Alessandro Barbero: Lepanto. La battaglia dei tre imperi, Bari / Roma: Editori Laterza 2010, 768 S., ISBN 978-88-420-8893-6, EUR 32,99
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In Italien auf den Bestsellerlisten, in Deutschland nahezu unbekannt - die Bücher des italienischen Mediävisten Alessandro Barbero böten einen trefflichen Anlass, über die Tendenz zur Provinzialisierung, die in den Geisteswissenschaften als wohl unvermeidlicher Nebeneffekt der Globalisierung zu beobachten ist, nachzudenken. Das aber soll an dieser Stelle nicht geschehen, sondern Barberos neueste Studie vorgestellt werden, sein mächtiges und, dies sei voraus geschickt: magistrales Werk über die Vorgeschichte und den Verlauf der Seeschlacht bei Lepanto am 7. Oktober 1571.
Anders als in Deutschland stellt diese Schlacht, in der die Flotte der "Heiligen Liga", bestehend aus Spanien, Venedig und dem Papsttum, über den osmanischen Gegner triumphierte, in Italien bis heute einen zentralen "Erinnerungsort" mit ungebrochener Präsenz im öffentlichen Gedächtnis dar. Und weil der Sieg der christlichen Armada, obwohl er militärisch und politisch nahezu folgenlos blieb, einen einzigartigen propagandistischen Nachhall gefunden hat, existieren ganze Berge an Literatur zum Thema, über die ebenfalls reiche Überlieferung an zeitgenössischen Quellen in den italienischen und spanischen Archiven (sehr viel weniger leider auf türkischer Seite) hinaus.
Barbero hat, eine erste Stärke seiner Abhandlung, von der längst kaum mehr überschaubaren Masse des Materials das Wesentliche verwendet. Das Quellenfundament, auf dem er seine Studie entwickelt, ist überaus solide, dabei nie durch überflüssigen Wissensstoff aufgebläht, sondern stets am Ziel einer kohärenten, in sich stimmigen und überzeugenden Darstellung ausgerichtet, die alles enthält, was der Leser zum Verständnis benötigt - und nicht mehr. Der gekonnt ausgewählte Stoff wird dabei mit so kunstvoller Meisterschaft präsentiert, dass dem Leser kaum zu Bewusstsein kommt, dass er es mit einem gestalteten Kunstwerk zu tun hat. Zahllose kurze Quellenzitate finden sich elegant in die schlichte, aber keineswegs simple Prosa der Erzählung eingebunden; wo einmal längere Passagen als größere Blöcke präsentiert werden, begründet der Autor mitunter eigens die Notwendigkeit dazu und weist in den teilweise umfangreichen Endnoten nach, warum ihn seine Auseinandersetzung mit einzelnen Forschungskontroversen zu der im Fließtext gewählten Darstellung hat gelangen lassen. Kurz: Barberos Buch ist in Sprache und Form über jede Kritik erhaben.
Was den Inhalt betrifft, so umfasst die Arbeit den Zeitraum vom Herbst 1568, da erste Zeugnisse über den Plan der Hohen Pforte vorliegen, die zum stato da mar der Republik Venedig gehörende Insel Zypern zu erobern, bis zum Tag der Schlacht und der an sie anschließenden beginnenden Auflösung des christlichen Bündnisses im Oktober 1571. Es sind mithin nur drei Jahre, deren ereignisreicher Verlauf auf mehr als 600 Seiten präsentiert wird, wobei auf die Darstellung der Schlacht selbst nur 15 Seiten entfallen. Ausführlich im Sinne einer "dichten Beschreibung" werden die Gründe für die türkische Expansion, die Reaktion der Venezianer, das Bemühen um ein Verteidigungsbündnis christlicher Mächte und die Schwierigkeiten, auf die der eigentliche spiritus rector der Liga, Papst Pius V. Ghislieri (1566-1572), dabei stieß, geschildert; ebenso die Eroberung Zyperns nach der Belagerung und Einnahme der dortigen Festungen, das Scheitern der christlichen Flottenexpedition im Sommer 1570, die daran anschließenden neuerlichen Verhandlungen zwischen den feindlichen Verbündeten Spanien und Venedig, die unendlichen Mühen und endlosen Verzögerungen, die dem Aufbruch der Ligaflotte im September 1571 vorausgingen, schließlich die Schlacht selbst, ihr Verlauf, ihr Ausgang und die Gründe für diesen Ausgang, das heißt: für die desaströse Niederlage der gefürchteten osmanischen Flotte.
