Uwe Klußmann / Norbert F. Pötzl (Hgg.): Die Hohenzollern. Preußische Könige, deutsche Kaiser, München: DVA 2011, 287 S., div. s/w-Ab., ISBN 978-3-421-04539-3, EUR 19,99
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Im Februar 2011 veröffentlichten 21 Autoren, überwiegend aus SPIEGEL-Redaktionen, Aufsätze zu verschiedenen Herrschern Brandenburg-Preußens im Heft "Die Hohenzollern" in der Reihe SPIEGEL GESCHICHTE. Die Deutsche Verlagsanstalt veröffentlichte diese Sammlung noch rechtzeitig zum 300. Geburtstag Friedrichs II. im Januar 2012 in Buchform: Allein fünf Beiträge im Sammelband, insgesamt ein eigenes Kapitel, widmen sich dem "Alten Fritz", und so scheint das Buch geeignet, im Reigen der zum Jubiläum erscheinenden Titel mitzuwirken.
Die weiteren fünf Kapitel des Buches ordnen die beschriebenen Mitglieder der Hohenzollern-Familie chronologisch und in thematische Zusammenhänge ein, in "Bescheidene Anfänge", "Von Preußen zum Reich", in "Macht und Größenwahn", das "Scheitern der Monarchie" und "Die Nachfahren". Ähnlich umfangreich wie Friedrich II. wird Kaiser Wilhelm II. gewürdigt, der, vertraut man den Erläuterungen der entsprechenden Aufsätze im Inhaltsverzeichnis, "an Renommiersucht und mangelnder Durchsetzungskraft" (157) scheiterte, als "Kriegsherr überfordert" (207) war und die "Monarchie in den Untergang" (207) führte. Eine persönliche Tragödie, so scheint es, keine weltpolitische.
Diese Lesart bestimmt fast alle Aufsätze des Bandes: Große Männer formten die Geschichte, ihr Einfluss, ihre Stärken und ihre Schwächen brachten ihren Untergebenen Wohl und Weh. Dieses Geschichtsbild ändert auch nicht, dass Rainer Traub einen fast zehnseitigen Beitrag leisten darf über August Bebel, die Arbeiterbewegung und den "reaktionären Haudegen Bismarck" (Inhaltsverzeichnis). Diese auf Persönlichkeiten als - im buchstäblichen Sinne - Herren der Geschichte zielende Diktion bestimmt den Schreibstil in allen Aufsätzen, ob nun die als rechtschaffen geschilderten Hohenzollern die "aufmüpfigen märkischen Adligen" (29) zu besiegen hatten oder die Umgestaltung des Deutschordenslandes in das Herzogtum Preußen "übrigens auf Vorschlag eines gewissen Martin Luther" (19) vollzogen wurde. Die Aufsätze bemühen "name dropping", statt komplexe Zusammenhänge zu erläutern. Zugleich zielen sie beim Leser auf ein bestimmtes Vorwissen, da sie Zeitumstände bestenfalls andeuten und historischen Ereignissen kaum zwei Zeilen schenken.
Die Auswahl der skizzierten Hohenzollern entspricht weitgehend der Riege der populären Herrscher des Geschlechts, ebenso wie der auf "große Namen" reduzierte Stammbaum im Einband die Männer betont: Als einzige Frau darf sich Sophie Charlotte von Hannover daran erfreuen, dass bei ihr wenigstens ein Bruder erwähnt wird und sie nicht nur ihrem preußischen Ehemann zugeordnet wird. Wäre dieser Bruder allerdings nicht König Georg von Großbritannien, dessen Verwandtschaft den Verlegern offenbar geeignet scheint, den europäischen Rang der Hohenzollern zu belegen, teilte sie gewiss das Schicksal aller hier lediglich als Mütter zukünftiger großer Hohenzollern genannten Frauen. Auch die zweite Königskrone der Hohenzollernfamilie, auf die im Stammbaum des Einbands Wert gelegt wird, ist offenbar nur gut als Beleg der Wichtigkeit der Hohenzollern und zur Außenwirkung: Im Buch ist der rumänischen Königswürde gerade einmal ein Aufsatz gewidmet. Der dem "Schwäbischen Export" (196) nach Rumänien folgende Beitrag wiederum ist durch seine griffige Überschrift "Gruppensex im Grunewald" (201) auch sogleich geeignet, die Aufmerksamkeit des Lesers auf sich zu lenken.
