Peter Rauscher / Andrea Serles / Thomas Winkelbauer (Hgg.): Das "Blut des Staatskörpers". Forschungen zur Finanzgeschichte der Frühen Neuzeit (= Historische Zeitschrift. Beihefte. Neue Folge; Bd. 56), München: Oldenbourg 2012, 599 S., ISBN 978-3-486-70842-4, EUR 89,80
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Die internationale Finanz- und Schuldenkrise hat auch die historische Dimension des Themas Staatsfinanzierung wieder stärker ins Bewusstsein gerückt. Insofern erscheint dieser Sammelband, der auf eine Tagung im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien im September 2009 zurückgeht, genau zum richtigen Zeitpunkt. Dass es sich dabei keineswegs um einen publizistischen Schnellschuss handelt, zeigt der Umstand, dass die meisten Beiträge auf längerfristig angelegte Forschungsprojekte zurückgehen. Die Herausgeber resümieren einleitend die seit den 1980er Jahren intensiv geführten Debatten um die Entwicklung vom spätmittelalterlichen "Domänenstaat" über den frühneuzeitlichen "Finanzstaat" bzw. "fiscal-military state" zum modernen "Steuerstaat" und konstatieren, dass "kaum ein Theoriedefizit der europäischen Finanzgeschichte" bestehe, sondern vielmehr "ein Ungleichgewicht der empirischen Forschung zu den einzelnen Herrschaftsräumen, das der unterschiedlichen Quellenbasis und den verschiedenen Wissenschaftstraditionen geschuldet sein dürfte" (8). Diesem Empiriedefizit soll mithilfe eines breiten internationalen Spektrums an Beiträgen abgeholfen werden, das von Schweden bis nach China reicht; geographische Schwerpunkte bilden Westeuropa, die Habsburgermonarchie und das Osmanische Reich.
Die 16 Beiträge sind in fünf Sektionen gegliedert. Die erste Sektion "Kriegsfinanzierung" eröffnet István Kenyeres. Er macht deutlich, dass der Beitrag Ungarns zur Finanzierung der Türkenkriege des 16. und frühen 17. Jahrhunderts zwar erheblich war, aber längst nicht ausreichte, so dass die Habsburger zusätzlich auf Reichshilfen, Finanzhilfen der österreichischen und böhmischen Länder, spanische und italienische Subsidien sowie auf die Kreditwürdigkeit des Kaisers angewiesen waren. Anhand des Feldzugs von 1596 erörtert Pál Fodor, wie die Kriegsfinanzierung auf osmanischer Seite funktionierte. Während die Staatskasse bereits in "normalen" Zeiten Defizite machte, stellte die Privatkasse des Sultans eine entscheidende Reserve dar, aus der die Staatskasse auch während Feldzügen rasch wieder aufgefüllt werden konnte. Darryl Dee erläutert am Beispiel der Franche Comté die Strategien der Kriegsfinanzierung im Zeitalter Ludwigs XIV. Da die wichtigste Institution der französischen Finanzverwaltung, die Extraordinaire des Guerres, während des Spanischen Erbfolgekriegs strukturell überfordert war, mussten regionale und lokale Behörden einspringen, um die Truppenversorgung sicherzustellen und die soziale Ordnung aufrecht zu erhalten. Christopher Storrs gibt einen Überblick über die britischen Subsidien an das Haus Savoyen in den Kriegen des 18. Jahrhunderts. Während diese nur einen geringen Prozentsatz des britischen Militärbudgets ausmachten, hatten sie für den Haushalt des savoyischen Verbündeten erhebliche Bedeutung, und obwohl die Vertragspartner über die Effektivität der Transaktionen geteilter Meinung waren, stellt Storrs fest, dass sie "generell erstaunlich gut funktionierten" (126).
