Werner Busch / Petra Maisak (Hgg.): Verwandlung der Welt - die romantische Arabeske. Unter Mitarbeit von Sabine Weisheit, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2013, 432 S., ISBN 978-3-86568-915-3, EUR 49,95
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In ihrem Vorwort zu vorliegendem Ausstellungskatalog versprechen die Leiter der beteiligten Museen, Anne Bohnenkamp und Hubertus Gassner, einen Band, der mit seinen über 25 Autorinnen und Autoren aus verschiedenen Fachrichtungen ein "grundlegendes Kompendium" zum Phänomen der romantischen Arabeske in Text, Bild und Kultur ergebe. Mit-Herausgeberin Petra Maisak erinnert einleitend daran, dass es bislang noch keine Ausstellung zur romantischen Arabeske gab, obwohl die Relevanz dieses ornamentalen Bedeutungsträgers für die Künste im 18. und 19. Jahrhundert seit den Forschungen von Mit-Herausgeber Werner Busch (zugleich Initiator der Doppel-Ausstellung im Frankfurter Goethe-Museum und in der Hamburger Kunsthallte) klar vor Augen tritt. [1] Der Band unternimmt daher die Entschlüsselung dieser "wahren Signatur der Romantik" (Maisak). Er nimmt für sich eine "genetisch-chronologische" Methode in Anspruch, mit der die Arabeske als Aufstiegs- (und Verfalls-?) Geschichte zur Anschauung gebracht werden soll: vom "Ursprung" über die "Entfaltung" bis zum romantischen "Kulminationspunkt" und über die "Reife" hinaus - es fehlt also nicht an klaren Wertvorgaben, die zur Diskussion anregen dürfen.
Der organischen Konjunkturkurve entsprechend, informieren zu Beginn Werner Busch und Günter Oesterle über den "Aufstieg" der Arabeske zur "Reflexionsfigur" (Günter Oesterle) um 1800. Flankierende Beiträge zu Vorbildern und Transformationen (Ornamentik bei Dürer, Johann Heinrich Wilhelm Tischbein und in der islamischen Kunst) untermauern den Anspruch des "grundlegenden Kompendiums". Am "Kulminationspunkt", mittig im Katalog, erscheinen die arabesken Konzeptionen bei Philipp Otto Runge, Clemenes Brentano, Moritz von Schwind, Eugen Napoleon Neureuther und Adolph Menzel. Das Thema verzweigt sich anschließend in den Abteilungen "Wanddekoration", "Märchen", "Illustrationskunst" und Frühformen des "Comic". Die Stichworte "Tanz", "Schweben" und "Flechten" bei schreibenden Frauen der Romantik und Arabesken in der "geselligen Kultur" bezeichnen dann die äußersten Ausläufer des Phänomens der Arabeske wie auch seiner Darstellung im Katalog.
Die einstige, auch wissenschaftsgeschichtlich subordinierte Ornamentfigur fächert sich damit zum Panorama der Künste im Deutschland des 19. Jahrhunderts auf, das in dieser Breite erstmals zur Anschauung gebracht wird - eine Leistung, die nur vor dem Hintergrund der seit dem frühen 20. Jahrhundert virulenten Abwertung des Ornatus und Parergons voll zu würdigen wäre. Obschon dieser Katalog also ein Novum ist, weil er nahezu alle Forschungsfelder zur Arabeske versammelt, kann er sich auf eine mittlerweile emanzipierte Forschungsvielfalt zur Arabeske stützen. In historischen Detailfragen wartet der Band mit gründlichen Recherchen auf: Insbesondere die Beschäftigung mit der letztlich verhinderten oder gescheiterten Künstler-"Freundschaft" Runges und Brentanos gehört zu den Errungenschaften. Denn dieser von Missverständnissen geprägten Kooperation eines Künstlers und eines Dichters entspringen verhältnismäßig selten kommentierte Entwürfe wie Brentanos im Zweiten Weltkrieg verloren gegangene Zeichnung "Lebensbaum", die die immense Erwartungshaltung der Romantiker an die Sinnfülle der Arabeske auf den Punkt bringen. Brentanos komplexe, aber ästhetisch wenig ansprechende Zeichenexperimente zeigen beispielhaft, dass sich die Aufsätze nicht allein an ein großes Ausstellungspublikum wenden, sondern sich als Forschungsbeiträge verstehen lassen. Insgesamt wird die Forschung zur Arabeske mit dem Katalog eher in ihrer Fülle dokumentiert und bilanziert als etwa durch neue Theoriebildung irritiert. Es stellt sich damit die Frage, ob und wenn ja, welche Anstöße das "Kompendium" für weitere Untersuchungen eigentlich noch geben kann.
