.
Das Buch folgt einer klaren Struktur: In vier Kapiteln entfaltet der Autor die Geschichte der Institution, wobei der jeweilige Wechsel der staatlichen und institutionellen Herrschaftsstruktur die Gliederung bestimmt. Darlow präsentiert hier eine Erzählung, die von der königlichen Institution (mit Bezug auf Ravel umfasst dies auch die 'Vorgeschichte' seit 1680), über die städtische und schließlich staatliche Leitung bis in die Zeit des Terrors reicht, welche den chronologischen Schlusspunkt seiner Studie bildet. Mit Jauss weist er auf Tendenzen der Repertoirebildung und Rezeption hin, die zwischen den Registern klassisch und modern angeordnet seien. Die Abfolge von Erlassen, die schon zur Zeiten der Anbindung an das Königshaus zu kontinuierlichen Änderung der Leitungsstruktur führten, stellt er als Aushandlung privatwirtschaftlicher, höfischer und öffentlicher Interessen sowie von Kontrollmechanismen dar. In diesem Kontext differenziert Darlow zu Recht zwischen Zensur und Selbstzensur als zwei Ausprägungen von Governance.
Wichtig ist dem Autor, der als Romanist und Historiker forscht und lehrt, dass das Datum 1789 vielen Darstellungen der Französischen Revolution zum Trotz auf der Ebene der Institutionsgeschichte keinen Bruch darstelle. Im Gegenteil, die Pariser Oper unterlag bereits einem gewissen Wandel, wie er betont, der sich in den fünf Jahren der Revolution mit eigenem Trägheitsmoment einfach weiter vollzog. Die Ankunft von Gluck um 1773 etwa war bereits revolutionär und machte "much of the classic repertory unusable" (57). Sie führte auf ästhetischer Ebene zu Innovation, die in einen Wettbewerb um neue Libretti mündete, der auch in der Revolutionszeit Bestand hatte. Darlows Schilderung erweckt den Eindruck, dass die mit Gluck aufgerufene Opernreform für die Institution möglicherweise prägender war als etwa der Sturm auf die Bastille.
Es folgen vier thematische Artikel, in denen in engerer, produktionsästhetischer Perspektive die kulturökonomischen Rahmenbedingungen und das Repertoire der Oper in der Revolutionszeit dargestellt werden. Dabei unterscheidet Darlow tragische und komische Werke, denen er eigens für die Republik geschaffene Aufführungen und Stücke zur Seite stellt (Republican Repertory, 1792-1794). Als Quellen fungieren in diesem Teil der Darstellung weniger die juristischen und ökonomischen Spuren als vielmehr die Libretti und Partituren der aufgeführten Opern, ergänzt um Rezensionen und Produktionsnotizen. Er begründet seine Einteilung der Werke und diskutiert ausführlich deren möglicher Status als Adaption oder Uraufführung, was ihn als Kenner der häufig verwickelten musiktheatralen Werkgenese auszeichnet. Dabei hebt Darlow hervor, dass weit mehr alte Stücke wieder aufgenommen oder als Grundlage für neue Inszenierungen gewählt wurden, als dass tatsächlich neue und politisch motivierte Werke den Weg auf die Bühne gefunden hätten. Die Revolutionszeit kann also nicht zugleich als Zeit ästhetischer Innovation gelten - zumindest wenn man die musiktheatralen Werke im Blick hat.
Darlows Versuch, die Pariser Oper in ihrer relativen Stabilität und zögerlichen Reform darzustellen, mit der sie dem raschen politischem Wandel widerstand, ist in der Materialfülle beeindruckend. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die historiografische Prämisse glücklich gewählt ist. Darlow positioniert sich dabei zwischen material-culture studies und - wiewohl nicht explizit - postmodernen Ansätzen der Geschichtsschreibung. "[M]y study meshes with the last decade's return to a mainstream tradition in which the period's conflicts are seen as competing efforts to deal with real problems and promote concrete interests, rather than fundamentally illiberal characteristics from the start." (389) Es darf allerdings bezweifelt werden, ob diese Opposition zwischen einer kritischen Historiografie (in Nachfolge Foucaults, vgl. 389) und einem "mainstream" den aktuellen Stand der Diskussion darstellt. Für die Theaterhistoriografie, aus der heraus diese Rezension geschrieben ist, gilt eine Problemgeschichte als einzig sinnvolle Herangehensweise. [3] Daraus folgt die Notwendigkeit, von einer Rekonstruktion eines 'vollen Bildes' einer Kulturinstitution Abstand zu nehmen und stattdessen eine spezielle Perspektive einzunehmen, die in diesem Fall einen historisch-kritischen Begriff von 'Institution', 'Markt' und 'Öffentlichkeit' der Studie voran stellen würde.