In der zweiten, mit "Makroanalysen" überschriebenen Sektion zeichnet Werner Buchholz die Entwicklung der schwedischen Staatsfinanzen im Kontext sozialer, wirtschaftlicher und konstitutioneller Entwicklungen des 17. Jahrhunderts nach. Während der Hochadel seit 1611 seine starke Stellung nutzte, um seinen Grundbesitz auf Kosten der Krondomäne und des unabhängigen Bauernstandes auszubauen, machten zwei Maßnahmen König Karls XI. in den Jahren 1680 bis 1682 - die Reduktion der adeligen Güter und die Abrechnung mit der 1660-1672 amtierenden Vormundschaftsregierung - diese Entwicklung größtenteils rückgängig. Das sogenannte Einteilungswerk stellte zudem die Staatsfinanzen langfristig auf eine solide Grundlage; Buchholz spricht in diesem Zusammenhang von einer "Rückkehr zur Domänenwirtschaft mit steuerstaatlichen Elementen" (177). Die Analyse der osmanischen Staatsfinanzen von K. Kıvanç Karaman und Şevket Pamuk zeigt, dass ihre Entwicklung in der Frühen Neuzeit weit hinter derjenigen in Mittel- und Westeuropa zurückblieb. Dies führen die Autoren vor allem darauf zurück, dass nur ein geringer Teil der tatsächlich erhobenen Abgaben in die zentralen Kassen gelangte, während der größere Teil von lokalen und regionalen Eliten abgeschöpft wurde. In einem breit angelegten Vergleich der britischen und chinesischen Staatsfinanzen im langen 18. Jahrhundert argumentiert Peer Vries, dass der britische Staat in ungleich größerem Umfang militärische Ressourcen mobilisierte und seine Untertanen stärker besteuerte als der chinesische. Vries führt dies auf die Entscheidung der Qing-Kaiser zurück, ihr Reich möglichst kostengünstig mit einem vergleichsweise kleinen Beamtenapparat zu regieren, während die britische Regierung starke Institutionen schuf, die den Untertanen Vorteile boten.
Die dritte Sektion des Bandes wendet sich dem Heiligen Römischen Reich als "gescheiterte[m] Steuerstaat" zu. Maximilian Lanzinner zeigt, dass sich die Steuerprojekte und -diskussionen das ganze 15. und 16. Jahrhundert über zwischen den Alternativen eines Gemeinen Pfennigs als allgemeiner Kopfsteuer und einer von den Reichsständen aufzubringenden Matrikelsteuer bewegten. Die ständische Kritik am Gemeinen Pfennig wurzelte weniger in Bedenken gegen einen direkten kaiserlichen Zugriff auf die Untertanen des Reichs als vielmehr in Zweifeln an der Praktikabilität und Gerechtigkeit der Erhebung. Das Steuersystem des Reichs leistete zwar einen signifikanten Beitrag zur Türkenabwehr, es war aber "nicht auf Staatlichkeit, sondern auf fallweise Hilfe angelegt" (318). Obwohl die großen Türkenhilfen der Reichsstände Anfang des 17. Jahrhunderts ausliefen, versuchte der Wiener Hof Peter Rauscher zufolge bis in die Regierungszeit Karls VI. (1711-1740) hinein, neue Einkünfte im Reich zu erschließen. Dazu wurde auf historische Rechte des Kaisers zurückgegriffen. Das Ergebnis dieser Bemühungen fiel freilich bescheiden aus; tatsächlich wurde das fiskalisch-militärische System des Reichs im Laufe des 17. Jahrhunderts "wesentlich dezentraler und inhomogener" (353). Alexander Sigelen resümiert seine bereits in monographischer Form vorliegenden Befunde zum kaiserlichen Finanzsystem unter dem Reichspfennigmeister Zacharias Geizkofler (1560-1617). Er zeigt, dass das Reichspfennigmeisteramt ähnlich wie die Faktorei eines Handelshauses organisiert war, und betont die Bedeutung von Netzwerken für die Beschaffung von Krediten.
