Nicholas Porchet: Demokratisierung in Südostasien. Eine Analyse Indonesiens, der Philippinen und Thailands (= Südostasien. Entwicklungen - Problemstrukturen - Perspektiven; Bd. 11), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2008, XXXII + 506 S., ISBN 978-3-8258-1375-8, EUR 51,90
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Die Demokratie scheint in der heutigen Welt ein, wenn nicht das transnationale Erfolgsprodukt zu sein. Nahezu alle Länder der Erde streben nach dieser Staatsform oder bezeichnen sich zumindest als solche, auch wenn sie in der Realität meilenweit von einem demokratischen Regierungssystem entfernt sind. Selbst autoritäre Herrschaftssysteme in Asien, Afrika, Lateinamerika, aber auch in Europa berufen sich ebenso auf die Demokratie wie die traditionell als demokratisch geltenden Länder der westlichen Welt. Doch was ist eigentlich Demokratie beziehungsweise was zeichnet eine funktionierende Demokratie aus? Bis heute beschäftigt sich die Demokratieforschung als politikwissenschaftliche Disziplin mit dieser Frage. Ein anderer ihr entsprungener Zweig, die Transformationsforschung, widmet sich den staatlichen und gesellschaftlichen Veränderungsprozessen, gleichsam in Richtung einer Demokratisierung als auch deren Abkehr. Von besonderem Interesse in diesem Forschungsfeld sind noch "junge" Demokratien. Viele davon finden sich im südostasiatischen Raum wieder.
Explizit innerhalb dieses Bezugsrahmens ist auch die 2008er Dissertationsschrift von Nicolas Porchet angesiedelt. Porchet legte seine Arbeit im Fachbereich Staatswissenschaften an der Universität St. Gallen ab. In dieser untersuchte er auf Basis einer historisch-komparativen Methodik die demokratischen Attribute von drei exemplarisch ausgewählten Ländern (Indonesien, den Philippinen und Thailand) Südostasiens, die als Demokratien gelten. Porchet begründet die Auswahl mit den unterschiedlichen soziokulturellen und historischen Hintergründen der Staaten. (11)
Die zugrunde liegende Fragestellung problematisiert, ausgehend von der These, dass sich in allen untersuchten Ländern demokratische Systeme herausgebildet haben, die demokratische Öffnung der jeweiligen Fallbeispiele und soll Aufschluss darauf geben, inwiefern und in welchem Maß sich die Demokratie in den Ländern konsolidieren konnte. Porchet erweitert seine These mit der Annahme, dass jeder für die Untersuchung ausgewählte Staat jedoch weiterhin demokratische Defizite aufweist. (15) Hieraus resultiert zwangsläufig die Frage auf welcher theoretischen Grundlage die deklarierten Defizite basieren, was der Autor im ersten Teil seiner Arbeit beantwortet. In diesem steckt Porchet seinen Analyserahmen ab und entwickelt eine Art Maßsystem für demokratische Qualität (75), das in seinen Grundzügen auf dem Dahlschen Polyarchie-Konzept aufbaut. Dieses ergänzt er mit den Gedanken von Diamond (47), dessen Vorstellung einer liberaldemokratischen Demokratie auf einer erweiterten horizontalen Gewaltenkontrolle und der Einschränkung von etablierten Machtdomänen, zu denen in allen Ländern dieser Untersuchung das Militär zählt, gründet. In seinen Charakteristika ähnelt dieses Schema dem Konzept der "defekten Demokratie" [1], dessen analytische Aufgabe darin besteht, Beschädigungen von liberaldemokratischen Kernprinzipien, welche nach dem Idealtypus der embedded democracy vordefiniert sind, in politischen Systemen aufzuzeigen, die dennoch als Demokratien angesehen werden. Problematisch bei einer solchen Sichtweise, und hierin liegt auch ein Kritikpunkt an Porchets analytischem Konzept, ist allerdings die einseitige Beleuchtung der Thematik, welche sich primär auf eine formal-demokratische respektive konstitutionelle Erklärungsebene beschränkt und Entwicklungen auf Mikroebene außen vor lässt. Krennerich (2005) weist in Bezug auf das Erklärungskonzept der defekten Demokratie auf die theoretisch-deduktiven Normen der Theorie hin [2], welche als rein westliches Konstrukt nur bedingt auf junge Demokratien angewendet werden können. Dies trifft im besonderen Maße auf asiatische Länder zu. Ferner wird durch den Maßstab des liberaldemokratischen Idealtypus der Demokratiebegriff zu sehr eingeengt, sodass auch etablierte, vitale Demokratien nach dem Konzept, beispielsweise durch ein lediglich hinreichendes Wahlregime, als defekte Demokratien gelten können und unter schwierigen Bedingungen erkämpfte demokratische Fortschritte so nicht wahrgenommen werden (Krennerich 2005: 121). In diesem Zusammenhang kann ein solches Konzept auch nur begrenzt gegenwärtig ablaufende gesellschaftsdynamische Prozesse, wie sie sich beispielsweise in Thailand ereignen [3], erklären. Hier soll jedoch auch angemerkt werden, dass zum Verständnis solcher Prozesse, die Analyse institutioneller Rahmenbedingungen keinesfalls ignoriert werden kann. In diesem Zusammenhang bieten die von PORCHET determinierten theoretischen Grundlagen der Demokratieforschung neben ihrer logischen Stringenz auch eine umfassende Einführung in das breite Forschungsfeld.
