Steffen Hagemann: Die Siedlerbewegung. Fundamentalismus in Israel, Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2010, 504 S., ISBN 978-3-89974-615-0, EUR 49,80
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Die israelische Siedlungspolitik im Westjordanland und im Gebiet der Golanhöhen ist nach wie vor umstritten, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil zentrale Fragen staats- und völkerrechtlicher Natur bis heute nicht geklärt sind. Siedlungspolitik und Siedlerbewegung agieren gleichsam in vermintem Gelände, wobei der Einfluss national-religiöser Kräfte nicht zu unterschätzen ist. Der national-religiösen Siedlerbewegung in Israel gilt auch das Interesse Steffen Hagemanns, der in seiner Dissertation insbesondere deren "Ideologie, organisatorische Struktur und das Bewegungshandeln" (22) sowie ihre zwischen Erfolg und Krise oszillierende Geschichte seit 1967 in den Blick nimmt.
Dabei geht Hagemann von drei zentralen Annahmen aus. Seine erste These lautet, die Ideologie der Siedlerbewegung sei nicht als nationalistisch, sondern als religiös-messianisch-fundamentalistisch zu bezeichnen: "Der religiöse Siedlerfundamentalismus zielt auf die Rückkehr des gesamten Volkes Israel in das ganze Land Israel und die Errichtung einer alt-neuen Ordnung: der biblischen Theokratie." Der Idee dieses Halacha-Staats liege eine "heilsgeschichtliche Deutung der zionistischen Bewegung und der Gründung des israelischen Staates" (27) zu Grunde.
Die zweite These betrifft die Erfolgsgeschichte der außerparlamentarischen religiös-fundamentalistischen Siedlerbewegung Gusch Emunim (Block der Gläubigen) in den 1970er und 1980er Jahren. Hagemann erklärt diese Erfolgsgeschichte mit dem "Ende der Hegemonie des Arbeiterzionismus", mit der "Doppelstrategie von außerparlamentarischem Protest und institutionalisierter Zusammenarbeit mit dem politischen System" sowie mit der "breiten Resonanz der Siedlerbewegung in der israelischen Gesellschaft". Der religiösen Siedlerbewegung sei es in diesem Zusammenhang gelungen, "wesentliche Differenzen zwischen dem messianisch-fundamentalistischen Narrativ der Bewegung und dem hegemonialen Narrativ der säkularen zionistischen Bewegungen durch die Berufung auf ein gemeinsames Erbe, gemeinsame Werte und Symbole zu verbergen" (27 f.). Die Siedlerbewegung verfolgte also mit anderen Worten die Strategie, das eigentliche politische Ziel der "Theokratisierung" Israels geschickt zu verschleiern: "Gegenüber der säkularen Öffentlichkeit inszenierte" sie sich "als Fortsetzung und Revitalisierung des klassischen Zionismus und damit als jüdische und zionistische Antwort auf die Krise der israelischen Gesellschaft in den 1970er Jahren" (28).
Hagemanns dritte These bezieht sich auf die krisenhafte Dynamik der religiösen Siedlerbewegung, die Anfang der 1990er Jahre einsetzte: "Der Friedensprozess von Oslo und der Rückzug aus dem Gaza-Streifen" hätten das Siedlungsprojekt "in seiner materiellen und symbolischen Dimension" bedroht; beides stehe "im diametralen Widerspruch zur Ideologie der Siedlerbewegung. Insbesondere die heilsgeschichtliche Deutung der zionistischen Bewegung und die Annahme eines irreversiblen Fortschreitens des messianischen Prozesses" werde dadurch "infrage gestellt". Weiter ist von der "Erschütterung der Ideologie", vom "Verlust an Resonanz seitens der säkularen Gesellschaft" und vom "Verlust an politischer Macht" die Rede. Mit der Krise hätten eine Zersplitterung der Bewegung und ein Prozess der ideologischen Fragmentierung des Bewegungshandelns eingesetzt, "welches sich zwischen militantem Kampf, religiöser Erweckung und spirituellem Rückzug" bewege (28). Damit erklärten sich auch die Radikalisierungstendenzen der letzten Jahre.
