Christian Kühner: Politische Freundschaft bei Hofe. Repräsentation und Praxis einer sozialen Beziehung im französischen Adel des 17. Jahrhunderts (= Freunde - Gönner - Getreue. Studien zur Semantik und Praxis von Freundschaft und Patronage; Bd. 6), Göttingen: V&R unipress 2013, 364 S., ISBN 978-3-8471-0032-4, EUR 49,99
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Jens Niebaum / Herbert Karner / Eva-Bettina Krems u.a. (Hgg.): Sakralisierungen des Herrschers an europäischen Höfen. Bau - Bild - Ritual - Musik (1648-1740), Regensburg: Schnell & Steiner 2019
Kann es in der Politik Freunde geben? Oder handelt es sich dabei stets nur um Tauschgeschäfte im gegenseitigen Interesse? Diese Frage ist auch heute noch aktuell, sie stellt sich aber in besonderem Maße für die Sozialbeziehungen der politischen Eliten der Frühen Neuzeit. Gab es also an den Höfen Europas Freundschaften oder nur interessegeleitete Beziehungen? Und waren Freundschaften nur unter ranggleichen Adligen möglich, oder konnte Freundschaft Rangunterschiede auch überwinden helfen? Lassen sich dabei Freundschaftsdienste abgrenzen von Patronage- und Klientelbeziehungen, oder überlappen sich beide Phänomene weitgehend? Diese Fragen sind in der Patronageforschung bereits ausführlich erörtert worden, und die unterschiedlichen Antworten hängen wesentlich davon ab, wie man Freundschaft jeweils als analytische Kategorie definiert hat.
Christian Kühner schlägt ein alternatives Vorgehen vor, wenn er sich in seiner Untersuchung der Verwendung des Begriffs Freundschaft durch die Zeitgenossen zuwendet und danach fragt, in welcher Weise sie den Begriff verwendeten, welches Bedeutungsfeld damit beschrieben wurde und wie sich die Freundschaftsrhetorik zu den Sozialbeziehungen verhält, in denen sie zum Einsatz kam. Die Semantik von "amitié" untersucht Kühner exemplarisch anhand des Netzwerkes des Grand Condé. Hier kann Kühner aus dem Vollen schöpfen. Die Korrespondenz des Prinzen ist in insgesamt 108 Foliobänden überliefert, die ihrerseits bereits prosopographisch erschlossen sind. Hinzu kommt eine reichhaltige Memoirenliteratur, in der die ereignisreiche Zeit der Fronde und der ersten drei Jahrzehnte der Herrschaft Ludwigs XIV. thematisiert wird und damit auch die Kontakte und Sozialbeziehungen des Prinzen Gegenstand der Beschreibung sind. Die wechselnden politischen Rahmenbedingungen liefern für die Fragestellung nach Freundschaftsverbindungen und deren Semantik ein gutes Experimentierfeld: Schließlich ist insbesondere die Zeit der Fronde eine Zeit schnell wechselnder Koalitionen und Frontstellungen, wechselnder Loyalitäten und Bündnisse. Condé liefert selbst dafür das beste Beispiel: Seine wechselvolle Karriere vom französischen Kriegshelden im Dreißigjährigen Krieg zu einem der bedeutsamsten Frondeure, inklusive Exil und verhängtem Todesurteil in absentia und schließlich die Rückkehr nach Frankreich infolge der Begnadigung durch Ludwig XIV. dürften reichhaltiges Anschauungsmaterial liefern für das Fortbestehen und das Zerbrechen von Freundschaften. Allerdings ist die Untersuchung nicht chronologisch, sondern systematisch angelegt. Die wechselvolle Geschichte des Prinzen Condé bildet den Hintergrund und sie liefert das Material, sie wird aber, außer in einem kurzen Einleitungskapitel, nicht selbst zum Gegenstand der Untersuchung gemacht.