Die vierte Sektion "Kredite und Kreditgeber" beginnt mit einem Überblick über die Gläubiger Kursachsens im 16. Jahrhundert von Uwe Schirmer, der das langfristige Anwachsen der sächsischen Staatsschuld von 600.000 auf über 3 Millionen Gulden sowie die Dominanz von Gläubigern aus dem eigenen Territorium dokumentiert. Lediglich in den Jahren des Schmalkaldischen Kriegs und des Fürstenaufstands spielten internationale Kaufmannsbankiers als Finanziers eine größere Rolle; ansonsten dominierten kursächsische Adelige, Amtsträger, Städte sowie Bildungs- und Sozialeinrichtungen. Da die meisten Kreditoren landtagsfähig waren, bildete der Landtag "auch immer de[n] Versammlungsort der kursächsischen Gläubiger" (432). Lukas Winders Auswertung eines Verzeichnisses getilgter Schulden der österreichischen Habsburger der Jahre 1512 bis 1621 liefert trotz der Tatsache, dass wichtige Gläubiger offensichtlich fehlen, aufschlussreiche Angaben zur Struktur der Geldgeber. Von den hier erfassten 12,7 Millionen Gulden und 1,3 Millionen Reichstalern kamen fast 44 Prozent von Augsburger Kaufmannsbankiers; daneben spielten - ausnahmslos zugewanderte - Wiener Kaufleute und hohe habsburgische Amtsträger eine wichtige Rolle als Kreditgeber. Heinrich Lang beleuchtet die Rolle der Florentiner Bankiersfamilie Salviati als Finanziers des französischen Königs Franz I. und arbeitet ihre Verflechtungen mit Amtsträgern der Krone sowie mit international operierenden Handelshäusern, insbesondere den Augsburger Welsern, heraus.
In der fünften Sektion "Steuern" behandelt Massimo Carlo Giannini die Diskussionen, die in den italienischen Territorien der spanischen Monarchie um die Praxis des donativo geführt wurden. Wurde diese vorgeblich freiwillige Abgabe an den Herrscher anfänglich als Ausweis der Loyalität und Zuneigung der Untertanen zu ihrem König interpretiert, wandelte sich die Debatte im Laufe des 17. Jahrhunderts zu einem Diskurs um die Rechtmäßigkeit und die Grenzen königlicher Besteuerung. Anne Conchon zeigt, dass der Ausbau der Infrastruktur im Frankreich des 18. Jahrhunderts zum großen Teil dezentral unter Einsatz von Fronarbeit erfolgte bzw. durch Mauten finanziert wurde. Die in den 1770er Jahren einsetzende königliche Reformpolitik setzte dagegen stärker auf Steuer- und Kreditfinanzierung sowie die Vergabe von Konzessionen. Canay Şahin-Fuhrmann geht abschließend der Frage nach, wie die osmanische Praxis der Steuerpacht im 18. Jahrhundert zu bewerten ist, und argumentiert anhand eines Fallbeispiels im Einklang mit neueren Forschungen, dass diese "eine alternative Form sowohl der vertikalen als auch der horizontalen soziopolitischen Integration schuf" (572).
Die ausnahmslos gründlich recherchierten Beiträge bieten einerseits eine Fülle an empirischen Erkenntnissen zur Entwicklung frühneuzeitlicher Staats- bzw. Herrscherfinanzen. Andererseits illustrieren sie ein breites Spektrum methodischer Zugänge, das von statistischen Makroanalysen bis zu netzwerkanalytischen und kulturhistorischen Mikrostudien reicht. Dabei eröffnen insbesondere die akteurszentrierten Ansätze, welche die komplexen Beziehungsgeflechte zwischen fürstlichen Amtsträgern, Kreditvermittlern, Steuerpächtern und Kapitalgebern erhellen, der Finanzgeschichte neue Perspektiven.
Mark Häberlein