Susan Williams: Who Killed Hammarskjöld? The UN, the Cold War and white supremacy in Africa, London: Hurst Publishers 2011, XXVIII + 306 S., ISBN 978-1-8490-4158-4, USD 25,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
John Kent: America, the UN and Decolonisation. Cold War Conflict in the Congo, London / New York: Routledge 2010
Lise Namikas: Battleground Africa. Cold War in the Congo, 1960-1965, Stanford, CA: Stanford University Press 2013
Philip E. Muehlenbeck: Betting on the Africans. John F. Kennedy's Courting of African Nationalist Leaders, Oxford: Oxford University Press 2012
Am 18. September 2011 jährte sich zum 50. Mal der Tag, an dem Dag Hammarskjöld, der zweite Generalsekretär der Vereinten Nationen, in Afrika bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Warum sein Flugzeug wenige Meilen vom Zielflughafen N'Dola im heutigen Zambia in den Wald stürzte, ist bis heute nicht völlig geklärt. Seit jenem Tag im Herbst 1961 blühen Verschwörungstheorien. Susan Williams' Buch "Who killed Hammarskjöld. The UN, the Cold War and White Supremacy in Africa" beschäftigt sich erneut mit dieser Frage; schon im Titel wird deutlich, dass auch sie nicht an die offizielle Schreibweise eines Unfalls glauben mag.
Der UN-Generalsekretär war Mitte September 1961 auf dem Weg zu diplomatischen Verhandlungen mit Moise Tshombe, einer zentralen Figur während der sogenannten "Kongokrise", in der die Vereinten Nationen mit der zweiten militärischen Friedensmission ihrer Geschichte, der Opération des Nations Unies au Congo (ONUC) unmittelbar involviert waren. Die Krise in der Republik Kongo (heute Demokratische Republik Kongo) war zunächst das Ergebnis des abrupten Endes belgischer Kolonialherrschaft im Sommer 1960. Sie entwickelte sich aber sehr schnell auch zu einer internationalen Krise, denn die Kongofrage nahm im Kalten Krieg und ganz allgemein bei der Frage nach der Zukunft eines nun unabhängigen Afrika eine Schlüsselstellung ein. Außerdem gab es ganz handfeste wirtschaftliche Interessen, die sich besonders mit der an Bodenschätzen immens reichen Provinz Katanga verbanden. Moise Tshombe hatte als Ministerpräsident dieser Provinz kurz nach der Dekolonisierung des gesamten Kongo die Unabhängigkeit Katangas erklärt und verteidigte diese auch mit Hilfe europäischer "Berater" und internationaler Söldnertruppen. Dieses Vorgehen führte zum Konflikt mit der UN-Mission, deren Mandat 1961 die Ausweisung der nicht-kongolesischen Kräfte vorsah. Die Lage hatte sich im Sommer und Herbst 1961 dramatisch zugespitzt. Bei dem Treffen zwischen Hammarskjöld und Tshombe in N'dola im britischen Nord-Rhodesien sollte es um eine Lösung oder zumindest Entschärfung der Situation gehen. Die Maschine des UN-Generalsekretärs stürzte jedoch beim Anflug auf den Zielflughafen ab und ging nach dem Aufprall in Flammen auf. 15 Flugzeuginsassen, darunter der UN-Generalsekretär, kamen sofort ums Leben, ein Leibwächter Hammarskjölds starb am folgenden Tag.
Dag Hammarskjöld war eine der prominentesten Figuren internationaler Politik seiner Zeit. Er war im Herbst 1961 nicht unumstritten, denn sein vehementes Eintreten für die Rechte kleinerer und vor allem dekolonisierter Staaten und der von ihm formulierte Anspruch auf eine starke, unabhängige UN, die sich aktiv in die Konflikte der Zeit einmischen sollte, behagte vielen nicht. Auch deswegen vermutete man sofort, dass es sich um einen gezielten Anschlag auf Hammarskjöld gehandelt haben müsse. Katangesisch-belgische Wirtschaftseliten und die weiße Bevölkerung der dem Kongo benachbarten Föderation Rhodesien standen schnell unter Verdacht. Andere vermuteten US-amerikanische, sowjetische, südafrikanische oder französische Einflussnahme. Die offiziellen Untersuchungen zur Absturzursache kamen zu dem Schluss, dass externe Beeinflussung nicht auszuschließen sei, tendierten aber dazu, den Absturz als Unfall durch menschliches oder technisches Versagen zu erklären. Doch eine Reihe von merkwürdigen Begebenheiten und Widersprüchen rund um den Flug, die Umstände des Absturzes und die dem Absturz folgenden offiziellen Untersuchungen beförderte die Mythenbildung. Beispiele für diese Merkwürdigkeiten, die Williams eingangs des Buches auflistet, sind etwa die Fragen, warum mit der Suche erst spät am nächsten Tag begonnen wurde; warum der für den Empfang Hammarskjölds zuständige britische Lord Alport so fest darauf bestand, dass Hammarskjölds Flugzeug umgekehrt sei, als es nicht zur erwarteten Zeit in N'Dola eintraf oder dass eine Reihe meist afrikanischer Augenzeugen von einem zweiten Flugzeug berichten, dass sich der Maschine des UN Generalsekretärs genähert haben soll, deren Aussagen in den Untersuchungen aber nicht berücksichtigt wurden.
