Rezension über:

Petra Rösch / Udo Simon (eds.): How Purity is Made, Wiesbaden: Harrassowitz 2012, X + 492 S., ISBN 978-3-447-06542-9, EUR 58,00
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Rezension von:
Anja Döscher
Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Conermann
Empfohlene Zitierweise:
Anja Döscher: Rezension von: Petra Rösch / Udo Simon (eds.): How Purity is Made, Wiesbaden: Harrassowitz 2012, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 6 [15.06.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/06/25519.html


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Petra Rösch / Udo Simon (eds.): How Purity is Made

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"How Purity is Made" ist ein Sammelband, in dem eine ganze Bandbreite von Vorstellungen zu Reinheit in unterschiedlichen Regionen / Religionen / Kulturen - auch solchen, die heutzutage nicht mehr präsent sind - von Autoren unterschiedlichster Fachgebiete untersucht werden. Ausgangspunkt hierfür war die Arbeit im Forschungszentrum der Universität Heidelberg, das sich mit "Ritual Dynamics" beschäftigt, sowie eine 2008 zu diesem Thema durchgeführte Konferenz, bei der Konzepte zu Reinheit und den dazu gehörigen Reinigungsritualen interdisziplinär untersucht wurden. Die Beiträge des Sammelbandes entspringen zu einem großen Teil dieser Konferenz. Dies legt bereits nahe, dass die Herausgeber der Leitfrage nachgehen, welche Verbindungen es zwischen den einzelnen Konzepten gibt und ob es für alle Religionen/Kulturen/Regionen einen kleinsten gemeinsamen Nenner von Reinheitsvorstellungen geben könnte. Eine Aufgabe, die Udo Simon in seiner Einleitung zum Sammelband näher erläutert. Dass Simon diesbezüglich Forschungsbedarf sieht, ergibt sich zum einen aus der großen Bedeutung des Konzeptes der Reinheit und dem Umstand, dass das Konzept trotzdem in einzelnen Disziplinen, wie etwa der Islamwissenschaft, nur wenig Aufmerksamkeit findet. Zum anderen aber auch daraus, dass Reinheit in Verbindung mit Unreinheit steht und die Unreinheit stärker in den Fokus des Interesses fällt. Neben diesen Feststellungen gibt Simon dem Leser grundlegende Arbeiten von Louis Dumont, Mary Douglas u.a. an die Hand. Damit wird auf die Möglichkeit einer gesellschaftlichen Hierarchisierung durch Reinheitsvorstellungen sowie auf das Verhältnis zwischen Reinheit und Sauberkeit aufmerksam gemacht. Letzteres belegt Simon zudem durch eine Auflistung von Begrifflichkeiten in diversen Sprachen, die sich auf Reinheit im religiösen Sinne und / oder Sauberkeit im hygienischen Sinne beziehen. Des Weiteren liefert die Einleitung, die gleichzeitig das vorgezogene Resümee des Bandes ist, die Erkenntnis, dass etwas nur im Verhältnis zu etwas anderem rein oder unrein sein kann, es einen permanenten Zustand von Reinheit nicht geben kann und Reinheitsvorstellungen einem permanenten Wandel unterliegen, weil sich weltweit alle Gesellschaften verändern. Nicht zuletzt geht Simon darauf ein, dass Reinheit ein unter anderem mithilfe des Rituals von Menschen konstruierter Zustand ist, purity is made - wie auch aus dem Titel des Buches hervorgeht. Es folgen ein ganz naturwissenschaftlicher Beitrag von Virginia Smith sowie ein kulturübergreifender mehr psychologisch begründeter Beitrag zum Verhältnis zwischen Sauberkeit und Reinheit von Brendan Strejcek und Chen-Bo Zhong. Letzterer deckt auf, dass die körperliche Reinigung als moralische Unreinheit kompensierende Methode wahrgenommen wird. Nach diesem allgemeinen Teil werden nun 20 spezifische Beiträge zu Reinheitsvorstellungen in Kulturen, Religionen und Regionen in chronologischer Reihenfolge ihrer Entstehung dargeboten. Entsprechend der von Simon geäußerten Kritik, dem Islam sei bislang in dieser Hinsicht zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden, werden dem Islam in diesem Sammelband gleich mehrere Beiträge gewidmet - unter anderem auch im Zusammenhang mit Zentralasiens stalinistischer Vergangenheit.