Es zeigt sich, dass vielfältige Sozialbeziehungen als Freundschaft bezeichnet wurden: Ehefrauen wurden ebenso als Freund bezeichnet wie Verwandte, aber auch Klienten des Prinzen oder ranggleiche Personen. Kategorial mag man zwischen Freundschaften von ranggleichen Personen und Patronage- und Klientelbeziehungen zwischen Rangungleichen unterscheiden, in der Rhetorik der Beteiligten findet dieser Unterschied aber, wie Kühner zeigen kann, keine Entsprechung: Die Begriffe Patron und Klient sind in der Korrespondenz kaum gebräuchlich. Stattdessen kommt gerade auch in Klientelbeziehungen immer der Begriff "ami" zum Einsatz. Auch der Begriff "amitié intime" findet wiederholt Verwendung, meint aber nicht romantische Freundschaftsemphase wie im 19. Jahrhundert, sondern dient eher der Bekräftigung einer Sozialbeziehung. Als allgemeines Ergebnis seiner Untersuchung schlussfolgert Kühner, dass mit Freundschaft nicht Intimität ausgedrückt werde, sondern Loyalität.
Wie war es nun um solche Loyalitäten jenseits der Rhetorik bestellt? Die Sozialbeziehungen auch des Prinzen Condé waren häufig eher flüchtiger Natur, stabile Loyalitätsverhältnisse von der eigenen Jugendzeit bis zum Tod waren die seltene Ausnahme - weshalb diese lebenslange Treue in den Briefen und den Memoiren auch stets hervorgehoben wurde. Die Freundschaftssemantik war daher nicht beschränkt auf eigene Netzwerke, sondern gängiger Bestandteil der adligen Kommunikation generell. Innerhalb der höfisch-aristokratischen Kreise konnte man schnell aus unterschiedlichen Gründen als Freund adressiert werden, ohne dass damit automatisch weitreichende Erwartungen verbunden gewesen wären. Eine solche Freundschaftsbeteuerung war ein Loyalitätsversprechen auf die Zukunft, mehr nicht. Gleichwohl hatten sich - wie man an zahlreichen Beispielen vorgeführt bekommt - gewisse Standards herausgebildet, mit denen die Akteure die Ernsthaftigkeit dieser Rhetorik unterstrichen. So mündete illoyales Verhalten nicht selten in formal erklärte Aufkündigungen der Freundschaft, in Schlichtungsversuchen seitens Dritter oder im Duell. Umgekehrt war ein absolviertes Duell, sofern beide Beteiligten die Angelegenheit überlebten, auch ein geeigneter Moment, um sich erneut gegenseitige Freundschaft zu geloben. Zahlreiche Gesten standen den Beteiligten zur Verfügung, um sich gegenseitig der Freundschaft zu versichern: über den Gabentausch, die Gastfreundschaft und erwiesene Vorleistungen unterschiedlichster Art zählt Kühner eine breite Palette an Möglichkeiten auf, um Mitmenschen die eigene Freundschaft zu versichern und damit Loyalität zu sichern.
Kühners Untersuchung ist immer dort am besten, wo er anhand der Sprache der Quellen und der Erläuterung des Kontextes die Pragmatik der Freundschaftsrhetorik offenlegen kann. Dabei hat er seine gesamte Untersuchung gleichsam enzyklopädisch angelegt. Die Arbeit ist daher unterteilt in zahllose Aspekte der Freundschaftsrhetorik, die dann mit Beispielen unterfüttert werden. Dadurch gewinnt der Leser ein Bild von der Vielfältigkeit des Freundschaftsdiskurses. Über diesen systematischen Ansatz gerät aber der Blick auf die strategischen Einsatzmöglichkeiten der Freundschaftsrhetorik beispielsweise für den Prinzen Condé während der Fronde oder danach etwas zu kurz. Beides hätte man wohl auch nicht zugleich leisten können. In jedem Fall ist es für die Adelsgeschichte der Frühen Neuzeit von großem Wert, dass nun eine Untersuchung zur Freundschaftsrhetorik im höfischen Hochadel Frankreichs vorliegt.
Andreas Pečar