Helmut Halfmann: Marcus Antonius (= Gestalten der Antike), Darmstadt: Primus Verlag 2011, 256 S., ISBN 978-3-89678-696-8, EUR 29,90
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"Antonius wäre [...] der Ehre, als erster römischer Kaiser in die Geschichte einzugehen, würdig gewesen. Als Mensch und Charakter hätte er den Sieger von Actium und ersten Prinzeps, Augustus, übertroffen, und ihm wäre das zuteil geworden, was jenem bis heute versagt geblieben ist: Begeisterung oder gar Zuneigung." Dieses kontrafaktische Fazit am Ende der Antonius-Biographie Helmut Halfmanns belegt einmal mehr die Faszination, die der Triumvir noch heute ausübt. Tatsächlich konnte sich kaum einer der bisherigen Biographen dem Charme des Antonius entziehen, weshalb ihm in jüngerer Zeit keine ernstzunehmende Gesamtdarstellung vergönnt war. [1]
Auch Halfmann ist bemüht, dem Leser die Vorzüge seines "Helden" näherzubringen. Dennoch, dies sei vorneweg herausgestellt, erliegt er mit Ausnahme der soeben zitierten Würdigung zu keiner Zeit der Verführung, seine Rekonstruktion der Biographie von der spürbaren Sympathie für Antonius beeinflussen zu lassen. Stattdessen bewertet er durchweg sachlich und auf Basis der neuesten Forschungen die einzelnen Handlungen des berühmten Triumvirn, wobei ihm die Gradwanderung zwischen nüchternem Urteil und lebhafter Erzählweise ausnahmslos gelingt.
Halfmann beginnt seine Darstellung mit einer knappen Vorstellung der bekannten Vorfahren des Antonius und nutzt die Gelegenheit für eine Einführung in die Geschichte der späten römischen Republik (13-29), beides notwendige Voraussetzungen, die es erst erlauben, die Handlungschancen des Antonius auszuloten. Im Anschluss werden in 15 weiteren Kapiteln die einzelnen Stationen im Leben des Triumvirn beschrieben. Schon bei der Nachzeichnung der frühen Karriere macht sich das Problem der größtenteils gegen Antonius eingenommenen Quellen bemerkbar. Zu Recht relativiert Halfmann die späteren Ausfälle Ciceros in dessen Philippischen Reden gegen Antonius (33f., 45, 50) und stellt stattdessen die militärischen Fähigkeiten des jungen nobilis heraus (34f.), wobei er dessen Rolle bei Pharsalos wiederum als eher gering einschätzt (47). Die bei der Vertretung Caesars in Italien 47 v.Chr. belegten Unruhen sind nach Halfmann eher dem Dictator selbst als seinem magister equitum anzulasten, da die lange Abwesenheit des ersteren und seine nur mit großer Verzögerung eintreffenden Anordnungen Unsicherheiten provoziert hätten (50f.).
Den zweijährigen Hiatus (46/45 v.Chr.) in der Karriere des Antonius erklärt Halfmann (51-53) im Anschluss an J. T. Ramsey [2]: Antonius sei in dieser Zeit nicht mit Caesar zerstritten gewesen, sondern von diesem mit der schwierigen Aufgabe betraut worden, die Güter des Pompeius aufzuteilen und zu verkaufen, um Caesars Soldaten die versprochenen Prämien auszahlen zu können. Dies macht freilich nur Sinn, wenn einerseits Caesar niemanden sonst hiermit hätte betrauen können (warum nicht ein Mitglied seiner so genannten "Kanzlei"?) und wenn andererseits der Offizier Antonius für die weiteren Kriege gegen die Pompeianer verzichtbar gewesen wäre. [3] Falls Antonius im Jahre 46 v.Chr. Praetor gewesen sein sollte, wie Halfmann schlüssig vermutet (51), wäre die Lücke in seiner Ämterlaufbahn kaum noch als auffällig groß zu bezeichnen.