Darlows Vorgehen setzt den Begriff der Institution jedoch stellenweise synonym mit dem eines marktwirtschaftlich geführten Betriebs, was für anglophone Kulturen möglicherweise eine Norm darstellt, die kulturpolitischen Begriffe von Propaganda, Öffentlichkeit und Politik jedenfalls außen vor lässt. So fasst er etwa den 'Rapport des commissaires' von 1790 dahingehend zusammen, dass er die Alternative zwischen "private or communal property" (93) aufmache. Dabei beriefen sich, so Darlow, die privaten und kommunalen Akteure zugleich auf den Begriff der Freiheit, worunter die einen das Recht verstünden, die Früchte der eigenen Tätigkeiten zu ernten, die anderen hingegen die rechtlichen Rahmenbedingungen meinten, die erst Freiheit garantierten. Diese letztlich marktliberale Analyse lässt allerdings unbeachtet, dass die Pariser Oper ein öffentliches und meritorisches Gut produzierte, deren Konsumenten volkswirtschaftlich gesprochen eigens durch Bildung und Erziehung gewonnen werden mussten. Sie lässt weiter außen vor, dass über die Akzeptanz dieses Gutes auf dem Markt in öffentlichen Aufführungen und nicht in Traktaten befunden wird. Auf das Dual von Staat und Markt verkürzt verwundert es daher nicht, dass diese Studie über eines der bekanntesten Theater seiner Zeit beinahe überhaupt nicht auf die Theateraufführungen, also den eigentlich öffentlichen Vorgang eingeht. Kann man Theater aber von Politik und Ökonomie trennen? Über die Spielweisen, die man den Partituren entnehmen könnte, über das Absingen von Hymnen, die Aufführung von Märschen etc. erfährt der Leser beinahe nichts! Wie waren die Reaktionen des Publikums, wie agierten die Musiker und Sänger? Worin bestanden konkret die von Darlow erwähnten Wirkungen, der "impact" und das "prestige" dieser Institution? Lässt sich dies allein aus Traktaten, Erlässen, Libretti, Partituren und Rezensionen ablesen? Hier zeigt sich der Nachteil einer philologischen Herangehensweise, die aus Texten reale Probleme und konkrete Interessen ablesen möchte, ohne diese Texte und deren Zirkulation und Veröffentlichung selbst als Teil einer kulturellen und mithin sehr theatralen Praxis aufzufassen.
"Staging the French Revolution" - so lautet der Titel dieser Studie. Er ist irreführend, wenn man ihn wörtlich nimmt und folglich in diesem Buch die Inszenierungsgeschichte der Revolution am Beispiel der Pariser Oper behandelt wissen möchte. Vielleicht hat der Verlag der Oxford University hier den Versuch unternommen, Darlows rege Publikationstätigkeit zur Pariser Oper zwischen 1789 und 1794 zu einem beeindruckendem Referenzband verdichten zu wollen und ist dabei aus Gründen der Werbung auf den metaphorischen Gebrauch des Inszenierungsbegriffs verfallen? Der treffendere Untertitel "Cultural Politics and the Paris Opéra 1789-1794" trifft den Kern der Studie schon besser und wird auch so auf der Homepage des Autors geführt - er klingt freilich weniger nach einer spannenden Studie. Wer also Interesse an den kulturpolitischen Korrespondenzen und dem Wandel der Pariser Oper in dieser Zeit hat, ist mit dem Band gut bedient, den Darlow mit großem Fleiß in Verfolgung des historisch Kontingenten verfasst hat. Das Buch folgt einer klaren Struktur, die Pariser Oper als Kulturinstitution vermutlich aber nicht. Wer also über das Wechselverhältnis von Kulturpolitik und Kulturinstitution in einer wichtigen und stürmischen Phase der Entstehung einer bürgerlichen Öffentlichkeit etwas erfahren möchte, wird hier nur bedingt fündig.
Anmerkungen:
[1] Marc Fumaroli: Trois Institutions littéraires, Paris 1994; Antoine Lilti: Le Monde des salons: Sociabilité et mondanité à Paris aus XVIIIe siècle, Paris 2005; Jean-Luc Chappey: La Société des observateurs de l'homme, 1799-1804: des anthropologues au temps de Bonaparte, Paris 2002; Wolf Frobenius/ Nicole Schwindt-Gross/ Thomas Sick (Hgg.): Akademie und Musik. Erscheinungsweisen und Wirkungen des Akademiegedankens in Kultur- und Musikgeschichte. Institutionen, Veranstaltungen, Schriften, Saarbrücken 1993.
[2] Meike Wagner: Theater und Öffentlichkeit im Vormärz. Berlin, München und Wien als Schauplätze bürgerlicher Medienpraxis, Berlin 2013; Patrick Primavesi: Das andere Fest. Theater und Öffentlichkeit um 1800, Frankfurt 2008; Christopher Balme: The Theatrical Public Sphere, Cambridge 2014; Thomas Postlewait / Charlotte M. Canning (eds.): Representing the Past. Essays in Performance Historiography. Iowa City 2010; Tracy Davis: The Economics of the British Stage 1800-1914, Cambridge 2000.
[3] Erika Fischer-Lichte: Kurze Geschichte des deutschen Theaters, Tübingen 1993; Thomas Postlewait: Historiography and the Theatrical Event. A primer with Twelve Cruxes, in: Theatre Journal, Bd. 43, Nr. 2, (Mai 1991), 157-178.
Wolf-Dieter Ernst