Sigrid Ruby: Mit Macht verbunden. Bilder der Favoritin im Frankreich der Renaissance, Freiburg: fwpf / Fördergemeinschaft wissenschaftlicher Publikationen von Frauen e.V. 2010, I + 501 S., ISBN 978-3-939348-18-4, EUR 59,90
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Die Autorin fragt in ihrem vortrefflich recherchierten Buch nach den visuellen Manifestationen der gesellschaftlichen Rolle zweier königlicher Mätressen des 16. Jahrhunderts. Im Fokus der Forschung standen bisher einerseits sogenannte "Mätressenporträts" der Schule von Fontainebleau, - das sind enigmatische Bildnisse von Frauen mit entblößtem Oberkörper -, und andererseits die Marquise de Pompadour (1721-1764), während kunsthistorische Studien zu den mehr als 50 Favoritinnen von Agnès Sorel (um 1410-1450) bis zu Françoise de Chalus (1734-1821) weitgehend fehlen. Ruby analysiert die mutmaßliche Bildproduktion nach allen möglichen Richtungen und hat dabei kaum eine der zahlreichen, fast ausschließlich französischen Publikationen zu Schlössern, Wandmalereien oder Grabmälern ausgelassen, um sie zu einem Gesamtbild zu gestalten. Voraus gehen Begriffsbestimmungen zu Favoritinnen, Mätressen und Günstlingen.
Anne d'Heilly de Pisseleu (1508-1580), seit 1522 als Ehrendame der Königsmutter Louise de Savoie am Hof Franz' I. (reg. 1515-1547), wird 1526-1530 dessen Mätresse, bevor sie 1533 mit Jean de Brosse verheiratet wird. Der Duchesse d'Étampes, die den Dichter Clément Marot protegiert hat, geht der Ruf voraus, sie sei wenig kunstsinnig und habe Benvenuto Cellini aus dem Land getrieben: Anlässlich der Präsentation einer silbernen Jupiterstatue habe sie vorgebracht, der um die Figur gelegte Schleier diene lediglich der Bemäntelung künstlerischer Mängel im Werk des Florentiners.
Diane de Poitiers (1499-1566) übernahm Lehnsgüter, die teilweise zuvor im Besitz der Herzogin von Étampes waren. Seit jeher wird die Mätresse Heinrichs II. (reg. 1547-1559) mit dem Schloss Anet in Zusammenhang gebracht, ohne dass ihre Patronage bisher in einem größerem Kontext untersucht worden wäre. Die Gegenüberstellung von zwei sehr unterschiedlichen Mätressen lässt sich dadurch rechtfertigen, dass beide im Haus der Königsmutter Louise de Savoie zur "petite bande" der 31 Hofdamen zählten.
Die mit Verve vorgetragenen, als Fallstudien angelegten Untersuchungen zu den Selbststilisierungsunternehmen der beiden Mätressen leiden etwas unter der schwachen Quellenlage und es fragt sich, ob es nicht wünschbar wäre, eine Studie zur "Imagebildung" stärker vergleichend, etwa in Gegenüberstellung zu den weit besser dokumentierten Unternehmungen der Königinnen Anne de Bretagne (1477-1516) oder Katharina von Medici (1519-1589), anzulegen. Bisweilen beschleicht den Leser der Gedanke, die Arbeitshypothese habe nicht hergegeben, was sie sollte, denn der Umfang einer medialen Selbstkonstruktion der Rolle Mätresse bleibt in vielen Bereichen fraglich.
Für Madame d'Étampes wurde das Schloss Meudon angepasst, indem ein unbekannter Architekt ab 1543 Eckpavillons im Stil des kurz zuvor für den Konnetabel Anne de Montmorency errichteten Schlosses Ecouen anbaute. Die "Maison de Plaisance bâtie à la moderne" von Challeau ist nach Ruby entgegen der älteren Forschung nicht ein von Franz I. für Anne errichtetes, sondern von ihr selbst gebautes Haus. Es bringt keine architektonischen Neuerungen und auch die Öffnung zum Garten hin setzt bereits mit Anne de Bretagnes Schloss Nantes ein. Das Präsentationsexemplar der "Coche", Ms. 522 des Musée Condé in Chantilly zeigt eine konventionelle Übergabe des Pariser Buchmalers Maître de Rohan aus den Händen der Autorin Marguerite de Navarre, der Schwester des Königs. Bei beiden Mätressen erstaunt das geringe Interesse am handgeschriebenen oder gedruckten Buch, das bei gebildeten Auftraggebern häufig im Zentrum des Interesses steht. Man fragt sich nach der Bildung von Frauen, die in der Lage seien, in komplexen Bildprogrammen "sich selbst in mehreren Rollen zu präsentieren" (152).