Spätestens im Sommer 45 befand sich Antonius jedenfalls wieder in der Gunst Caesars. Für das Jahr 44 wurde er zum Consul und noch vor den Iden zum flamen Divo Iulio designiert. [4] Nach der Ermordung des Dictators war er somit qua Amt automatisch Roms bestimmender Politiker. Zu Recht stellt Halfmann heraus, dass die Ausschreitungen während der Beerdigung Caesars nicht auf die Leichenrede des Antonius zurückzuführen sind (67), der Consul "in den Wochen und Monaten nach Caesars Tod durchaus einvernehmlich mit dem Senat und im Sinne des Kompromisses vom 17. März" handelte (68) und lediglich "eine Stellung als Erster oder unter den Ersten des Staates" anstrebte (69). Erst "das neue politische Kraftzentrum", das sich um Octavian bildete, führte zu einer "schärferen Gangart" (69). Hinsichtlich des vermeintlichen Attentats Octavians auf Antonius Anfang Oktober äußert sich Halfmann dezidiert gegen die bisherige Forschung, die entweder an einen tatsächlichen Anschlag des Erben oder (so das Gros) an eine Erfindung des Consuls glaubt, wobei die Gründe für dieselbe gleichfalls umstritten diskutiert werden. Meine Vermutung, dass Antonius in Reaktion auf die illegalen Aushebungen Octavians handelte und ein senatus consultum ultimum erreichen wollte [5], sieht Halfmann als übertriebene Spekulation an. Dass Octavian sich selbst beschuldigt haben könnte, um "Antonius in Bedrängnis [zu] bringen" (78), ist allerdings gleichfalls diskussionswürdig.
Die Ostpolitik des Antonius wird von Halfmann im Anschluss an die neuesten Forschungen durchgängig positiv beurteilt. Sein Auftreten als Grieche bzw. Römer habe der Triumvir den jeweiligen Notwendigkeiten geschickt angepasst (106-111, 140), die Stärkung Ägyptens in Roms Interesse verfolgt (148-152) und grundsätzlich mehr Wert auf fähige als alteingesessene lokale Herrscher und Vertreter gelegt (118, 134, 139, 148). Im Partherkrieg habe ihm lediglich "Caesars sprichwörtliches Glück" gefehlt (158). Daneben habe Antonius zu keiner Zeit seine Interessen im westlichen Reichsteil vernachlässigt, selbst wenn er es gelegentlich für klüger hielt, den Ausgang eines Konfliktes passiv abzuwarten, wie im Bellum Perusinum (127f.) oder in der Auseinandersetzung zwischen Pompeius und Octavian (142).
Überdies gelangt Halfmann aber auch zu völlig neuen Einschätzungen. So denkt er, ohne den Einfluss der früheren Soldaten Caesars zu unterschätzen, dass Antonius letztlich durch den ihm feindlich gesinnten Senat in das Bündnis zum Triumvirat gedrängt wurde (94). Widerspruch wird zweifellos die Ansicht hervorrufen, dass die propagandistischen Sticheleien zwischen Octavian und Antonius erst im Jahre 32 v.Chr. ihren Anfang fanden und sämtliche früheren Mitteilungen wie diejenige, dass Octavian seine Schwester aufgefordert haben soll, das Haus des Antonius zu verlassen, der nachträglichen augusteischen Geschichtsklitterung zuzuschreiben sind (166, 180). Tatsächlich sei sogar die komplette Berichterstattung Cassius Dios zum Beginn des Jahres 32 manipuliert (181-185), wohingegen der ebendort berichtete Neid Octavians auf den geplanten Triumph des Antonius über Armenien nicht nur glaubhaft sei, sondern auch die Schuld am folgenden Krieg trage.
Mag man das ein oder andere Detail, wie die eingangs zitierte Ansicht, dass Antonius einen besseren ersten Kaiser abgegeben hätte, auch in Zweifel ziehen, dies ändert nichts daran, dass Halfmann die erste umfassende und alle jüngeren Forschungen berücksichtigende Antonius-Biographie verfasst hat, die für lange Zeit als Ausgangspunkt aller zukünftigen Spezialstudien zum berühmten Triumvirn dienen wird.
Anmerkungen:
[1] Halfmann listet insgesamt zehn Monographien auf (249), zu denen man noch einige weitere hinzufügen kann; siehe K. Matijević: Marcus Antonius, Rahden/Westf. 2006, 31f. Bleibenden Wert besitzt allein R. F. Rossis Abhandlung (1959).
[2] CQ 54, 2004, 161-173.
[3] Gegen Ramseys These hat sich überzeugend R. Cristofoli: Antonio e Cesare, Rom 2008, 107-128 ausgesprochen.
[4] Dass Antonius von Caesar als Statthalter für Macedonia vorgesehen war (59, 68), ist dagegen bereits von Sternkopf, Hermes 47, 1912, 355f. widerlegt worden. Ebenso wenig war Syria dem Cassius versprochen (63); vgl. Matijević: Marcus Antonius, 51 Anm. 65.
[5] Matijević: Marcus Antonius, 192f.
Kreimir Matijević