Das Grundproblem in Hagemanns Argumentation besteht in der Annahme, es gebe in der territorialen Frage eine signifikante ideologische Differenz zwischen dem religiösen und säkularen Zionismus. Der Politologe von der Technischen Universität Kaiserslautern erklärt den Erfolg der religiösen Siedlerbewegung mit der Krise des Arbeiterzionismus der 1970er Jahre und übersieht dabei, dass sich letzterer schon früh der zionistischen Ideologie der "Judaisierung von Eretz Israel" verschrieben hatte. Zudem wurde die Siedlungspolitik nach 1967 von allen zionistischen Parteien getragen - aus ideologischen Gründen. Und wenn Hagemann feststellt, für die National-religiösen sei Eretz Israel nicht die Heimat der Juden, "sondern das Land der Bestimmung" (119), lässt sich dagegen halten, dass das Territorium auch für die säkularen Zionisten "heilig" bleibt.
Der Siedlungsbau im Jordantal, auf den von Syrien eroberten Golanhöhen und auf der Halbinsel Sinai wurde nach dem Sechstagekrieg von einer Regierung eingeleitet, die ihre Wurzeln im Arbeiterzionismus hatte. Dabei operierten die Siedler in Gebieten wie Judäa, Samaria und im Gaza-Streifen, die von Palästinensern dicht besiedelt waren. Der säkulare Zionismus begegnete diesem Problem - wenn auch nicht einmütig - mit der Opferbereitschaft und messianischen Hartnäckigkeit der "neuen Zionisten". Die Gründung von Gush Emunim erfolgte ein Jahr nach dem Jom Kippur Krieg von 1973 und stärkte das Lager derer, die sich einem territorialen Kompromiss verweigerten und die viele Verfechter des Arbeiterzionismus hinter sich wussten.
Es war folgerichtig keine von der Arbeitspartei geführte Regierung, die drei Jahrzehnte lang die Richtlinien der Politik in Israel bestimmt hatte, sondern ein konservatives Kabinett unter der Führung Menachem Begins, das 1978 den ersten Friedensvertrag mit Ägypten wagte und im Anschluss daran die Halbinsel Sinai räumte. Dieses Grundmuster setzte sich fort: Der Friedensprozess von Oslo scheiterte letztlich daran, dass die Arbeiterpartei die Teilung des Landes, sprich die Räumung der besetzen Gebiete, nicht umsetzen wollte oder konnte. Erst eine weitere konservative Regierung setzte 2005 einen nennenswerten Gebietsverzicht durch, allerdings wie 1978 nicht aus ideologischen, sondern aus pragmatischen Gründen. Man kann also die Vereitelung einer Zweistaatenlösung nur erklären, wenn man die Kooperation zwischen den Verfechtern einer Siedlungspolitik aus religiös-messianischen Gründen und den Fürsprechern des Siedlungsbaus aus sicherheitspolitisch-säkularen Motiven in Rechnung stellt. Das Siedlungsprojekt in den besetzten Gebieten (und eben nicht nur in den heiligen Stätten im Westjordanland) ist also ein Projekt des zionistischen Israels und nicht alleine der religiösen Siedler [1].
Hagemanns Annahme, es gebe eine wesentliche ideologische Differenz zwischen dem religiösen und dem säkularen Zionismus weist eine weitere problematische Facette auf: Was genau macht die religiöse Siedlerbewegung Israels zu einer messianisch-fundamentalistischen? Die Agitation für die Besiedlung von Eretz Israel oder das Ziel des Halacha-Staats? Hagemann sieht hier eine ausreichende Begründung für seine Charakterisierung der religiösen Siedlerbewegung als messianisch und fundamentalistisch. Doch sieht man genauer hin, dann entspricht das erste politische Ziel dem Leitmotiv des säkularnationalistischen Zionismus: "jüdischer Staat für das jüdische Volk in Eretz Israel". Der Halacha-Staat, also ein Staat nach jüdischem Gesetz, wäre aber durchaus auch im Sinne der nichtzionistischen jüdischen Orthodoxie, die man wortwörtlich als religiös-messianisch-fundamentalistisch bezeichnen kann. Letztlich lassen sich jedoch Religion und Staat in Israel nicht so scharf trennen, wie Hagemann dies tut. Die religiöse Siedlerbewegung ist im Gegenteil in der zionistisch-ethnisch orientierten, israelisch-jüdischen Gesellschaft tief verwurzelt - eine Tatsache, die Hagemann nur unzureichend reflektiert. Überzeugend hat er dagegen Ideologie, Struktur, Institutionen und Politik der religiösen Siedlerbewegung herausgearbeitet, so dass die Lektüre seiner Studie alles in allem gewinnbringend ist.
Anmerkung:
[1] Vgl. Idith Zertal / Akiva Eldar: Die Herren des Landes. Israel und die Siedlerbewegung seit 1967, München 2007.
Tamar Amar-Dahl