Giles Scott-Smith: Western Anti-Communism and the Interdoc Network (= Palgrave Macmillan Transnational History Series), Basingstoke: Palgrave Macmillan 2012, XVI + 356 S., 39 s/w-Abb., ISBN 978-0-230-22126-0, GBP 65,00
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Geheimdienste denken üblicherweise in (national)staatlichen Kategorien und entwickeln eher selten Visionen für den Abbau internationaler Spannungen. Diese Einsicht stützt sich insbesondere auf die Zeit des Kalten Krieges, die in Zeitzeugenberichten, Geschichtsschreibung und populärkulturellen Adaptionen oft als Hochphase geheimdienstlicher Aktivitäten, als unerbittlicher Kampf von Agenten und Spionen an einer "unsichtbaren Front" [1] dargestellt wurde. Giles Scott-Smith von der Universität Leiden, ein ausgewiesener Kenner des 'Cultural Cold War' [2], hinterfragt diesen Topos. Denn mit seiner Geschichte des International Documentation and Information Centre (kurz: Interdoc) nimmt er ein durch mehrere nationale Geheimdienste geknüpftes transnationales "Netzwerk von in Westeuropa ansässigen Individuen und Instituten" in den Blick, das seiner Meinung nach nicht nur "eine bemerkenswerte Übung in Europäischer Integration", sondern vor allem einen Versuch darstellte, "die Angst zu beenden und den Boden zu bereiten für ein Ende des Kalten Krieges" (2).
Auf Basis von Quellenmaterial aus 18 westeuropäischen und US-amerikanischen Archiven und insgesamt über 40 Zeitzeugengesprächen rekonstruiert Scott-Smith den Aufbau, die Arbeitsweise und die Auflösung des Interdoc-Netzwerks in acht chronologisch angelegten Kapiteln. Seine Schilderung beginnt Mitte der 1950er Jahre mit der Entstehung halbjährlicher Studienkolloquien, die sich mit antikommunistischer Propaganda und einer angemessenen Reaktion auf die sowjetische Rhetorik der 'friedlichen Koexistenz' befassten. Hier trafen Vertreter verschiedener westeuropäischer Nachrichtendienste mit führenden Köpfen aus Militär, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medienwelt zusammen. Ziel dieser Kolloquien war es, eine "privatisierte Alternative zur von der NATO betriebenen psychologischen Kriegsführung" (247) zu schaffen und dabei über den bloßen Informationsaustausch hinaus gemeinsame Antworten auf die kommunistische Bedrohung zu entwickeln.
Bald schon setzte sich innerhalb dieser Gruppe die Einsicht durch, dass "der Schutz, die Bewahrung, die Entwicklung und die Verteidigung unseres Lebensstils der beste Anti-Kommunismus" seien (8). Da eine Intensivierung der Kontakte zwischen Ost und West unaufhaltsam erschien, konnte die Strategie nicht länger in der weitgehenden Abschottung von den sozialistischen Staaten bestehen. Ihr Ziel musste vielmehr eine Sensibilisierung westlicher Eliten für Gefahren wie Möglichkeiten des geistigen und wirtschaftlichen Austauschs mit dem Osten sein. Indem die Vordenker des späteren Interdoc-Netzwerks die "Gedanken- und Handlungsfreiheit" (33) zur Prämisse für einen Dialog mit der kommunistischen Welt erklärten, entwickelten sie eine auf die Stärken der liberalen Demokratie gegründete Vision für das Ende des Kalten Krieges. Mit diesem Übergang von einem "negativen" zu einem "positiven Antikommunismus" (48) nahmen sie in gewisser Weise die mit Korb III der KSZE-Schlussakte verbundenen Überlegungen vorweg.
Die Planungen zu einer dauerhaften Etablierung und zur institutionellen Festigung der Studienkolloquien wurden seit 1960/61 vor allem von führenden Vertretern des niederländischen Inlandsgeheimdienstes BVD und des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND) vorangetrieben. Der als "schwieriger Partner" (60) charakterisierte französische Auslandsgeheimdienst SDECE hingegen hatte schon vor der offiziellen Gründung im Februar 1963 von dem Projekt Abstand genommen, ohne jedoch den Gesprächsfaden vollständig abreißen zu lassen. Kontakte bestanden außerdem nach Großbritannien zum Information Research Department (IRD) des Foreign Office und zur Economic League, zum Schweizerischen Ostinstitut von Peter Sager, nach Italien, Belgien, Skandinavien, Portugal und Griechenland. Dabei hatte das Projekt von Beginn an mit dem Dilemma zu kämpfen, dass viele dieser Kooperationspartner auf ihrer unnachgiebigen, von Stereotypen geprägten Einstellung gegenüber der kommunistischen Welt beharrten. Sie ließen sich daher kaum in den konstruktiven Ansatz der Interdoc-Gründer integrieren.
