Thomas Lau: Teutschland. Eine Spurensuche im 16. Jahrhundert, Stuttgart: Theiss 2010, 188 S., ISBN 978-3-8062-2376-7, EUR 24,90
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Deutsche Geschichte in der Frühen Neuzeit, zumal die des Heiligen Römischen Reiches, gilt gemeinhin nicht als leicht verdauliche Kost - zu verschachtelt sind die politischen und sozialen Strukturen, zu denen im 16. Jahrhundert als zusätzliche Problemebene noch das Auseinandertreten unterschiedlicher Konfessionen hinzutritt. Gerade dieser Komplexität des Heiligen Römischen Reiches ist aber die Form eines historischen Essays, die der im schweizerischen Freiburg / Fribourg lehrende Frühneuzeithistoriker Thomas Lau für seine Darstellung gewählt hat, vielleicht in besonderer Weise angemessen - locker gefügt, ohne den Zwang zur abstrakten Synthese oder zur Komplexitätsreduktion, die ahistorisch argumentiert.
So locker gefügt, dass er Gefahr laufen würde, feuilletonistisch und irgendwo beliebig zu werden, ist Laus Essay jedoch nicht. Der rote Faden seiner "Spurensuche" ist die nationale Profilierung des frühneuzeitlichen Deutschland, freilich mit den epochenspezifischen Ausprägungen, die frühneuzeitliche von modernen Nations- und Nationalstaatskonzepten unterscheiden. In Anlehnung an den Historiographen Aventinus bildet dabei das humanistische Nationsverständnis des frühen 16. Jahrhunderts den Ausgangspunkt, das zwischen einer Geblütsnation mit "rekonstruierter" gemeinsamer Geschichte, dem Anspruch auf eine herausgehobene Stellung in der Christenheit und einer exzeptionellen politischen Ordnung oszillierte. Die Zeitgenossen sahen dabei gar keine Notwendigkeit, diese Referenzebenen widerspruchsfrei in Einklang miteinander zu bringen - allenfalls das diffuse Konzept einer kollektiven "Ehre" bot sich zur Synchronisation der unterschiedlichen Weisen des Sprechens über "Teutschland" an. Gerade diese unaufgelöste Vieldeutigkeit eines frühneuzeitlichen Nationalismus bietet Lau jedoch die Möglichkeit, die komplexen Phänomene der historischen Entwicklung zwischen 1500 und 1648 in eine Synopse zu bringen, spiegelte "verändertes Reden über die Nation zugleich doch sich wandelnde gesellschaftliche, kirchliche und politische Ordnungsvorstellungen wider" (11).
Den Anfang macht folglich eine Darstellung der von der humanistischen Tacitus-Rezeption inspirierten Diskurse über eine deutsche Nation. Lau zeigt hier, dass im 16. Jahrhundert ganz unterschiedliche Akteure und Gruppen auf die Idee kamen, sich mit nationalen Attributen zu schmücken, und dass dabei sehr unterschiedliche Werthorizonte zum Tragen kamen. Die Humanisten zogen Vergleiche mit anderen Nationen, um die Deutschen in moralischer Hinsicht als "edelste" Nation zu erweisen, die Habsburger vermochten angesichts universaler Verflechtungen nur kurzfristig, sich als monarchische Sachwalter dieser Nation zu etablieren, der Reichsadel rekurrierte auf die "teutsche Libertät", um politische Unabhängigkeit und Privilegien zu behaupten. Während diese nationalen Identitätskonstruktionen aber kaum exklusiv gehandhabt wurden und stets auch andere, durchaus konkurrierende Identitäten - etwa regionale - zuließen, barg nationale Identität in den Städten mehr Zündstoff: Sie seien, so Laus Argumentation (49-61), im Zuge der durch die Konfessionskonflikte ausgelösten Migrationswellen zu den eigentlichen Austragungsorten nationaler Vorurteile geworden, in denen sich schon Exklusivität und Xenophobie moderner Nationalismen ankündigten.
