Peter Biller / Caterina Bruschi / Shelagh Sneddon (Hgg.): Inquisitors and Heretics in Thirteenth-Century Languedoc. Edition and Translation of Toulouse Inquisition Depositions (1273-1282) (= Studies in the History of Christian Traditions; Vol. 147), Leiden / Boston: Brill 2011, XVI + 1088 S., ISBN 978-90-04-18810-5, EUR 149,00
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Das 17. Jahrhundert war in Frankreich das Jahrhundert der großen editorischen Unternehmungen, für die so illustre Namen wie Étienne Baluze, Luc d'Achery oder Jean Mabillon stehen. Edieren setzt Sammeln voraus. Jean Doat (1600-1683) wurde von Jean Colbert, Finanzminister Ludwigs XIV., mit der Leitung einer Kommission betraut, deren Aufgabe im Sichten, Sammeln und Auswählen von Dokumenten bestand pour la conservacion des droicts de nostre couronne et pour servir à l'histoire. Von 1663 bis 1670 stellte so eine Gruppe von Schreibern unter Doats Leitung Abschriften von Handschriften her, die in Archiven und Bibliotheken im Südwesten Frankreichs verwahrt wurden. Diese Abschriften - insgesamt 258 großformatige Bände - wurden Colbert übergeben, der sie seiner großen Privatbibliothek einverleibte. Nach Colberts Tod gelangten sie in die königliche Bibliothek: heute lagern sie als "Collection Doat" in der Bibliothèque nationale de France. Die Bände 21-26 der Sammlung beinhalten Texte, die im 13. Jahrhundert in den beiden Zentren der Inquisition im Languedoc, Toulouse und Carcassonne, entstanden sind. Vorliegende Edition greift einen Teil dieses Materials heraus, genauer: die in Doat 25-26 enthaltenen Aufzeichnungen der Inquisition aus Toulouse für die Jahre 1273-1282. Wie so häufig bei der "Collection Doat" der Fall, hat die Handschrift, aus der kopiert wurde, die Zeitläufte nicht überdauert, so dass die Abschrift des 17. Jahrhunderts der einzig verbliebene Textzeuge und damit Grundlage der modernen Edition ist.
Der Initiative der drei Herausgeber Peter Biller, Caterina Bruschi und Shelagh Sneddon ist es zu verdanken, dass das in Doat 25-26 gesammelte Material, das der Forschung zwar alles andere als unbekannt war, grosso modo aber doch immer nur in Auszügen zur Verfügung stand, nun in Gänze vorliegt. Ergebnis der editorischen Bemühungen - die Hauptlast trug Shelagh Sneddon, die nicht nur für den lateinischen Text samt Apparat, sondern auch für die englische Übersetzung und einen Teil der Einleitung verantwortlich zeichnet - ist ein schwergewichtiger Band: auf eine Einleitung von 127 Seiten folgen auf weiteren 800 Seiten Edition und Übersetzung, ausgesprochen benutzerfreundlich auf jeweils gegenüberliegenden Seiten abgedruckt. Zusammen mit der Bibliographie, dem rund 70 Seiten in Anspruch nehmenden Index der im Editionstext vorkommenden Personennamen, weiteren Indices (Namen nach 1500, Orte vor 1500) und zwei dem Editionstext unmittelbar vorgeschalteten, äußerst nützlichen Auflistungen - zunächst die Namen der von der Inquisition Verhörten in der Reihe ihres Auftauchens im Text, gefolgt von einer chronologischen Auflistung der einzelnen Verhöre selbst - umfasst der Band genau 1088 Seiten.
Die Einleitung selbst gliedert sich in vier große Abschnitte und behandelt zunächst die Geschichte der beiden Bände Doat 25-26 (3-34). Hierauf folgen Bemerkungen allgemeiner Natur zur Inquisition in den Jahren 1273-1282 (35-64), zum Procedere beim Verhör, zu Notaren und Zeugen (65-116) und schließlich zu den Editionsrichtlinien (117-127).
Die Originalhandschrift, genauer: ein Register, das als Arbeitsinstrument für in der Region tätige Inquisitoren diente, wurde im Dominikanerkloster zu Toulouse verwahrt. Doat 25-26 und damit das Originalregister enthalten Niederschriften von Befragungen, die zumeist von den Inquisitoren Pons de Parnac und Ranulph de Plassac in dem Jahrzehnt zwischen 1273 und 1282 vorgenommen wurden. Die Toulousaner Handschrift war nicht auf eine vollständige Dokumentation hin ausgelegt, sondern durch die Auslassung, Neuordnung und selektive Auswahl des Materials charakterisiert. Sie wurzelte wohl selbst in einem sehr viel umfangreicheren Register, von dem sich jedoch jede Spur verloren hat. Einiges Kopfzerbrechen bereitete den Herausgebern die in Doat 25 gemachte Bemerkung, der Band sei "extrait" aus dem Originalmanuskript. Verweist dieses "extrait" hier ebenfalls auf ein selektives Vorgehen von Doats Schreibern, liegt also gleichsam eine Auswahl der Auswahl vor? Dies wird mit guten Gründen verneint, denn bei allem, was man über die Arbeitsweise der Kommission weiß, wird deutlich, dass man zwar nicht alles kopierte, es aber unterließ, bei den einzelnen zur Kopie bestimmten Registern, Büchern etc. textlich einzugreifen oder zu verändern.