Am Jahresbudget von anfänglich 90.000 Gulden beteiligten sich die deutsche und die niederländische Seite zunächst im Verhältnis 4:1, bis 1969 stieg es auf über 500.000 Gulden an (102). Dazu kamen bedeutende Geldbeträge von niederländischen Unternehmen wie Shell, Philips, Unilever und AKU. Die erhoffte US-amerikanische Unterstützung blieb zunächst gering. Interdoc und seine nationalen Partnerinstitute publizierten Schriftenreihen und Zeitschriften zu Fragen der Ost-West-Beziehungen, betrieben ein intensives Lobbying für ihre Konzeption der 'psychologischen Kriegsführung' und entwickelten eigene Antworten auf die Herausforderungen der 1960er Jahre - so zum Beispiel mit der Gründung von Interdoc Youth als Reaktion auf die Studentenbewegung. Bis Ende des Jahrzehnts entstand ein weltweites Kontaktnetz mit Verbindungen nach Südafrika, Japan, Indien, Indonesien, in den Libanon und schließlich auch verstärkt in die USA.
Es ist bezeichnend, dass die Bundesrepublik ihre Unterstützung im Zuge der sozialliberalen Entspannungspolitik seit 1969 stark reduzierte und Interdoc dadurch in gewisser Weise zum Opfer seines eigenen Erfolgs wurde. Nach dem endgültigen Rückzug des BND 1972 wurde Interdoc "umgestaltet zu einer eher lockeren multinationalen Unternehmung" (210), innerhalb derer nun die Niederländer den Ton angaben. Im zeitlichen Kontext der KSZE-Konferenzen organisierte das Haager Oost-West Instituut (OWI) als niederländische Speerspitze von Interdoc mehrere Reisen nach Osteuropa, um "die sowjetische Sichtweise auf die strategische und politische Wirklichkeit zu verstehen" (209). Es entwickelte sich so zum anerkannten Gesprächspartner für sowjetische Delegationen. In rechtskonservativen Kreisen stieß das OWI damit auf offene Kritik. Die sowjetische Intervention in Afghanistan brachte die Aktivitäten schließlich weitgehend zum Erliegen. Bis zu seiner formellen Auflösung 1986 existierte Interdoc nur noch auf dem Papier.
Mit seiner gut lesbaren Darstellung lenkt Giles Scott-Smith die Aufmerksamkeit auf einen bisher kaum bekannten, für die Genese entspannungspolitischer Konzepte aber durchaus bedeutsamen Akteur des Kalten Krieges. Dabei gelingt es ihm, den wichtigen Stellenwert antikommunistischen Denkens für den europäischen Integrationsprozess sowie den fundamentalen Wandel ideologischer Prämissen und politischer Kommunikation während der 'langen' 1960er Jahre in anschaulicher Weise herauszuarbeiten. Zwar lassen sich kleinere Fehler bemängeln: So liegt Goslar nicht in Hessen, sondern in Niedersachsen (100). Juan Carlos war 1971 zwar designierter spanischer Thronfolger, aber noch nicht König (318, Fußnote 58). Auch hätte die Sekundärliteratur stellenweise noch ein wenig sorgfältiger ausgewertet werden können. Weitgehend unbeantwortet bleibt außerdem die Frage nach der Rezeption von Interdoc im Ostblock, obwohl es Hinweise auf eine partielle Unterwanderung durch die DDR-Staatssicherheit gibt (172f.). Insgesamt jedoch bereichert die Studie unser Bild vom Kalten Krieg um eine beachtenswerte Episode, die gleichermaßen als symptomatisch und wegweisend für den Wandel antikommunistischen Denkens und die Genese entspannungspolitischer Konzepte seit Mitte der 1950er Jahre gelten kann.
Anmerkungen:
[1] George Bailey / Sergej A. Kondraschow / David E. Murphy: Die unsichtbare Front. Der Krieg der Geheimdienste im geteilten Berlin, Berlin 1997.
[2] Siehe insbesondere Giles Scott-Smith: The Politics of Apolitical Culture. The Congress for Cultural Freedom, the CIA and Post-War American Hegemony, London 2002; Giles Scott-Smith / Hans Krabbendam (eds.): The Cultural Cold War in Western Europe 1945-1960, London 2003.
Johannes Großmann