Einen kurzen Einblick soll die Darstellung der folgenden drei Beiträge liefern - jedoch ohne dabei die anderen, nicht genannten, Beiträge weniger würdigen zu wollen. Joachim Friedrich Quack informiert über das Konzept der Reinheit im alten Ägypten, wobei er sich unter anderem auf die Darstellungen im ältesten Textkorpus Ägyptens aus dem dritten Jahrtausend v.Chr. bezieht. Es wird deutlich, dass Reinigungsrituale im alten Ägypten nicht nur auf die Reinigung des Einzelnen abzielen, sondern auch auf das Ausschalten der (politischen) Feinde. Ein Konzept, das Quack mit der Formulierung, man könne "hier gleichsam zwei Abstufungen von Grau annehmen" (113), untermauert. Als weiße Seite wird die Erhöhung dessen, der sich von Unreinheit ablöst oder dessen Unreinheit ins Vergessen gerät, definiert. Als schwarze Seite gilt die Erniedrigung des Feindes. Zusammenfassend kommentiert Quack dies als eine Reinigung der eigenen Person durch "Anschwärzen potentieller Gegner" (113). Beatrix Hauser nimmt sich der hinduistisch geprägten Vorstellungen zu Reinheit an - wobei ihr Hauptinteresse in der Frage besteht, welche Bedeutung die Reinheitsvorstellungen im täglichen Leben der Menschen haben und wie Menschen Reinheit zum einen selbst wahrnehmen und zum anderen an andere kommunizieren. Hier bedient sich Hauser der Theorien Bourdieus, Csordas' und Mauss' und betrachtet den menschlichen Körper als eine Art Dechiffrier-Gerät, dazu gemacht, kulturelle Codizes zu erkennen und zu verpacken. Dabei spielt der Zusammenhang zwischen Schönheitsidealen und Reinheit eine große Rolle, ebenso kann zwischen Glücksverheißung und Reinheit eine Verbindung hergestellt werden; währenddessen der Grad der (Un-)Reinheit nicht mit dem Grad der (Un-)Sauberkeit übereinstimmen muss, wie Hauser feststellt. Auch führt Hauser den Leser in die Fachtermini ein und beschreibt, dass die Unreinheit zumeist durch Körpersubstanzen erzeugt werden würde. Ihre Ausführungen zum Konzept der Reinheit, das - wie sie zurecht einschränkend hinzufügt - nicht für alle Hindus gelten kann, sondern lediglich die Punkte aufgreift, denen ein Großteil der hinduistischen, indischen Bevölkerung zustimmen würde, untermauert Hauser anschaulich mit Beispielen aus ihrer Feldforschungsarbeit von 1999 bis 2003. In ihrem Beitrag zu den islamischen Vorstellungen zu Reinheit, ṭahāra, schreibt Marion H. Katz, dass Muslime zum Teil die Anwesenheit von Vorstellungen zu ritueller Reinheit bestreiten, doch in Wirklichkeit den Vorschriften dazu folgen würden. Katz bezieht sich mit ihren Ausführungen auf den sunnitischen Islam und geht von zwei Hauptargumentationssträngen aus: Zum einen, dass die Waschungen, wuḍūʾ, eine Form der Höflichkeit darstellen und den Respekt vor dem Höhergestellten signalisieren, indem man die sichtbaren Körperteile zuvor wäscht. Zum anderen, dass die Waschungen das Potential haben, von Sünden zu reinigen, wie es etwa dem Propheten Muḥammad in Form der ḥadīthe zugeschrieben wird. Bezüglich letzterem gibt es die Diskussion, inwiefern die Reinigung des Herzens der Reinigung der nach außen hin sichtbaren Körperteile, also physischer Hygiene, vorzuziehen sei - zwei Konzepte, die im Sufismus laut al-Ghazāli zusammentreffen und zum Teil verwechselt werden, sodass mehr Wert auf das Äußere denn auf das Innere gelegt wird. Katz legt die mittelalterlichen Diskurse von islamischen Gelehrten wie al-Quaffāl, al-Ghazāli oder Ibn Taymiyya dar - dabei geht es nicht so sehr um das, was die Rechtstexte meinen, sondern darum, inwiefern einzelne muslimische Gruppierungen sich keinesfalls daran halten - ein 'Genre', das von Katz als "religious polemics" bezeichnet wird (280). Durch solche polemischen Aussagen wird auch deutlich, was man mit Reinheitsvorstellungen bewirken kann: Die Abgrenzung einer (elitären) muslimischen Gruppe von einer anderen (gewöhnlichen) muslimischen Gruppe durch Symbole der Reinheit. Mit dem Aufsatz widerlegt Katz nicht zuletzt die Meinung anderer Wissenschaftler wie Reinhart und Maghen, dass man von Reinheit im Islam nicht sprechen könne und Unreinheit nicht als kontagiös wahrgenommen werde.

