Peter Thonemann: The Maeander Valley. A Historical Geography from Antiquity to Byzantium (= Greek Culture in the Roman World), Cambridge: Cambridge University Press 2011, XXV + 386 S., 13 Kt., 109 s/w-Abb., ISBN 978-1-10700-688-1, GBP 65,00
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Um es gleich vorwegzunehmen: Peter Thonemann ist mit seinem Buch zum Mäandertal ein wirklich großer Wurf gelungen. Zwar erscheint der Ansatz der Studie auf den ersten Blick recht konventionell, denn wie man es für eine "Historical Geography" erwarten würde, steht in ihrem Zentrum der Zusammenhang zwischen Geographie und Umwelt auf der einen, und den Menschen und ihrer Geschichte auf der anderen Seite. Doch ist Thonemann weit davon entfernt, hierbei einem naiven und undifferenzierten Determinismus das Wort zu reden. Er geht vielmehr von der Erkenntnis aus, dass Räume und Regionen, obwohl sie die Menschen zweifellos prägen, zugleich auch soziale Konstruktionen sind, und dass die geographischen Gegebenheiten nicht etwa einseitig auf Gesellschaft und Wirtschaft 'wirken', sondern in nicht geringem Maße auch das Produkt menschlicher Tätigkeit sind. Insofern ist das Verhältnis ein dialektisches, und Thonemann interessiert sich für Wechselwirkungen (xiii-xvi, 17-19).
Gegenstand der Untersuchung ist das Mäandertal, und zwar vom 4. Jh. v. bis ins 13. Jh. n.Chr. Vor allem dieser Zeitrahmen überrascht, da er von den üblichen Epochengrenzen doch stark abweicht. Es wird vor allem die Quellenlage gewesen sein, die Thonemann hier den Weg gewiesen hat, und vermutlich war sie auch verantwortlich für die Wahl der Region. Das Ergebnis rechtfertigt Thonemanns Entscheidung in jedem Fall, er bespricht eine Fülle von Zeugnissen und kann dem Material substantielle Einsichten abgewinnen.
Das Buch ist in acht thematische Kapitel gegliedert, was diachrone Bezüge deutlicher hervortreten lässt, als dies in einer chronologischen Anordnung möglich gewesen wäre. Natürlich birgt ein solches Vorgehen die Gefahr, Verbindungen zu konstruieren, wo es keine gibt, doch meiner Meinung nach hat Thonemann hier stets genügend Vorsicht walten lassen. In Kapitel 1 kann er zeigen, dass das Mäandertal im Altertum als eine zusammengehörige Region wahrgenommen wurde, obwohl es die meiste Zeit keine in sich geschlossene politische oder ethnische Einheit war (22). Kapitel 2 beschäftigt sich mit Religion und Kultus, und schon hier zeigen sich Wechselwirkungen: Besonderheiten des Naturraumes wurden immer wieder mythologisch und sakral kontextualisiert, aber verschiedene Religionen eigneten sich den Raum auf unterschiedliche Weise an. Im dritten Kapitel geht es um Verkehr und Handel, und hier fördert Thonemann verblüffende Kontinuitäten bis in die byzantinische Zeit zutage. Offenbar funktionierte der Warenaustausch im anatolischen Binnenland über Jahrhunderte hinweg über ein Netzwerk von (nicht immer urbanen) Umschlagplätzen, die anlässlich großer Feste und Messen immer nur ein- oder zweimal im Jahr aufgesucht wurden. Interessant ist, dass die Veränderung der Hauptverkehrswege in osmanischer Zeit vorübergehend dazu führte, dass man den Oberlauf des Mäander-Mendere bis zur Quelle plötzlich mit einem zuvor (und heute wieder) als Nebenfluss eingeordneten Wasserlauf identifizierte (143, vgl. auch 20). Kapitel 4 thematisiert politische und militärische Grenzziehungen. Hier lautet Thonemanns (nicht restlos überzeugende) These, dass eine in einer bestimmten historischen Situation geborene strategische Bedeutung eines Platzes sich in gewisser Weise irrational fortzeugen kann, frei nach dem Motto: wenn hier schon immer eine Festung war, kann es nicht schaden, sie weiterhin besetzt zu halten, auch wenn es eigentlich keinen Sinn mehr macht. Die Römer werden sicher einen vernünftigen Grund dafür gehabt haben (selbst wenn wir diesen heute nicht mehr sehen können), weshalb sie ein altes attalidisches Grenzfort im 1. Jh. n.Chr. mit einer Garnison belegten, obwohl hier schon lange keine Grenze mehr verlief. Im fünften Kapitel macht Thonemann den Zusammenhang von Viehzucht und vor allem Textilgewerbe deutlich; Kapitel 6 legt dar, dass der Erfolg lokaler und überregionaler Eliten nicht so sehr von der Bedeutung ihrer Heimatstädte abhing und letztlich keinem geographischen Muster folgte. Dennoch gab es natürlich Lokalrivalitäten, und Thonemann wagt die Generalisierung, dass in der Ebene gelegene Städte miteinander konkurrieren, während um ein Bergmassiv gruppierte Ortschaften eher kooperieren und "interagieren" (240). Kapitel 7 verfolgt die Entwicklungen in der Landwirtschaft, wo man feststellt, dass im Laufe der Zeit zwar große Güter entstanden, dass dies jedoch wohl Streubesitz blieb und sich die Besitzkonzentration jedenfalls nicht im Siedlungsbild niederschlägt. Wichtig ist dabei der Hinweis, dass ein Rückgang der ländlichen Besiedlung nicht unbedingt eine Krise im agrarischen Bereich anzeigt, sondern im Gegenteil sogar ein Indiz für ein landwirtschaftliches Wachstum sein kann (293f.). Das Mündungsgebiet des Flusses bildete - zumindest potentiell - eine ökonomische Einheit mit den Inseln Leros, Patmos und Lepsia, die lange Zeit so etwas wie das maritime Vorland Milets waren (283ff.). Das letzte Kapitel schließlich behandelt die Versandung der Flussmündung und die daraus resultierende Progression der Küstenlinie, die mehrere Hafenstädte zu Binnenorten machte. Erhellend ist Thonemanns Beobachtung, dass dieser Prozess nicht nur als Niedergang gesehen werden darf, weil er zugleich neue wirtschaftliche Möglichkeiten eröffnete (303ff., 320ff., 327ff.).
Thonemanns Buch ist gut lesbar, es gelingt ihm (nicht zuletzt durch viele Zitate), vor dem geistigen Auge des Lesers eine bunte und lebendige Welt entstehen zu lassen. Anlass zur Kritik gibt es nur wenig; man mag dem Autor vielleicht nicht alles glauben, doch nachdenken sollte man über seine Schlussfolgerungen und Hypothesen auf jeden Fall. Allenfalls die Reihenfolge der Kapitel bleibt unklar: wieso zum Beispiel werden Handel, Gewerbe und Landwirtschaft auseinandergerissen durch dazwischengeschobene Kapitel, die sich mit anderen Themen befassen?
Eine sehr gute äußere Form rundet den positiven Eindruck ab: die Belege werden in Form von Fußnoten statt Endnoten gegeben, was lästiges blättern erspart, am Ende findet sich ein hilfreicher Index, und das Literaturverzeichnis berücksichtigt nicht nur die englischsprachige Forschung.
Fazit: Man merkt dem Buch Seite für Seite das Herzblut an, das hineingeflossen ist. Jeder, der sich für Kleinasien und/oder historische Geographie interessiert, wird es mit Gewinn lesen.
Hartmut Blum