Vladimir Frömke: Moritz von Schwinds Sängerkriegsfresko auf der Wartburg. Die historischen Quellen und deren Auslegung in der Kunst des 19. Jahrhunderts (= Europäische Hochschulschriften. Reihe XXVIII: Kunstgeschichte; Bd. 425), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2008, XII + 456 S., ISBN 978-3-631-56511-7, EUR 74,50
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Nicht zuletzt durch Luthers Aufenthalt 1521 gehört die Wartburg zu den populärsten und besterforschten Denkmälern Deutschlands. Mit der Legende des 1206 und 1207 dort ausgetragenen Sängerkrieges und seiner Rezeption im 19. Jahrhundert behandelt Vladimir Frömke in seiner 2005 abgeschlossenen Dissertation einen weniger bekannten Aspekt der Wartburghistorie.
Einst trafen sich am Hof Landgraf Hermanns I. von Thüringen sechs Minnesänger, um ihren Gastgeber in kunstvollen Versen zu ehren - bis auf einen: Heinrich von Ofterdingen pries mit dem Herzog von Österreich lieber seinen eigenen Herrn. Damit verlor er den Sängerwettstreit und verwirkte sein Leben. Vor dem Henker flüchtete er zur Landgräfin, die ihm eine Gnadenfrist gewährte und erlaubte, den Streit binnen Jahresfrist mithilfe des Magiers Klingsor beizulegen. Dieser rettete den vorlauten Sänger 1207 durch seinen Schiedsspruch und trat mit seinen Versen und Rätseln in einem neuen Wettstreit gegen Heinrichs Gegner Wolfram von Eschenbach an.
Soweit die Legende. Sie ist in den mittelhochdeutschen Verszyklen "Fürstenlob" und "Rätselspiel" greifbar. Durch die Überlieferung in mittelalterlichen Chroniken und Liederhandschriften fand sie ihren Weg bis ins 19. Jahrhundert und beschäftigte viele vom Mittelalter begeisterte Wissenschaftler und Künstler.
Die Aneignung des Sängerkriegsthemas und seiner historischen Quellen durch die Kunst des 19. Jahrhunderts steht im Mittelpunkt der Arbeit Frömkes. Es geht ihm zudem um eine Synthese der Forschungsergebnisse der an der Wartburgforschung beteiligten Disziplinen, die der kunstwissenschaftlichen Würdigung von Schwinds Fresko nützen. Die Arbeit gliedert sich in vier Abschnitte, von denen sich drei dem Mittelalter widmen und der vierte dem 19. Jahrhundert. In zwei Exkursen über die Entwicklung der Notenschrift und die Rezeption des Sängerkriegsthemas in Wagners Tannhäuser befasst sich Frömke außerdem mit der musikalischen Seite der romantischen Mittelalterrezeption.
In seinen Mittelalter-Studien geht der Autor drei Aspekten nach: Erstens werden einige der seit dem Mittelalter entstandenen Liederhandschriften beschrieben, die im 19. Jahrhundert bekannt waren und Verse des Sängerkrieges sowie aufschlussreiche Bilder enthalten. Der als Codex Manesse bekannten Großen Heidelberger Liederhandschrift mit ihren Miniaturen widmet der Autor dabei die meiste Aufmerksamkeit, nennt aber z.B. mit der Weingartner und der Jenaer Liederhandschrift weitere Quellen, denen Informationen über Viten, Aussehen und Charakter der Sänger zu entnehmen sind.
Diese Informationen greift Frömke im nächsten Kapitel auf, um die Teilnehmer des Sängerstreits zu charakterisieren und so die Grundlage für eine adäquate kunstwissenschaftliche Beurteilung des Freskos zu legen. Dabei geht der Autor zunächst von den Versen der Sänger aus, um sich anschließend anhand der Miniaturen des Codex Manesse um eine anschauliche Darstellung der Sängerviten zu bemühen - und dies, obwohl Schwind den Codex wegen der erst 1888 erfolgten Rückführung nach Deutschland nicht aus eigener Anschauung kannte.
Als dritter Aspekt wird eingehend die um 1070 beginnende Gründungsgeschichte der Wartburg referiert, um den Auftraggeber des prächtigen Palas zu identifizieren. Anhand der Viten der Ludowinger sowie bauhistorischer und dendrochronologischer Forschungsresultate kommt der Autor zu dem Ergebnis, dass der Palas Mitte des 12. Jahrhunderts unter Landgraf Ludwig II. errichtet wurde und sein Sohn Hermann bereits über ihn verfügen konnte.