Friedrich II., Wilhelm II. und der Große Kurfürst sind die starken Eckpunkte der versammelten Aufsätze, die sich laut Unterzeile eigentlich den preußischen Königen und deutschen Kaisern widmen. Doch der erste König Friedrich in Preußen von 1701 fehlt, König Friedrich Wilhelm II. und Kaiser Friedrich III. ebenso. Es scheint, sie sind als Verkaufsargument zu unpopulär. Auch, dass es in der Familie Hohenzollern starke Frauen gab, merkt der Leser kaum: Lediglich die "schöne Patriotin" Königin Luise von Preußen wird kurz gestreift, um den üblichen Mythos von der politisch unterschätzten Frau zu bemühen. Die Idee, bei der Recherche veralteter Literatur aufgesessen zu sein, hat die hier über glorreiche Herrscher schwadronierenden Autoren hingegen wohl nicht gestreift.
Von Königin Luise abgesehen, wird den Abenteurern und Charakterköpfen der männlichen Hohenzollern das weibliche Geschlecht nur schmückend beigegeben oder um die zarte Seite der starken Männer zu betonen: Friedrich Wilhelm IV. zeichnet das Idealgesicht seiner Königin, bevor er ihr in Menschengestalt begegnet - und übersieht daraufhin verliebt ihr Hinken (121), Wilhelm I. findet "seine erste - und wohl einzige - große Liebe" in Elisa Radziwill, aber "die Schöne ist nicht standesgemäß" (147). Augusta, die er statt Elisa heiratet, interessiert sich nun zwar ebenso für Politik wie dereinst angeblich Luise, doch hat sie eben nicht einen schwachen, sondern einen als überaus stark geschilderten Ehemann. Für die heutige Zeit ungewöhnlich mitfühlend schreibt die Autorin daher über Augustas Versuche, bei ihrem Ehemann Gehör zu finden: "Wilhelm erduldet ihre Attacken - und flüchtet sich in Amouren" (148). Eine Überlegung, ob der sture alte Mann nicht manches Mal besser auf seine Frau gehört hätte, findet nicht statt.
Das Buch "Die Hohenzollern" wiederholt jedes Klischee und beschreibt die schöne Luise, den philosophierenden Fritz, den Romantiker auf dem Thron und den zögernden ersten Kaiser. Nichts daran ist neu, nichts eröffnet einen neuen Blickwinkel oder einen grundsätzlichen Weg, 500 Jahre Herrschergeschichte dieser Familie besser zu verstehen. Auch keiner der im Buch mitgelieferten Aufsätze zur Zeitgeschichte erklärt Zusammenhänge, sondern sie widmen sich in der üblichen Manier nur eben anderen "großen Männern", die sich Gedanken über Preußen machten: Bismarck, Bebel, Menzel, Fontane. Die Auswahl ist willkürlich und ebenso wenig originell wie die Auswahl der im Stammbaum Genannten, im Bild Gezeigten oder durch Texte Geehrten.
Wäre es mitreißend geschrieben, könnte das Buch immerhin empfehlenswert sein als Gute-Nacht-Lektüre für Menschen, die weder vorher noch nachher etwas über die Hohenzollern wissen, sich beim Lesen aber amüsieren wollen. Doch "Die Hohenzollern" eignet sich nicht als Lesebuch, nicht als Nachschlagewerk, nicht als Einführung in die Geschichte der Herrscherfamilie, nicht als Übersichtsdarstellung und auch nicht als Geschichtsroman. Völlig überflüssig aber ist nach den oberflächlichen und nichts sagenden Lebensskizzen das Kapitel zu den Nachfahren, das neben einem Interview über standesgemäße Heiraten und Erbfolgeregeln auch noch den unvermeidbaren "Foffi" so vorstellt, wie er durch alle Skandalblätter bereits bekannt ist.
Die Hohenzollern. Preußische Könige, deutsche Kaiser, lieblos spärlich bebildert, ist ein Buch, das niemand braucht. Wenn schon populäre Unterhaltung zum Jahrestag geschrieben wird, dann bitte mit mehr Respekt vor dem Leser. Genannt sei hier etwa das Stern-Extra-Heft zum 300. Geburtstag mit dem schlichten Titel "Preußen" und seinen 130 reich und durch Berücksichtigung aller Genres abwechslungsreich illustrierten Seiten: Klug gewählte Themen, die kritisch-distanzierte Sicht auf Persönlichkeiten und Epochen und die Berücksichtigung verschiedener Perspektiven auf die Geschichte vermitteln aufs Angenehmste einen wirklichen Aha-Effekt für historische Einsteiger und Fortgeschrittene. Ganz so, wie man es sich von einem SPIEGEL-Buch gewünscht hätte.
Bettina B. Altendorf