In den 19 Kapiteln des Buches beschäftigt sich Williams mit einer Vielzahl der eingangs aufgelisteten offenen Fragen, stellt Akteure vor und präsentiert Befunde aus den unterschiedlichen Untersuchungen zum Thema oder dem eigenen Quellenstudium. Dazu nutzt sie eine Reihe von Archiven, deren Quellen zum Teil erst für diese Arbeit zugänglich waren. Das gilt vor allem für die Aktenbestände des damaligen Premiers der Föderation von Rhodesien und Njassaland, Roy Welensky. Es gelang Williams außerdem, eine Reihe von Zeugen und anderen Beteiligten der Ereignisse zu interviewen. Sie profitiert hier vom Zeitpunkt der Arbeit, fast fünfzig Jahre nach dem Absturz und mehr als zwanzig Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges.
Mit Williams' Buch liegt eine aktuelle Übersicht der wesentlichen bis dato zu dieser Frage geäußerten Argumente und öffentlich zugänglichen Quellenmaterialien vor. Umso bedauerlicher ist es, dass Williams zwar minutiös die vielen, sich oft widersprechenden Hinweise und Argumente auflistet, sie aber nicht aufeinander bezieht oder gegeneinander abwiegt. Ähnlich problematisch ist die überproportionale Konzentration auf britische bzw. britisch-rhodesische Akteure und Quellen, die das Bild der sehr komplexen Situation mit einer Vielzahl unterschiedlicher lokaler und internationaler Akteure oft verzerrt wiedergibt. Williams versteht sich weniger als Historikerin denn als "historical detective" (XI). Sie legt großen Wert auf die Darstellung von Charakter und Erscheinung ihrer Akteure. Zusammen mit ihrer oft sehr emotionalen Schreibweise macht dies das Buch stellenweise zu einer durchaus spannenden Lektüre, die Darstellung verliert dadurch jedoch deutlich an Objektivität.
Eine echte Diskussion der Plausibilität der einen oder anderen Erklärung der Absturzursache auf der Grundlage der von ihr erarbeiteten Befunde findet kaum statt. Trotzdem kommt sie relativ unvermittelt am Ende zum Schluss: Hammarskjölds Tod "was almost certainly the result of a sinister intervention" (232) und "Hammarskjöld's plane was attacked in the sky" (241). Verantwortlich macht Williams, wenn auch nur implizit, britisch-rhodesische Eliten, in Katanga operierenden Söldner und katangesische Wirtschaftseliten. Sie legt ausführlich dar, wie sehr diesen an einem Scheitern der Gespräche von Hammarskjöld und Tshombe gelegen und wie ausgeprägt deren Feindschaft gegenüber dem UN-Generalsekretär gewesen sei. Ein Beweis für die Verantwortlichkeit an einem, zumal einmal mehr nicht belegten, Mord an Hammarskjöld ist das allerdings nicht.
Das Buch ist mithin eine recht umfassende Darstellung der bisher vorgeliegenden Thesen und ihrer Argumente, das mit einer Reihe neuer Quellen aufwarten kann. Es überwiegt jedoch der Eindruck einer wenig objektiven Arbeit, die keine wirklich neuen Erkenntnisse bietet und leider eine Diskussion und damit eine glaubwürdige Antwort auf die Frage des Titels schuldig bleibt.
Und schließlich kann man am Ende durchaus die Frage stellen, ob es angesichts der großen Lücken historiographischer Forschung zu den Vereinten Nationen und der "Kongokrise" nicht relevantere und dabei ähnlich spannende Fragen gibt, als den wiederholten Versuch einer Aufklärung dieses wohl nie befriedigend aufklärbaren Flugzeugabsturzes.
Katrin Zippel