Gerade die vielfältige Auswahl von Religionen/Kulturen/Regionen machen dieses sehr dicht geschriebene Buch besonders ertragsreich - noch einmal mehr bereichert durch die große zeitliche Spannweite. Zum Teil gehen die Autoren sogar darauf ein, wie die Vorstellungen einer Religion in die Vorstellungen der anderen einfließen. Auch glänzt das Werk durch eine differenzierte Darstellung religiöser Gemeinschaften jenseits der Zuordnungen "Judentum, Hinduismus, Buddhismus, Christentum, Islam" und nimmt beispielsweise die Hethiter mit auf, ebenso wie die griechische Religion; gleichermaßen werden umstrittene Gruppierungen wie Mormonen oder Salafis unter Ausschluss der üblichen negativ wertenden Berichterstattung der Medien aufgegriffen. Es wäre durchaus eine Bereicherung gewesen, auch den Zoroastrismus in die große Reihe der Religionen mit aufzunehmen - anstatt ihm nur einen zwar durchaus treffenden, doch kurzen Absatz in der Einleitung zu widmen, da sich in ihm noch eine andere Nuance der Reinheitsvorstellungen zeigt. Eine, in der die Erhaltung der Reinheit der Elemente wie Feuer und Erde im Vordergrund stehen - vor allem im Zusammenhang der Berührung mit dem Leichnam. Ägypten, Mongolei, Südafrika, Japan - um nur einige Regionen zu nennen - werden beleuchtet. Dies weist auf eine globale Betrachtungsweise hin, in der der europäische Raum nur einen Raum von vielen darstellt, keinesfalls aber in das Zentrum geschoben wird. Zeitlich geht es ebenfalls querbeet - ob Antike oder aktuelle Entwicklungen, der Leser muss auf nichts verzichten. Sehr wünschenswert wäre ein Übertrag der wertvollen Arbeitsergebnisse auf die gesellschaftliche Realität und ganz praktische Fragen des Alltags, so wie Paula Schrode es beispielsweise in Bezug auf den Konsum von Schweinefleisch durch Muslime versucht. Denn, so stellt sich die Frage, warum ist es für den Leser wichtig, dass er etwas über Reinheitsvorstellungen weiß? Was bedeuten diese Vorstellungen für unser Zusammenleben in der heutigen Zeit? Wie lässt sich praktischer Nutzen aus den gewonnen Einblicken ziehen - zum Beispiel, wenn es um interkulturell und interreligiös kompetentes Handeln geht?

Anja Döscher