Hier wäre nun angesichts des katalogeigenen Aufbaus zu fragen, wie organisch zum einen die Arabeske in ihren historischen Phänomenen tatsächlich war und wie plausibel zum anderen der in diesem Band unternommene Übertrag solcher Wachstumsmodelle der Ästhetik um 1800 auf die Wissenschaft von heute ist. Hierzu ein auch aktuell noch viel diskutiertes Beispiel: Runges "Zeiten" gelten als Beispiel organischer Ästhetik, die - bei aller Umformung des klassischen Symbols zur romantischen Allegorie - durch ihr implizites naturales Kreislaufmodell noch die Lesbarkeit und Geschlossenheit künstlerischer Botschaften gewährleistet. Dass thematisch die "Nacht" allzyklisch zum "Morgen" zurückkehrt, lässt sich aber ebenso anzweifeln wie die hermeneutische Annahme, Künstler wie Runge hätten ihre Werke als Sprechakte intendiert, die trotz spielerischer Verweise wie Rätsel oder Hieroglyphe potentiell verstanden werden sollten. Angesichts dieses Problemfeldes ist es im Grunde eine These, wenn in den Beiträgen des Bandes die Medien Bild und Text meist bruchlos im intermedialen Wechselspiel organischer Verflechtungen von 'textilen' Texten und Bildmetamorphosen aufgehen. Selbst da, wo historisch der intermediale Übertrag ausblieb, wie in Runges und Brentanos gescheiterter Kooperation, kann so Brentanos sprachliches Imitat von Runges "Nacht" im "Gockelmärchen" noch intertextuell bzw. interpiktural als "Verwandlung" erscheinen, obwohl die Abgründigkeit der Rungeschen Nachtsymbolik von Brentano suspendiert wurde.
Statt solche Differenzen aus divergierenden Künstlerintentionen heraus zu erklären, wäre es hier auch aufschlussreich, die Eigengesetzlichkeit der Medien von Text und Bild stärker zu berücksichtigen. Jenseits der benannten Annahme lesbarer "wahrer Signaturen der Romantik", zu denen die Arabeske allererst gehöre, lassen andere Ansätze zum Verständnis romantischer Sinnbildkunst immerhin die Frage aufkommen, ob sich im Rezeptionsvorgang romantischer Texte und Bilder nicht notwendig Brüche ergeben, die in der allegorischen Zeichenpraxis angelegt sind - etwa der permanenten Nachträglichkeit all der allegorischen Verweise, die auf einen de facto nicht mehr einzuholenden Ursprung zielen. [2] Bedenkt man diese rhetorische Grundstruktur, so ließen sich in der Folge des wegweisenden intermedialen Impulses dieses Bandes auch dezidiert unharmonische Bereiche der Text-Bild-Relationen in den Künsten ausmachen, etwa im Sinne ganz unorganischer "Verweisverweigerungssystemen" (vgl. den Begriff und die Ansätze hierzu im Beitrag von Jutta Reinisch, 272). Denn "die Arabeske", so Busch, "ist immer eine Zusammenhangstifterin auf einer höheren Ebene [...] im Modus der Andeutung" und "fordert" auf diese Weise "unseren Anteil an der Sinnstiftung ein" (293). Dieses Plädoyer für eine rezeptionsästhetische Annäherung an die romantische Zeichenlehre gilt aber umso mehr, wenn nicht geklärt ist, welche Optionen für die Lesbarkeit und Verständlichkeit des Sinns im Akt der Betrachtung und Lektüre überhaupt zur Verfügung stehen.
Ein ganz anderer Aspekt betrifft die Arabeske in der "geselligen Kultur": Schon der Begriff "geselliger Kultur" dürfte den neueren Versuchen nicht mehr gerecht werden, Text- und Materialkultur zu verbinden. Gerade die romantische Durchkreuzung von Kunst und Alltagswelt lässt sich in einer bloßen kulturgeschichtlichen Kontextualisierung der Hochkunst wohl nicht abbilden. Die 'naiven' lebensweltlichen Aneignungen der Arabeske und ihres Potentials der Verwandlung, Entfremdung und Überblendung des Bestehenden müssten von ihrem Stigma, für die Text- und Bildhermeneutik zu trivial zu sein, befreit werden. Hierzu wären etwa Ansätze der "material culture studies" kritisch zu nutzen. Im Band erfolgen zwar Hinweise auf das arabeske "self-fashioning" des romantischen Lebens, Schreibens und Lesens (Beitrag von Claudia Bamberg), doch ist mit deren Einordnung in die "Verzweigungen" der "geselligen" Arabeske nach ihrer "Reife" deren historischer Rang schon vorentschieden.
Somit scheint es angebracht, das vorliegende "Kompendium" eben nicht als Schlussstein des wissenschaftlichen Gedankengebäudes zur Arabeske zu begreifen, sondern, nun auch einmal im Übertrag von romantischer Ästhetik und wissenschaftlicher Hermeneutik formuliert, im skizzierten Sinne alsbald mit dessen progressiver Reorganisation zu beginnen. Hierzu dürfte das äußerst materialreiche Opus Magnum genug Stoff bereitstellen.
Anmerkungen:
[1] Werner Busch: Die notwendige Arabeske. Wirklichkeitsaneignung und Stilisierung in der Kunst des 19. Jahrhunderts, Berlin 1985.
[2] Paul de Man: Allegorien des Lesens, aus dem Amerikanischen von Werner Hamacher / Peter Krumme, Frankfurt a. M. 1988.
Boris Roman Gibhardt