Diese Vielfalt von nationalen Identitätsdiskursen oder "Sprachspielen" war gerade für das frühneuzeitliche Deutschland konstitutiv, was umso mehr gilt, als die Konfessionalisierung schließlich auch das "Reden über Deutschland" prägte, indem sie diese Sprachspiele weiter ausdifferenzierte. Diesen Prozess zeichnet das zweite Kapitel nach, und in der Darstellung des jeweiligen Zusammenhangs von Konfessionskultur und Inanspruchnahme nationaler Identitäten ist Lau ganz in seinem Element - in seiner Habilitationsschrift hat er Vergleichbares für die Eidgenossenschaft des 17. Jahrhunderts präzise beschrieben. [1] Das abschließende dritte Kapitel bietet die Möglichkeit, an neuere kulturgeschichtliche Ansätze zur Erforschung des frühneuzeitlichen Reiches anzuknüpfen: Das "Reich der Rituale" wird anhand der Kaiserwahl und -krönung zu Frankfurt als hocharistokratische Veranstaltung präsentiert, das "Reich der Juristen" lässt die integrierende Funktion der Reichsgerichte deutlich werden. Das "Reich der Diplomaten" schließlich begleitet die führenden Reichsstände auf dem Weg in den Dreißigjährigen Krieg, der für Lau gerade daraus resultierte, dass die politischen Akteure zumindest zeitweilig aus eigennützigen Motiven eine Politik der Desintegration des Reiches betrieben. Der daraus resultierende dreißigjährige "Teutsche Krieg" belehrte dann die Politiker, dass die Einheit des Reiches trotz aller Divergenzen ein hohes Gut war. Wenn die Restitution des Reiches schließlich einem komplizierten Vertragswerk und nicht den militärischen Siegen eines Wallenstein oder Gustav Adolf zu verdanken war, dann waren es letztlich die Juristen, die den Weg in die Zukunft des Reiches wiesen. Auch dies, so mag man ergänzen, unterschied das Reich von Nationsgenesen in seinem Umfeld, wie etwa in Frankreich, bei den Eidgenossen oder den Niederlanden: Die historische Erfahrung eines Befreiungskriegs als eines Kristallisations- und Bezugspunktes für eine frühneuzeitliche Nationsbildung war den Deutschen nicht beschieden.
In Laus Essay überwiegen, wie es sich für dieses Genre gehört, die narrativen Passagen, aber sie werden immer wieder durch kluge Formulierungen oder Beobachtungen strukturiert. Und natürlich ermöglicht dies eigene Akzentsetzungen und Positionierung in der aktuellen Forschungslandschaft. Die prominente Rolle der Eidgenossenschaft in der Darstellung, aber auch als Vergleichsobjekt mag der Tatsache geschuldet sein, dass der Verfasser in der Schweiz lehrt und sicherlich auch die dortigen Leser im Auge hat. Die Affinität der Eidgenossenschaft zum Reich erscheint jedoch auch thematisch gerechtfertigt, gingen doch beide frühneuzeitlichen Nationsentwürfe darin konform, dass eine Nation auch ohne Monarchen repräsentiert werden konnte (24). Während Lau kein Hehl daraus macht, dass er den Staatsbegriff - den "modernen" zumal - auf das Reich der Frühen Neuzeit nicht für anwendbar hält, steht er Georg Schmidt, der diese Position vertritt, bei seiner narrativen Rekonstruktion eines frühneuzeitlichen deutschen Nationalismus, der bei aller Vielfalt seinen Bezugspunkt doch immer wieder im Heiligen Römischen Reich fand, doch sehr viel näher. Die entsprechenden Titel von Schmidts Forschungen zur "teutschen Freiheit" oder zur deutschen Nation sucht man freilich in den "Literaturempfehlungen" Laus am Ende vergebens - aber vielleicht sollte man auch diese recht subjektive Auswahl dem Genre eines Essays zugute halten. Offenbar kann man auch aktuell bei den Forschungen zur frühneuzeitlichen deutschen Nation noch "trefflich aneinander vorbeireden" (124) - nicht anders als die Protagonisten des 16. Jahrhunderts. Das Fazit bleibt trotzdem ein positives: Wer eine konzise und gut lesbare, dabei auf der Höhe der aktuellen Forschung argumentierende Einführung in die deutsche Geschichte des 16. Jahrhunderts sucht, wird bei Thomas Laus "Spurensuche" fündig werden.
Anmerkungen:
[1] Thomas Lau: Stiefbrüder: Nation und Konfession in der Schweiz und in Europa (1656-1712), Köln 2008.
[2] Vgl. zum Beispiel Georg Schmidt: Die frühneuzeitliche Idee "deutsche Nation": Mehrkonfessionalität und säkulare Werte, in: Heinz-Gerhard Haupt / Dieter Langewiesche (Hgg.): Nation und Religion in der deutschen Geschichte, Frankfurt / New York 2001, 33-67.
Horst Carl