Die Chambre de la Duchesse d'Étampes in Fontainebleau (64-102) ist mit einem mehrteiligen Alexander-Zyklus aus der Primaticcio-Werkstatt in Fresko und Stuck dekoriert. Die Funktion als appartement, chambre, antichambre oder einfacher Zugang zum Ballsaal bleibt ungewiss. Denkbar, dass das Apelles-Fresko "als ein Sinnbild der königlichen Favoritin angesehen werden [konnte]" (88). Ob eine geschlechtergeschichtliche Perspektive und damit ein besonderer Status für die Wahrnehmung der Herzogin von Étampes und ihrer Rolle als Favoritin Franz' I. damit verbunden werden kann, lässt sich nicht schlüssig beweisen, da der Verweischarakter der disparaten Einzelepisoden auch nach der detailgenauen Analyse unklar bleibt. Formal handelt es sich um eine Weiterentwicklung der Grande Galerie François Ier. Zentral scheint hier, dass sich der König als neuer Alexander inszeniert, wie bereits am Burgunderhof üblich, wo Alexander zu den "neuf preux" gehörte, denen sich der Herzog als zehnter Tugendheld beigesellte.
Die Porträts der Diane de Poitiers aus den Händen von Jean und François Clouet, drei Zeichnungen im Musée Condé in Chantilly (MN 273, 202, 203), lassen keinerlei Aussage über das Individuum zu, sondern dokumentieren ihre Bildwürdigkeit und Zugehörigkeit zur Hofgesellschaft, sind aber ungeeignet, ihre Vorlieben zu bestimmen, wie die Autorin zurecht zugesteht.
Immer im Zentrum der Überlegungen um Diane de Poitiers als Auftraggeberin stand das Schloss von Anet, das als Zitat eines wehrhaften Schlossbaus und mit seinen Anspielungen auf Triumphbogen in die Zukunft weist und auch in seinem fragmentarischen Zustand zu einer Reihe von Fragen Anlass gibt (153-244). Die Anteile des Königs, seiner Favoritin und des Architekten an der Konzeption des wohl 1547 begonnenen und gegen 1560 beendeten Baus sind nicht hinreichend zu bestimmen. Gegen ältere Autoren wie Pérouse de Montclos, Prinz und Gebellin sei Anet kein "château royal" sondern stark von der Favoritin geprägt. Der königliche Architekt Philibert de l'Orme hatte allerdings eine andere Sicht der Dinge, als er meinte der König habe ihn frei walten lassen ("[...] pour me laisser faire ce que j'ay voulu [...]"), und in seinen Instructions berichtet, dieser habe als Auftraggeber ein größeres Interesse gezeigt, als bei seinen eigenen Bauten ("[...] ça esté par le commandement du feu Roy, qui estoyt plus curieux de sçavoir ce que l'on y faisoyt que en ses maisons [...]"). Die Autorin schreibt konsequent gegen die Vereinnahmung von Anet als "bâtiment royal" an, ohne dafür aber genügend Indizien beibringen zu können. Anet wurde weitgehend vom König finanziert und vieles ist als Geschenk des Königs hier gelandet, wie Emails des Léonard Limousin oder die Nymphe Benvenuto Cellinis, die für das Schloss Fontainebleau geplant war, und in Anet als Jagdgöttin umgedeutet wurde. Ob die Mätresse mit der Aneignung der Spolie eine private Ikonografie schuf, die ihr Verhältnis zum König feierte, bleibt fraglich. Wohl sollte man Anet als eine gemeinsame Unternehmung von Diane und Henri interpretieren, wie es die chiastische Verschränkung von Monarch und Mätresse bei der "Diane de Poitiers", dem marmornen Diana-Brunnen in Form eines Prunksarkophags mit Skulpturengruppe, nahe legt. Wohl veranlasste auch Diane de Poitiers Baumaßnahmen, doch es scheint unstatthaft, für die extravagante Architektur und das komplexe Bildprogramm mit diffiziler Emblematik jemand anders als den königlichen Architekten Philibert de l'Orme als Concepteur zu benennen.
Das Prunkgrabmal für den 1531 verstorbenen Gatten Louis de Brézé in der Kathedrale von Rouen war ab 1536 in Arbeit. Der wohl hier tätige Jean Goujon bediente sich mit seiner Kombination von Tugendpersonifikationen, einem Reiterdenkmal und einem liegenden Transi mit Büste zahlreicher Vorbilder wie dem Eingang des königlichen Schlosses von Blois, dem von Anne de Bretagne für ihre Eltern in der Kathedrale von Nantes gegen 1500 veranlassten Grabmal oder dem Colleoni-Grabmal in Bergamo. Es handelt sich um die Konzeption eines versierten und wohlinformierten Künstlers. Entlarvend was eine konzeptuelle Implikation der Auftraggeberin betrifft, ist in erster Linie das Testament zum eigenen Grabmal und Kirchenbau (344), das keinerlei formale Anforderung an die Gestaltung der eigenen Memoria bietet.
Bei dem Buch von Ruby handelt sich um eine präzise und kenntnisreiche Untersuchung zum Bildgebrauch und der Ikonografie im Kontext höfischer Auftraggeber, die sozial- und kulturgeschichtliche wie kunsthistorische Fragestellungen geschickt verbindet. Ob die beiden Mätressen "rollenadäquate Repräsentationsmuster" entwickelt haben und ein "ästhetisches Profil" (355) haben, bleibt aber fraglich, denn der Anteil der Künstler wird zu gering veranschlagt.
Andreas Bräm