Im zweiten und dritten Teil der Arbeit werden konkret die ausgewählten Staaten beleuchtet. Hier wird vom Autor bewusst eine negative Beurteilungsperspektive eingenommen, welche darauf zielt, explizit die demokratischen Defizite innerhalb der jeweiligen Länder nach dem vorentworfenen Analysekonzept aufzuzeigen. Zu Beginn zeichnet Porchet einen Gesamtüberblick über die unterschiedliche historische Entwicklung der einzelnen Staaten respektive ihre differenten Wege zur Demokratie. Um die politischen Situationen der Gegenwart darzustellen, bedient sich Porchet des Demokratieratings von Freedom House [4], welches politische Rechte und zivile Freiheiten reflektiert. Nachfolgend werden die konstitutionellen Ordnungen thematisiert, die einen markanten Unterschied zwischen den Untersuchungsobjekten offenbaren: Während sich in Thailand eine parlamentarische Monarchie etablierte, entwickelten sich auf den Philippinen und in Indonesien präsidiale Systeme. Im Hinblick auf die Demokratisierungsprozesse der Länder eruiert Porchet jedoch wieder eine gemeinsame Problematik, die er in den korrupten politischen Verhältnissen verortet sieht und deren Ursache er ferner durch die traditionell gewachsenen Patronagesysteme erklärt (215). In diesem Zusammenhang folgt eine historische Aufarbeitung, welche die politische Rolle der wichtigsten strategischen Gruppen innerhalb der Staaten fokussiert. An einigen Stellen weist diese jedoch Lücken auf, so wird beispielsweise in Thailand das Militär, aber nicht die sogenannte "Netzwerkmonarchie" [5] angesprochen. Eine detailliertere Analyse der strategischen Akteure in den jeweiligen Ländern wäre an dieser Stelle wünschenswert. Weiterhin wird die schwierige Situation der Zivilgesellschaft, die prekäre Lage von Minderheiten, der politische Einfluss von Religion, die Verletzung freiheitlicher Rechte sowie die ökonomische Entwicklung thematisiert. Auf den letzten Aspekt legt Porchet als Vertreter der Modernisierungstheorie ein besonderes Augenmerk. Die großen Debatten zu dieser Theorie sollten allseits bekannt sein. Die länderspezifischen Analysen der restlichen Aspekte schöpfen stellenweise nur an der Oberfläche, was aufgrund des Fokus auf eine vergleichende Analyse mit drei Bezugspunkten jedoch völlig nachvollziehbar ist.
In einer abschließenden Betrachtung resümiert Porchet die Ergebnisse seiner Vergleichsstudie. Letztlich bestätigt er seine These, dass man bei keinem der Länder von einer konsolidierten Demokratie sprechen kann. In Thailand eliminierte die Regierung unter Thaksin Shinawatra die demokratischen Errungenschaften von Jahrzehnten in nur fünf Jahren. Die Ereignisse eskalierten schließlich 2006 im 18. Militärputsch der thailändischen Geschichte, was unumwunden darauf hindeutet, dass die demokratischen Institutionen in Thailand stark beschädigt sind. Während der Demokratisierungsprozess so wieder auf Null zurückgeworfen wurde, entwickelte sich in den letzten Jahren jedoch ein wachsendes politisches Bewusstsein in den Köpfen der Bevölkerung sowie eine neue soziale Bewegung, die sogenannten Rothemden, die nach Demokratie strebt und in der jüngsten Vergangenheit auch erste Erfolge verzeichnen konnte, allerdings unter großen Opfern. Indonesien stellt faktisch die jüngste Demokratie innerhalb dieser Untersuchung dar, welche aber im Vergleich mit dem positivsten Entwicklungsergebnis aufwarten kann. Porchet liegt vollkommen richtig mit seiner Einschätzung, dass man hier noch keine Prognose stellen kann und erst abwarten muss, ob die alten Machteliten, wie das Militär, keinen weiteren Einfluss auf die politische Entwicklung nehmen. Darüber hinaus steht der indonesische Staat vor dem Drahtseilakt wirtschaftliche Probleme, soziale Ungleichheit und massive Korruptionsprobleme zu bewältigen. Ein weiteres Problem ist der zunehmende politische Einfluss islamischer Kräfte. Die Philippinen haben weiterhin mit einem blockierten Demokratisierungsprozess zu kämpfen. Die Wunden aus der Marcos Diktatur konnten noch nicht gänzlich beseitigt werden und die politische Macht konzentriert sich auf eine kleine Elite, die vielmehr damit beschäftigt zu sein scheint einen internen Machtkampf auszutragen als dringend benötigte politische und soziale Reformen einzuleiten.
Im Hinblick auf die ablaufenden Demokratisierungsprozesse Thailands, Indonesiens und der Philippinen, offeriert Porchets Arbeit im Feld der Transformationsforschung einen insgesamt umfassenden Überblick, der aufgrund seiner detaillierten Einführung auch als Einstieg in die Demokratieforschung genutzt werden kann.
Anmerkungen:
[1] siehe: Wolfgang Merkel /u.a: Defekte Demokratie. Bd. 1, Opladen 2003.
[2] siehe Michael Krennerich: Defekte Demokratie, in: Lexikon der Politikwissenschaft, hgg. von Dieter Nohlen u.a., München: 2005, 119-121.
[3] Gemeint ist der gesellschaftliche und politische Konflikt infolge des Militärputsches 2006.
[5] siehe: Duncan McCargo: Network monarchy and legitimacy crises in Thailand, in: The Pacific Review 18 (2005), 499-519.
Frank Arenz