Ingvild Goetz / Karsten Löckemann (Hgg.): Peter Fischli, David Weiss, Ostfildern: Hatje Cantz 2010, 192 S., ISBN 978-3-7757-2735-8, EUR 35,00
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Das Schweizer Künstler-Duo Fischli & Weiss, bestehend aus Peter Fischli (geboren 1952) und David Weiss (geboren 1946), zählt spätestens seit der Präsentation des Videos "Der Lauf der Dinge" auf der Kasseler "documenta 8" (1987) zu den international bekanntesten Künstlern der Gegenwart. Und obwohl die Anzahl der (vor allem Ausstellungen begleitenden) Publikationen hoch ist und selbst die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Werk der Zürcher Künstler bereits vor mehr als 15 Jahren einsetzte [1], scheinen viele Aspekte ihres künstlerischen Ansatzes (Rezeptionsgeschichte, Position in der Geschichte der Fotografie wie auch des Videos etc.) noch wenig erforscht. Drei materialreiche, retrospektiv angelegte Monografien über Fischli & Weiss aus den Jahren 2005/6 lassen noch ausreichend Raum für kunsthistorische Detailarbeit [2] - vor allem im Hinblick auf Kontextbildungen.
Die von der Münchener Sammlerin Ingvild Goetz herausgegebene Anthologie "Peter Fischli, David Weiss" verspricht durch ihren allgemeinen Titel in dieser Hinsicht viel. Der reich bebilderte einleitende Aufsatz von Rainald Schumacher gibt auch einen recht guten Überblick über die Entwicklung des Werkes von Fischli & Weiss, das eben nicht nur Videos beschränkt ist, sondern auch Fotos, Künstlerbücher, Plastiken, Projektionen und Installationen einbezieht (38-76). Doch wird rasch erkennbar, dass der Autor sich an den Beständen der Privatsammlung Goetz orientiert und auch keine weitere Kontextualisierung anstrebt, geschweige denn historische Vergleiche heranzieht - eine Perspektive, die in der Vergangenheit sowohl von Beate Söntgen (zu Duchamp) als auch von Robert Fleck (zu Ferdinand Hodler, Paul McCarthy, Mike Kelley) immerhin angestoßen wurde. [3]
Nicht anders verhält es sich mit den beiden sehr kurzen Beiträgen von Stephan Urbaschek zu den Filmen (112-122) und Karsten Löckemann zu den Projektionen von Fragen (144-154). Immerhin kann dem Leser bei der Lektüre des letztgenannten Beitrags an mehreren Stellen eine grundlegende Problemkonstellation in der künstlerischen Produktion klar werden, die in diesen Beiträgen zwar nicht weitergehend erörtert wird, der sich der Wissenschaftler jedoch stellen muss: Einige Arbeiten von Fischli & Weiss existieren in mehreren Versionen, d.h. in unterschiedlichen Größen und Installationsformen (151, Anm. 8). Wie nun geht der Kunsthistoriker damit in Zukunft um? Für eine Rezeptionsgeschichte ist die Frage nach der spezifischen Präsentation und den jeweiligen räumlichen Voraussetzungen von zentraler Bedeutung. Es genügt also bei zeitgenössischer Kunst nicht, nur eine aus Titeln und Jahreszahlen bestehende Werkliste zu rekonstruieren, um das "originale" Kunstwerk und seine Rezeption zu untersuchen. Es ist dies ein Grundproblem, das in der Praxis in den letzten Jahren auch besonders die Video-Kunst betrifft, deren unterschiedliche Techniken und Projektionsformen extrem variieren.
Stephan Urbaschek führt zu Beginn seines Beitrags noch in dankenswerter Klarheit zu den frühen Filmen von Fischli & Weiss, "Der Geringste Widerstand" (1981) und "Der Rechte Weg" (1983) aus: "Die ersten beiden Filme wurden noch auf Super-8- bzw. 16-mm-Film aufgenommen und später auf Video übertragen, die späten Filme wurden gleich als Video gedreht." (113) Dass sich diese Problematik im Zeitalter der digitalen Filme verschärft und überdies auch die traditionelle Unterscheidung zwischen Video und Kunstfilm nivelliert, könnte man noch ausführen - was aber ebenfalls eine weiterführende Reflexion über die Konsequenzen für das kunsthistorische Arbeiten zur Folge haben müsste. Die DVD des ehemals als VHS-Video produzierten "Lauf der Dinge" kann übrigens mittlerweile jeder Interessent zu einem akzeptablen Preis bei Amazon erwerben: Fischli & Weiss haben mit der unlimitierten Auflage ernst gemacht mit dem Auswandern der Kunst aus den Institutionen in das Wohnzimmer.
Derartige Zuspitzungen und weitergehende Fragestellungen lässt das hier zu besprochene Buch jedoch vermissen und verharrt so auf dem Niveau eines konventionellen Ausstellungskatalogs. Davon unterscheidet sich partiell allein das von Katharina Vossenkuhl zusammengestellte Verzeichnis der ausgestellten Werke (172-190), das zu jeder Arbeit einen zwar betont nicht vollständigen, aber doch beeindruckend umfangreichen Korpus an Literatur und Ausstellungsorten nachweist. An dieser Stelle nimmt sie den Faden der in nur geringer Auflage gedruckten Dissertation von Renate Goldmann auf, die im Stile einer extrem ausführlichen Werkchronologie das Werk der Künstler vorstellt, aber ebenfalls kein vollständiges Werkverzeichnis anstrebt. [4]
Worüber also soll man sich freuen? Dass durch die Publikationsflut zur Gegenwartskunst umfangreiches Material in die Archive geschwemmt wird, die ausreichend Stoff für die Kunstgeschichtsschreibung liefert? Oder dass unser Fach immer noch die Gegenwart verschläft und einer Ausstellungspraxis das Feld überlässt, von der sie die notwendige Erweiterung des methodischen Horizontes nicht erwarten darf? Das vorliegende Buch ist nur das unfreiwillige Zeugnis für eine solch unglückliche Alternative.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Philip Ursprung: Plötzlich diese Lockerung: John M. Armleder und Peter Fischli & David Weiss, in: Kunst + Architektur in der Schweiz 47 (1996), 6-14.
[2] Vgl. Robert Fleck / Beate Söntgen / Arthur C. Danto: Peter Fischli, David Weiss, London 2005; Bice Curiger (Hg.): Fischli, Weiss: Fragen & Blumen, Zürich 2006; Renate Goldmann: Peter Fischli David Weiss. Ausflüge, Arbeiten, Ausstellungen. Ein offener Index (= Kunstwissenschaftliche Bibliothek; Bd. 25), Köln 2006.
[3] Vgl. Fleck / Söntgen / Danto (wie Anm. 2), 22, 81, 84.
[4] Vgl. Goldmann (wie Anm. 2).
Stefan Gronert