Annette Gerstenberg (Hg.): Verständigung und Diplomatie auf dem Westfälischen Friedenskongress. Historische und sprachwissenschaftliche Zugänge, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2014, 298 S., ISBN 978-3-412-21004-5, EUR 39,90
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Der aus einer Bochumer Konferenz von 2011, die von einer Romanistin initiiert worden war, erwachsene Sammelband ist ein interessantes Experiment, zwei Disziplinen - die Sprach- und die Geschichtswissenschaft - über die Sprache und die Kommunikation in den beiden westfälischen Friedensstädten miteinander ins Gespräch zu bringen. Die Masse des im Rahmen der Acta Pacis Westphalicae edierten (und des noch der Edition harrenden) Materials legte ein solches Experiment nahe, umso mehr als in der Geschichtswissenschaft in den zurückliegenden Jahren die sprachliche und kommunikative Seite des mehrjährigen Kongresses im Sinn eines "kommunikativen Verdichtungsraums" immer mehr an Attraktivität gewonnen hat. Für die Sprachforscher musste es ein reizvoller Ansatz sein, sich mit ihren Fragestellungen auf einen bisher nicht genutzten kompakten Quellenbestand einzulassen.
Der Historiker nähert sich den sprachwissenschaftlichen Beiträgen des Bandes mit einer gehörigen Portion Neugier - und er ist bereit, sich dafür auch auf eine ganz andere Fachsprache einzulassen -, weil der "Nachweis", dass dem politischen Zäsurcharakter von 1648 auch ein sprachgeschichtlicher Einschnitt entspräche, natürlich faszinierend wäre. Das scheint aber dann doch nur sehr bedingt der Fall gewesen zu sein. Sprachgeschichtlich scheint selbst in der deutschen Sprache kaum ein wirklicher Durchbruch zu größerer Vereinheitlichung festzustellen zu sein, wiewohl sich im Verlauf der Kommunikation von Personen aus ganz unterschiedlichen Sprachregionen gewisse Angleichungsprozesse erkennen lassen.
Die Herausgeberin hat die elf Beiträge in drei Blöcke gegliedert. Im ersten Abschnitt geht es um "Prestige und Konkurrenz der Verhandlungssprachen". Aus den hier versammelten drei Beiträgen ragt der von Guido Braun über den Gebrauch des Französischen und Italienischen in Westfalen - vornehmlich in Münster - heraus, und das nicht nur seines Umfangs wegen. Braun weist nach, dass die beiden genannten Sprachen hinter dem Lateinischen (noch) zurückstanden und dass dafür den Übersetzungen eine unvorstellbar große Rolle zuwuchs, mit allen Problemen, aber auch Chancen, die aus der Übertragung aus der einen in eine andere Sprache erwuchsen (z.B. "weiche" Kompromissformeln in der Zielsprache, versuchtes Verschleiern von Titulaturdifferenzen). Dem "Sprachbewusstsein" spanischer Diplomaten in Münster - insbesondere Peñarandas - ist Amina Kropps Beitrag gewidmet, der vor der Folie eines allgemeinen spanischen Überlegenheitsgefühls und des Versuchs, die eigene Sprache zur neuen Universalsprache aufzuwerten, zu dem erstaunlichen Befund kommt, dass das Niederländische bei den spanisch-niederländischen Separatverhandlungen dem Kastilischen um Längen den Rang ablief. Den Friedenskongress als "Ort metasprachlicher Konflikte" - insbesondere innerhalb der französischen Delegation - behandelt Dietmar Osthus. Es ist überaus bemerkenswert, dass d'Avaux und Servien, um deren politische Differenzen (die hier noch weiter exemplifiziert werden) man weiß, nicht offensiv um eine hervorgehobene Stellung des Französischen auf dem Kongress kämpften, d'Avaux vielmehr dezidiert dafür plädierte, im Verkehr mit den nord- und osteuropäischen Staaten auf das Lateinische zurückzugreifen.