Bei der Schilderung all dieser Ereignisse gelingt es der darstellerischen Kunst des Autors, ein anschauliches Bild vieler Bereiche frühneuzeitlicher Lebenswirklichkeit zu zeichnen: ob diplomatische oder politische Geschehnisse, militärische Entwicklungen oder Wirtschaftsfragen, Mentalitäten oder Kommunikationsstrukturen - was immer nötig ist, um die Ereignisse im Umfeld der Schlacht von Lepanto zu verstehen, Barbero beschreibt es mit präziser Sachkenntnis und plastischer, aus den Quellen gespeister Anschaulichkeit. Nicht minder überzeugend fällt die Charakterisierung der handelnden Personen aus, zumal auf christlicher Seite. Die türkischen Protagonisten bleiben demgegenüber etwas blasser, was aber nicht an geringerer Aufmerksamkeit des Autors, sondern an einer lückenhaften Überlieferung liegt. Grundsätzlich ist als ein besonderer wissenschaftlicher Gewinn im engeren Sinne zu verbuchen, dass Barbero erstmals in einer zusammenhängenden Darstellung zur Vorgeschichte Lepantos konsequent die türkische Perspektive einbezogen hat. Dadurch gelingt ihm die gründliche Widerlegung so manchen altüberkommenen Klischees, etwa im Hinblick auf die angeblich schier unerschöpflichen Ressourcen an Material und vor allem Menschen, über die der Sultan verfügte: Deutlich wird immer wieder, und zwar mit manchmal erschütternder Prägnanz, in welchem Maße die frühneuzeitlichen Staaten im Westen wie auch im Osten des Mittelmeeres mit Mängeln und Unzulänglichkeiten zu kämpfen hatten, welch enormen Kraftakt es darstellte, eine Flotte zu bauen und auszurüsten, zu bemannen und zu versorgen, schließlich, sie zum Einsatz zu bringen. Ständig bedroht von widrigem Wetter, gequält von Hunger und fast permanent grassierenden Seuchen aufgrund unsäglicher hygienischer Bedingungen, waren die Verlustraten beider Kriegsparteien auch ohne Kampfeinsätze enorm. Auf diese Weise bietet Barberos Buch nicht zuletzt en passant eine exzellente Einführung in den Entwicklungsstand der frühneuzeitlichen Staatenwelt am Ende des 16. Jahrhunderts.
Sucht man nach Kritikpunkten, so wird die Aufgabe des Rezensenten angenehm schwer. Vermutlich lässt sich Barbero bei der Beurteilung des genuesischen Admirals in spanischen Diensten Giovanni Andrea Doria doch ein wenig von der venezianischen oder venedigfreundlichen Geschichtsschreibung in die Irre führen. Nicht so sehr, was Dorias in der Tat zwielichtiges Verhalten während der Kampagne des Jahres 1570 betrifft. Doch bei Lepanto selbst handelte Doria kaum zögernd oder gar verräterisch, sondern entschlossen und vor allem: richtig. Überzeugend rechnet Barbero vor, dass die christliche Flotte am Vorabend der Schlacht dem Gegner nicht, wie bis heute oft zu lesen, unter-, sondern in fast allen Bereichen deutlich überlegen war. Die Galeeren der Liga verfügten über mehr Artillerie, Handfeuerwaffen und Soldaten, die zudem besser geschützt waren. Nur in einem Bereich besaßen die Osmanen einen Vorteil, nämlich in Gestalt einer Vielzahl leichterer Schiffe, der Galeotten. Und genau diesen Trumpf suchte der türkische Oberbefehlshaber Ali Pascha auszuspielen, indem er das Geschwader auf dem linken Flügel seiner Schlachtordnung mit diesen leichten Galeotten ausstattete und dem Kommando seines bei weitem tüchtigsten Admirals, des Renegaten Uluch Ali, unterstellte. Dessen Überflügelungsversuch hätte, wäre er gelungen, das Blatt allenfalls noch wenden können. Doch scheiterte Uluch Alis Manöver am vorausschauenden Ausschwenken des ihm entgegengestellten Geschwaders Dorias, das insofern nicht etwa mangelndem Kampfgeist, sondern schlicht der taktischen Notwendigkeit geschuldet war.
Schwerer als eine solche Kritik im Einzelnen wiegt vielleicht ein Einwand, der die Konzeption des Buches insgesamt betrifft. Barbero bemüht sich, wie gesagt, konsequent und erfolgreich um die Entwicklung seiner Erzählung aus den Quellen und versagt sich zumeist Interpretation und erläuternde Reflexionen. Er gewinnt dadurch ein hohes Maß an Anschaulichkeit und Suggestivität, allerdings um den Preis einer weitgehend hermetischen Darstellung. Wenn der Autor, um ein Beispiel zu nennen, auf Seite 416 zu Recht betont, dass die Politiker des 16. Jahrhunderts mit Argusaugen über ihre Jurisdiktionsgewalt wachten wie auch über die Wahrung der persönlichen Ehre, die im Übrigen mit ersterer in engstem Zusammenhang stand, so ist diese Bemerkung zweifellos ebenso richtig wie hellsichtig. Es stellt sich aber die Frage, ob dem breiteren Publikum, auf das das Buch aspiriert (und wahrlich auch aspirieren kann!), nicht doch damit gedient gewesen wäre, diesen Zusammenhang, wie so manchen anderen, eingehender zu erklären. Aber gewiss, mit derlei deutenden Passagen wäre der so brillant konstruierte Erzählfluss immer wieder etwas unbeholfen unterbrochen worden. Und am Ende hat es keinen Sinn, die Quadratur des Kreises zu verlangen.
Insofern kann als Fazit festgehalten werden, dass mit Alessandro Barberos Studie über die Schlacht bei Lepanto nicht nur ein Buch vorliegt, das auf lange Zeit die Grundlage für jede Beschäftigung mit der größten Seeschlacht der Frühen Neuzeit bleiben wird, sondern das zugleich in eindrucksvoller Weise wissenschaftliche Seriosität mit publikumsfreundlicher Präsentation zu verbinden versteht.
Arne Karsten