Die vorliegende Edition behandelt einen Zeitraum, in dem die bereits seit einigen Jahrzehnten im Raum tätige Inquisition eine Art Erneuerung erlebte, was zum einen mit der hohen Politik - Alfons von Poitiers war 1271 gestorben, damit fielen die ehemaligen Besitzungen der Grafen von Toulouse an die Krone -, zum anderen mit der religiösen Gemengelage zusammenhängt, ist ab 1270 doch eine verstärkte Präsenz von boni homines im Languedoc festzustellen.
Wie wird man Inquisitor? Der Blick auf die in und um Toulouse tätigen Dominikaner macht deutlich, dass man auf Persönlichkeiten setzte, die bereits Erfahrung in der Inquisition gesammelt hatten, über profunde Rechtskenntnisse verfügten und Führungsqualitäten bereits an anderer Stelle, beispielsweise an der Spitze eines Konvents, unter Beweis gestellt hatten. Deutlich wird, wie ausgeprägt personelle Kontinuitäten waren. Notare und Schreiber, die 1273 agieren, waren oftmals bereits in den 40er Jahren für die Inquisition tätig gewesen. Das beste Beispiel hierfür ist Guillaume de Puylaurens, der Forschung heute als Verfasser einer Chronik bekannt, in der zum einen der Kampf gegen die Häresie im Süden Frankreich, zum anderen die sukzessive "Einverleibung" dieses Landstrichs in das Königreich Frankreich behandelt wird. Er widmete sich jedoch nicht nur seinen historiographischen Werken, sondern agierte 1253 als Notar, 1254 wohl auch als Inquisitor in Toulouse. In Doat 25-26 erscheint er als Zeuge in den Schlusspassagen einiger Verhöre.
110 Befragungen sind in Doat 25-26 dokumentiert, rund die Hälfte der Befragten musste mehr als ein Mal vor dem Inquisitor erscheinen - bedauerlicherweise sind jedoch nur in einem einzigen Fall Rückschlüsse auf die konkreten Haftbedingungen möglich. Die Befragung - dies wird überdeutlich - folgte einem standardisierten Frageprocedere, das nur wenige Variationen zuließ.
Der reibungslose Ablauf der Befragungen beruhte nicht allein auf den Fähigkeiten des Inquisitors, sondern war sehr stark auch von der Qualität des übrigen (Schreib-)Personals abhängig. Die Ausführungen zur Rolle der Notare, zur Organisation ihres Materials, zu den Schwierigkeiten, Geständnisse in der Volkssprache in angemessener Form ins Lateinische zu übertragen, sind ausgesprochen lesenswert und unterstreichen das hohe Maß an Professionalität innerhalb des inquisitorischen Apparats. Im Umgang mit den Verhörprotokollen bleibt jedoch stets eine Schwierigkeit bestehen: "In many cases it is what the notary remembered of what the witness remembered of what somebody else had said years ago: an elaborate game of Chinese whispers." (106) Dies sollte man sich tatsächlich stets vor Augen führen.
Die Edition selbst folgt Doat 25-26, korrigiert selbstverständlich die Fehler der Kopisten des 17. Jahrhunderts, die mitunter bedauerliche Schwächen in der Auflösung von Abbreviaturen zeigen. Auf die von den Schreibern der jeweiligen depositio vorgeschaltete französische Inhaltsangabe wurde dankenswerterweise nicht verzichtet. Grundsätzlich beherzigt man die Maxime einer größtmöglichen Treue zum Ursprungstext in der Edition und einem etwas freieren Umgang in der Übersetzung. Erstrebt wurde eine gute Lesbarkeit, was durchaus als gelungen betrachtet werden kann. Weshalb aus Petrus oder Hugo aber ein Peter oder Hugh werden muss, weibliche Personennamen jedoch zumeist in der ursprünglichen Form übernommen werden, mag sich nicht so recht erschließen. Sollte man dem "anglophone reader" (125) so wenig zutrauen? Auch der Umgang mit Nachnamen überzeugt nicht hundertprozentig: weshalb wird aus Iohannes Fabri ein John Faure, aus Iohannes Faber aber ein "John, the smith", wo doch die Herausgeber selbst einräumen, den Eindruck gewonnen zu haben, dass Iohannes Faber wohl doch eher mit John Faure zu übersetzen sei?
Dies sind kleinere Kritikpunkte, die den deutschen Leser aber kaum tangieren werden. Befremdlich freilich ist, dass man den "anglophone reader" nicht mit einem Übermaß an deutscher Sekundärliteratur behelligen möchte. Die Arbeiten von Jörg Oberste zur Inquisition in Toulouse und zum Problem der Doppelreligiosität tauchen in der Bibliographie nicht auf und sind wohl auch in der Einleitung gänzlich unberücksichtigt geblieben. [1]
Summa summarum: ein wichtiger Beitrag zur Inquisitionsgeschichte, eine Edition, die einen verlässlichen lateinischen Text bietet und eine englische Übersetzung, die bei Verständnisschwierigkeiten im lateinischen Text gute Dienste leistet (wobei mitunter aber auch andere Übersetzungs- und damit Interpretationsmöglichkeiten zulässig sind).
Anmerkung:
[1] Jörg Oberste: Zwischen Heiligkeit und Häresie. Religiosität und sozialer Aufstieg in der Stadt des hohen Mittelalters, Bd. 1: Städtische Eliten in der hochmittelalterlichen Kirche, Bd. 2: Städtische Eliten in Toulouse (=Norm und Struktur 17), Köln / Weimar / Wien 2003.
Ralf Lützelschwab