Mit dem Wiederaufbau des Palas zwischen 1838 und 1890 leitet Frömke sein letztes Hauptkapitel ein. Auftraggeber war der Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach, dem nicht nur am Ausbau der Wartburg zur Residenz, sondern auch an einem Denkmal der Wartburggeschichte lag. Der Autor integriert Hinweise auf diese Denkmalidee in eine knappe Beschreibung der Tätigkeit des verantwortlichen Architekten Hugo von Ritgen und befasst sich mit dessen Ziel, mit dem Palas ein alle Gattungen einschließendes Gesamtkunstwerk im Stil der Entstehungszeit zu schaffen.
Dass Ritgens Arkadenrekonstruktion im großen Festsaal eine Freskierung jedoch verhinderte, beschäftigt den Autor noch einmal in der Vita Moritz von Schwinds. Bei allem Detailreichtum bietet diese keine Hinweise auf Schwinds Rezeption des literarischen Sängerkriegsthemas. Sie folgen erst bei der Deutung zweier Gemälde von 1837. Schwinds Karlsruher Aquarell und sein Frankfurter Ölbild stellen das den Wettstreit 1207 beendende Rätselspiel dar und deuten den Sieg Klingsors an - ein aus der Mehrdeutigkeit zeitgenössischer Textausgaben resultierender Irrtum, den der Dichter Ludwig Bechstein in seine Thüringer Sagensammlung übernommen und an seinen Freund Schwind weitergegeben hatte.
Die Würdigung des Freskos im letzten Teilkapitel beginnt mit einer kurzen Revision des Forschungsstandes, den Frömke offenbar bis zur Karlsruher Schwind-Ausstellung 1996 mitverfolgt hat, während spätere Untersuchungen wie z.B. die von Schweizer [1] fehlen.
Nachdem Frömke die Geschichte des Auftrages und den Standort umrissen hat, geht er in seiner Beschreibung des Freskos zunächst auf den dort dargestellten Aktionsraum ein. Entscheidend dabei ist die Identität von Bildraum und Bildort, die der Maler durch die fast authentische Wiedergabe z.B. von Kapitellformen und Ornamenten erzielte. Es folgt die von einer systematischen Grafik begleitete Formanalyse des Bildes, in dem Schwind beide Episoden des Sängerstreits zusammengefasst und die Szene durch Zuschauer mit Porträts ehemaliger und gegenwärtiger Protagonisten der Wartburggeschichte aktualisiert hatte. Bei der Beschreibung der dargestellten Personen kommt es Frömke aber vor allem auf die Nähe des Bildes zu den beiden Verserzählungen und den Miniaturen an. Besonders bei der zum "Fürstenlob" gehörenden Szene sieht der Autor eine Entfremdung zwischen Text und Bild. Sie spricht einerseits für die Vorliebe des Malers für das Rätselspiel. Andererseits erblickt Frömke einen Gegensatz zwischen Schwinds Idealbild edler höfischer Minnekultur und der im "Fürstenlob" greifbaren Brutalität des Minnesänger-Alltags. Mit der Datierung dieses ohnehin als jünger eingestuften Verszyklus "weit nach dem 13. Jahrhundert" (237) zieht der Autor damit ein allerdings verblüffendes Fazit.
Die Arbeit Vladimir Frömkes zeichnet sich durch großen Detail- und Materialreichtum aus, der besonders die Kapitel zum Mittelalter prägt und dem interdisziplinären Ansatz Recht gibt. Allein die im Untertitel angesprochene Auslegung der historischen Quellen durch die Kunst des 19. Jahrhunderts hätte eine gründlichere und systematischere Untersuchung verdient, um genauere Informationen über die Kommunikationswege des Sängerkriegsthemas, insbesondere bei den Auftraggebern und dem Maler zu erhalten.
Anmerkung:
[1] Stefan Schweizer: Der Großherzog im Historienbild. Die Vergegenwärtigung des Mittelalters auf der Wartburg als fürstliche Legitimationsstrategie, in: Gerhard Oexle / Aron Petneki / Leszek Zygner (Hgg.): Bilder gedeuteter Geschichte. Das Mittelalter in der Kunst und Architektur der Moderne (= Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft; Bd. 23), Göttingen 2004, 383-446.
Anne Heinig