Wenigstens zum Teil etwas schwerer tut sich der Historiker mit dem zweiten Block ("Dichte der Texttypen: Semantische und grammatische Differenziertheit"). Peter Arnold Heusers Studie über die Nutzung des Souveränitätsbegriffs, aber auch über dessen dissimulierende Umschreibung und auch dessen Vermeidung, liest sich ausgesprochen spannend, umso mehr als er konkret nachweist, wo und wie man auf Bodin rekurrierte und wie kontrovers diskutiert wurde, ob der Begriff auch auf die Reichsstände appliziert werden dürfe oder solle. Den Übersetzungen des Instrumentum Pacis Osnabrugense ins Italienische, erstaunlicherweise noch 1648 gleich in zwei Ausgaben, widmet Franco Pierno eine kleine Studie, die an Beispielen verdeutlicht, dass diese Übersetzungen "phonomorphologisch als typisches Beispiel der noch jungen italienischen Standardsprache" einzustufen sind und in lexikalischer Hinsicht die "terminologische Festigkeit" noch wenig ausgebaut erscheint. Geografisch greift der Aufsatz von Martin Becker weiter aus, der die Übersetzung der beiden Instrumenta Pacis ins Französische und Spanische behandelt, durch linguistische Analysen, die die Texte zugleich in die damaligen Diskurstraditionen einordnen. Die Herausgeberin schließlich untersucht die infiniten Verbformen in den französischen Korrespondenzen aus bzw. nach Münster und plädiert dafür, die "westfälischen" Quellen in das Textcorpus mit aufzunehmen, das für die offiziösen Historischen Grammatiken zugrunde gelegt wird.
Der "Varianz der Quellen" und den "Perspektiven ihrer Auswertung" ist der dritte Abschnitte des Sammelbandes gewidmet. Maria-Elisabeth Brunert, die dem Editionsunternehmen der Acta Pacis Westphalicae sehr nahe stand (und steht), geht den Entstehungsstufen der "Textsorte" reichsständische Protokolle nach, wobei sie u.a. das Recht der Protokollführung, die Praxis des "Geschwindschreibens" für das sogenannte Rapular und die Vervielfältigung der Protokolle thematisiert. Eng an Brunerts Beitrag schließen Sandra Waldenberger am Beispiel der Osnabrücker Fürstenratsprotokolle durchgeführten Untersuchungen zu sprachlichen Variationen in "identischen" Protokollen an; die bis zu 20 Fassungen von Protokollen verschiedener Schreiber werden u.a. auf das Vorhandensein schriftsprachlicher Standards abgeklopft. Den deutschen Ortsnamen im Diarium des päpstlichen Nuntius und Friedensvermittlers Fabio Chigi geht Gerald Bernhard nach, wobei er auf die Zusammenhänge mit toskanischen Gepflogenheiten und auf ein deutsch-italienisches Glossar verweist, das eigens für Chigis Deutschlandreise(n) angefertigt wurde. Schließlich stellen Maximilian Lanzinner, Tobias Schröter-Karin und Tobias Tenhaef das gewaltige Vorhaben der Retrodigitalisierung der bisher erschienenen (und zukünftig noch erscheinenden) Bände der Acta Pacis Westphalicae vor.
Sieht man von dem einen oder anderen sehr speziellen Beitrag ab, bei dem der Erkenntnisgewinn des Historikers doch relativ begrenzt bleibt, hat der Versuch grundsätzlich gelohnt, Sprachwissenschaftler und Historiker einmal zusammenzuführen und sprachliche Aspekte der Verhandlungen und ihrer Verschriftlichung von verschiedenen Seiten aus zu beleuchten: von den in "Westfalen" verwendeten Sprachen der Diplomaten bis zu den Übersetzungen der zentralen Dokumente und von der Diskussion über Begrifflichkeiten bis hin zu den formalen und sprachlichen Seiten der Textsorte der Protokolle. Das ist nicht alles ganz neu, aber insgesamt haben die Bochumer Tagung und ihre Dokumentation dann doch die erhofften Früchte getragen.
Heinz Duchhardt