Wilfried Schöntag (Bearb.): Das reichsunmittelbare Prämonstratenserstift Marchtal (= GERMANIA SACRA. Dritte Folge 5: Die Bistümer der Kirchenprovinz Mainz. Das Bistum Konstanz; Bd. 6), Berlin: De Gruyter 2012, XVI + 770 S., 6 Klappkarten, ISBN 978-3-11-025312-2, EUR 149,95
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Zu Zeiten, als die Germania Sacra noch am Ende 2007 geschlossenen Max-Planck-Institut für Geschichte angesiedelt war, wurde vor nunmehr fast fünfzehn Jahren die Erforschung der Prämonstratenserstifte in das Arbeitsprogramm aufgenommen; erste Frucht dieses neuen Schwerpunktes war der voluminöse und wichtige Tagungsband "Studien zum Prämonstratenserorden". [1] Nachdem die Germania Sacra nun an der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen angesiedelt ist [2], haben sich jedoch aufgrund der Fokussierung des Langzeitprojekts auf die Bistümer und Domkapitel einige der vormaligen Bearbeiter von Prämonstratenserstiften zurückgezogen. [3] Umso erfreulicher ist es, dass nun der Band zum schwäbischen Stift Marchtal aus der Feder von Wilfried Schöntag, dem langjährigen Präsidenten des Landesarchivs Baden-Württemberg, als sechster Band der Germania Sacra zum Bistum Konstanz erschienen ist. Auch wenn Marchtal nicht zu den bedeutenden Prämonstratenserstiften des Südwestens zählt, ist es aufgrund seiner wechselvollen Geschichte höchst interessant; seine Urkunden- und Aktenbestände wurden jedoch infolge der Säkularisation zerrissen und befinden sich heute vornehmlich im Hauptstaatsarchiv Stuttgart, im Staatsarchiv Sigmaringen sowie im Thurn und Taxis Zentralarchiv in Regensburg. Diese Quellen in einer strukturierten Darstellung zum Sprechen zu bringen und für die Forschung zugänglich zu machen, gelingt Wilfried Schöntag in vorzüglicher Weise, wobei der vorliegende Band teilweise sogar weit über das eigentliche Forschungsobjekt Marchtal hinausweist und einen ersten Einstieg in der schwäbische Zirkarie bietet.
Nach einem Überblick über die Baugeschichte der alten, 1749/50 abgerissenen romanischen Stiftskirche und des 1701 geweihten barocken Nachfolgerbaus, über die Kapellen und Altäre, die Grabmäler und Grablegen der in Marchtal bestatteten regionalen Adeligen und Konventsangehörigen sowie die Bauentwicklung der Konventsgebäude, die ebenfalls Ende des 17. Jahrhunderts in barocker Manier erneuert wurden, folgen zunächst Hinweise zur stiftischen Archivüberlieferung an Urkunden und Amtsbüchern sowie zur insgesamt nicht sehr umfangreichen und im wesentlichen neuzeitlichen "Gebrauchs"-Bibliothek ohne nennenswerten mittelalterlichen Bestand (65-88). Im Anschluss daran (89-168) wird zunächst die Geschichte des Stifts, das 1171 aus einer um 760 als Benediktinerkloster gegründeten und im 10. Jahrhundert in ein Säkularkanonikerstift umgewandelten Vorgängerinstitution hervorgegangen war, bis zur Säkularisation im Jahre 1803 skizziert. Besondere Schwerpunkte bilden dabei der höchst komplizierte, langwierige und durch diverse Fälschungsaktionen gekennzeichnete Gründungsvorgang, der letztlich erst um 1300 abgeschlossen war, die durch die geographische Lage bedingte Existenz im Spannungsfeld zwischen den Habsburgern und den Grafen/Herzögen von Württemberg, der Weg zur Anfang des 16. Jahrhunderts erlangten Reichsunmittelbarkeit, der im 16. Jahrhundert zu verzeichnende sittliche Verfall des Konvents sowie das für die Marchtaler Geschichte besonders wichtige 17. Jahrhundert, in dem vor allem Abt Nikolaus Wirieth (1661-691) aufgrund seiner bedeutenden Stellung in der Zirkarie und im Schwäbischen Reichsprälatenkollegium herausragt. In Bezug auf die Verfassung und Verwaltung (169-346) werden neben den einzelnen Ämtern und dem Konventsleben das Verhältnis zu Orden, Kurie, Bischof, Reich und weltlichen Nachbarn in Vorderösterreich und Württemberg sowie die Verwaltung des Marchtaler Territoriums (u.a. Vogteiverhältnisse, Gerichtsverfassung, Landesordnungen, Dorfordnungen, Verwaltungsbehörden) und die fünfzehn, dem Stift inkorporierten Pfarreien behandelt. Das religiöse Leben (347-386) spiegeln vier erhaltene liturgische Handschriften aus Marchtal, der bis ca. 1600 geringe, dann aber durch Erwerb und Verehrung eigener, prämonstratensischer Seliger und Heiliger vermehrte Reliquienschatz sowie die Gebetsverbrüderungen, Bruderschaften und Anniversarstiftungen wider.
