Claire Gantet: 'Befreiungskriege'. Einführung, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 5 [15.05.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
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Von Claire Gantet
Spätestens seit dem zweihundertjährigen Jubiläum der Französischen Revolution (genauer: des Sturms auf die Bastille) 1989 bietet jeder Gedenktag eines wichtigen Ereignisses der Revolutionszeit und der Napoleonischen Epoche den Anlass zu einer regen Publikationstätigkeit. Die Veröffentlichungen zum Gedenken an die Völkerschlacht bei Leipzig vom 16. bis 19. Oktober 1813 können dennoch nicht als Bücherflut bezeichnet werden. Dieses FORUM stellt sechs Werke zusammen, die alle (bis auf eines) pünktlich zum Gedenkjahr 2013 erschienen sind. Zusammen mit dem Buch von Hans-Ulrich Thamer, Die Völkerschlacht bei Leipzig (ebenfalls 2013 erschienen), dessen Rezension bereits veröffentlicht wurde [1], bieten sie einen sehr guten Ausgangspunkt, um die heutige wissenschaftliche Beurteilung der Völkerschlacht sowie der Befreiungskriege insgesamt einzuschätzen.
Den aktuellen Bedürfnissen der Studierenden gemäß handelt es sich dabei vorwiegend um Überblicksdarstellungen. Abgesehen von dem Band von Hans-Dieter Otto - der die Kriterien wissenschaftlicher Arbeit offensichtlich wenig respektiert - bemühen sie sich, wissenschaftliche Ansätze einzuspeisen, auch wenn sie, dem Genre geschuldet, Zitate ohne Belege einbauen.
Sämtliche Publikationen behandeln das zentrale Thema der Staatsbildung in Deutschland, der öffentlichen Meinung sowie der möglichen Entstehung des Nationalismus, dies aber auf ganz unterschiedliche Art. Während der Germanist Arnulf Krause in seinem Buch Der Kampf um die Freiheit ein geistesgeschichtliches Panorama der Befreiungskriege zeichnet und sich auf die geistige Mobilisierung der Zeitgenossen konzentriert, versucht Hans-Ulrich Thamer in seinem oben genannten Werk, die Befreiungskriege sozial einzugrenzen: Die Kriege gegen Napoleon sind zunächst auf der europäischen Ebene zu verstehen, in Deutschland (oder in Preußen?) blieb die Partizipation am Krieg aber eine Elitenbewegung.
Nur ein französisches Werk würdigt das Jubiläum: eine (neue) Biographie Napoleons. Geschrieben vom achtzigjährigen Historiker Jean Tulard (geb. 22.12.1933), entfaltet sie keine neuen Ansätze, sondern eine dokumentierte und reflektierte Mythologie des Helden Napoleon. In ihrer Monographie Auf gegen Napoleon fragt die österreichische Historikerin Alexandra Bleyer: "wie viel Volk steckte in den Volkskriegen?" Trotz der starken Heterogenität des Verhaltens der Bevölkerung und der Unentschlossenheit der Gegner Napoleons konstatiert sie die zentrale Rolle der spanischen "guerilla" für die Ablehnung eines radikalen Volkskriegs in Österreich, in Süddeutschland und in Preußen. Nur in Deutschland wurde übrigens die Schlacht bei Leipzig vom 16. bis 19. Oktober 1813 eine Völkerschlacht genannt. In der französischsprachigen Tradition wird von einer Schlacht der drei Kaiser ("Bataille des trois empereurs") gesprochen. Insgesamt bestätigen diese Überblicksdarstellungen mehr schon Bekanntes, als dass sie neue Aspekte der Forschung aufwerfen oder initiieren.
Gegenüber diesen wissenspopularisierenden Bänden stechen zwei Werke durch ihre ganz neue Herangehensweise heraus. In ihrer Monographie über Preußens Ruhm und Deutschlands Ehre untersucht Birgit Aschmann die Befreiungskriege nicht als Endpunkt des revolutionären Missionarismus bzw. des strategischen und propagandistischen Geschicks Napoleons. Sie setzt sich mit dem gesamten 19. Jahrhundert auseinander und legt eine überzeugende Untersuchung der Langlebigkeit der Ehre als Motiv zum Krieg in den Jahren 1806, 1813 und 1870 vor. Werner Greiling gibt eine kommentierte Ausgabe einer antifranzösischen Flugschrift heraus: Johann Michael Armbrusters Sündenregister der Franzosen in Deutschland (1814). Auch wenn es sich um eine Extremposition der antifranzösischen Propaganda handelt, zeigt diese Quellenedition, dass es in Deutschland eine national gefärbte Feindschaft gegen Napoleon und gegen die Franzosen sowie einen deutsch-französischen Propagandakrieg gab.
Insgesamt werfen die hier zusammengesetzten Publikationen einen unterschiedlichen und differenzierten Blick auf die "Befreiungskriege". In Abkehr von der älteren borrussisch-nationalen Erzählung wird eine europäische - oder gar globale? - Geschichtsschreibung angestrebt, in der die deutsche Staatsbildung jedoch noch immer als Problem erscheint. Die Fragestellung bleibt insofern vorrangig politisch. Die kulturell, anthropologisch und medienwissenschaftlich verankerte Politikgeschichte eröffnet aber neue und sehr vielversprechende Forschungsperspektiven.
Anmerkung:
[1] Kirstin Buchinger: Rezension von: Hans-Ulrich Thamer: Die Völkerschlacht bei Leipzig. Europas Kampf gegen Napoleon, München: C.H.Beck 2013, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 10 [15.10.2013], URL: http://www.sehepunkte.de/2013/10/23210.html
Claire Gantet (Paris / München)