Das Kapitel "Geistiges Leben" (387-408) wiederum thematisiert die Bildung und Spiritualität sowie die Marchtaler Geschichtsschreibung und Musik. Dem schließt sich ein Überblick über das Universitätsstudium der Konventualen und die stiftseigene Schule an (409-426). Hinsichtlich des stiftischen Besitzes (427-526) werden dessen Entwicklungslinien, angefangen von der aufgrund der problematischen Gründung durch diverse Fälschungsaktionen gekennzeichneten Konsolidierungsphase bis 1300, über den Ausbau von Höfen und Grangien, den gezielten Besitzerwerb im 14. Jahrhundert, die an Lehens- und Zinsregistern ablesbare Modernisierung der grundherrschaftlichen Verwaltung seit Beginn des 16. Jahrhunderts bis hin zur erneuten Besitzvermehrung und Besitzarrondierung seit Mitte des 17. Jahrhunderts nachgezeichnet; ergänzt werden diese Ausführungen durch eine umfassende Liste der Herrschafts-, Gerichts- und Grundrechte sowie des Grundbesitzes (457-501) und eine Zusammenstellung der dem Stift inkorporierten Pfarreien (502-526). Den Abschluss bilden schließlich umfangreiche Personenlisten, in denen Nachrichten zu allen bekannten Marchtaler Pröpsten und Äbten (530-598), Prioren und Subprioren (599-602), Konventualen (603-715), Konversen (716-719) und Schwestern (720) zusammengetragen wurden.
Erstmals liegt damit eine der Konzeption der Germania Sacra entsprechende historisch-statistische Beschreibung unterschiedlichster Aspekte prämonstratensischen Daseins in Marchtal vor. Der Bogen wird dabei gespannt vom Ende des 12. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts; quellenbedingt bilden den Schwerpunkt der Darstellung jedoch die neuzeitlichen Verhältnisse. Zu hoffen ist, dass durch diesen gelungenen Band weiterführende Forschungen zu Marchtal und zu den Prämonstratensern allgemein beflügelt werden.
Anmerkungen:
[1] Irene Crusius / Helmut Flachenecker: Studien zum Prämonstratenserorden (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 185. Studien zur Germania Sacra, 25) Göttingen 2003.
[2] Vgl. zur Projektgeschichte der Germania Sacra: http://adw-goe.de/forschung/forschungsprojekte-akademienprogramm/germania-sacra/projektgeschichte/.
[3] Bearbeitet werden derzeit noch Cappenberg (Wolfgang Bockhorst), Steinfeld (Ingrid Joester), Rommersdorf (Bruno Krings), Weißenau (Georg Wieland) und Ilbenstadt (Jürgen R. Wolf); vgl. http://adw-goe.de/forschung/forschungsprojekte-akademienprogramm/germania-sacra/mitarbeiter/ehrenamtliche-mitarbeiter/.
Stefan Petersen