Eva Labouvie (Hg.): Adel an der Grenze. Höfische Kultur und Lebenswelt im SaarLorLux-Raum (1697-1815) (= Historische Beiträge des Landesarchivs Saarbrücken; Bd. 7), Saarbrücken: Landesarchiv Saarland 2009, 325 S., ISBN 978-3-9811672-0-7, EUR 27,85
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Unter dem prägnanten Titel "Adel an der Grenze" beleuchtet der vorliegende Band verschiedene Aspekte der Adelskultur des Saarraumes samt angrenzender Gebiete, wobei er den Fokus auf die "Sattelzeit" und damit auf adelige Lebenswelten "an der Grenze zur Moderne" (Einleitung, 11) legen möchte. Vor dem Hintergrund kaum vorhandener Forschungen zu jener Adelslandschaft setzen die einzelnen Beiträge zunächst allesamt beim regierenden Hochadel jener Territorien zwischen Nassau-Saarbrücken, Pfalz-Zweibrücken und dem Herzogtum Lothringen an. Die explizite Zielrichtung einer Untersuchung des regionalen Adels auf Basis der "theoretisch-methodischen Erkenntnisse der historischen Kultur- und Genderforschung" (Einleitung, 11) spiegelt sich dabei bereits in der Einteilung der insgesamt sechs längeren Aufsätze in die Sektionen "Repräsentation und Herrschaft", "Landesväter und Landesmütter" sowie "Familienpolitik und Geschlechterrollen", die von zwei Dokumentationsteilen zur Präsentation kommentierter Schrift- und Bildquellen umrahmt werden.
Über das bereits Skizzierte hinaus entwirft Eva Labouvie in ihrer Einleitung das Untersuchungsgebiet als adelig-höfischen Kommunikationsraum und plädiert für eine neue Kulturgeschichte des Adels im Saargebiet. Es gelte, in Zukunft neben den "klassischen Aspekten" stärker die "weniger spektakulären", "alltäglichen" und "geschlechtsspezifischen" (13) Bereiche adeliger Lebenswelten in den Blick zu nehmen und in die regionale Forschung einzubeziehen.
Ganz jenen eher alltäglichen Komponenten adeliger Kultur wendet sich so auch Fréderique Ragazzi zu, der die Architektur und Wohnkultur an den lothringischen Höfen des 18. Jahrhunderts untersucht. En détail rekonstruiert er die Interieurs und Parkanlagen der verschiedenen Residenzen und Lustschlösser der lothringischen Herzöge und nimmt den Leser gewissermaßen an die Hand zu einer Art "Besichtigung" jener opulenten Monumente architektonischer Herrschaftsrepräsentation. Seine Ausführungen bleiben dabei leider nahezu rein deskriptiv, während teils wenig objektive Bezeichnungen ("wunderschöne Dekoration" (23), "schöne Vasen" (22) usw.) genauso irritieren wie eine unreflektierte Verwendung des Begriffs "privat". Ganz unterschiedliche Bereiche adeliger Repräsentationen von Haus und Familie, die jedoch oft eng zueinander in Bezug standen, analysiert demgegenüber S. Tofall am Beispiel der nassau-saarbrückischen Fürstenfamilie, der Herzöge von Pfalz-Zweibrücken sowie des reichsgräflichen Geschlechts der von der Leyen. In vergleichender Perspektive vermisst sie die Spielräume adeliger Selbstdarstellung und Herrschaftsrepräsentation zwischen Konvention und individueller Inszenierung, wobei es ihr gelingt, etliche Kontinuitäten und Diskontinuitäten herauszuarbeiten. Gleichzeitig unterstreichen ihre Befunde die große Bandbreite (hoch-)adeligen Selbstverständnisses im Verlauf des 18. Jahrhunderts, das sich in symbolisch-allegorischer Form insbesondere auch in Grabstätten und Leichenpredigten äußerte. Der sich noch "posthum" als aufgeklärter Souverän gerierende Wilhelm Heinrich von Nassau Saarbrücken (1718-1768) stehe so z.B. in diametralem Gegensatz zu Christian IV. von Pfalz-Zweibrücken (1722-1775), der in seiner auf Ahnenreihen und heroische Familienmemoria ausgerichteten Selbstrepräsentation noch weit stärker der "Barockzeit" (55) verpflichtet gewesen sei.
Auf den ersten Dokumentationsteil "Barocke Pracht: Residenzarchitektur und höfische Gesellschaft in der Provinz", zusammengestellt von L. Linsmayer und P. Wettmann-Jungblut, in dem v.a. Schloss- und Hoftheaterbeschreibungen, Inventare sowie entsprechende Gemälde und Zeichnungen vorgestellt werden, folgt der Beitrag von M. Bastian zu adeligem Leben in Fremd- und Selbstsichten. Anhand mehrerer Episoden aus der Regentschaft Wilhelm Heinrichs (1742-1768) und Ludwigs von Nassau-Saarbrücken (1770-1793) spürt sie der herrschaftlichen Eigenwahrnehmung genauso nach wie bestimmten Urteilen und Wertungen von außen, sei es in Bezug auf Mesaillancen, höfische Poesie und Theaterkultur bis hin zum Verhältnis zu Beamten und Untertanen. Das aus ihren Beispielen sprechende selbstbewusste Verhalten letzterer sowie die durchaus um Rechtfertigung und Verständnis bemühten Reaktionen Fürst Ludwigs halten sie allerdings nicht davon ab, diesen als "ausgesprochen absolutistisch" (142) zu etikettieren - womit sie die mangelnde Tragfähigkeit des Absolutismusbegriffs unfreiwillig einmal mehr vor Augen führt. An ihrem grundsätzlichen Ergebnis, dass Selbst- und Fremdsicht jener nassau-saarbrückischen Fürsten auf das Stärkste divergierten (151), ändert dies gewiss nichts.
Orientiert an ihrem Wirken als Reichsgräfin und Unternehmerin sowie ihrer Rolle als Regentin und "Landesmutter" zeichnet Eva Labouvie das facettenreiche Lebensbild Marianne von der Leyens (1745-1804) nach. Die vielfältigen Herausforderungen und Aufgaben, mit denen die Gräfin konfrontiert war, erörtert Labouvie im Folgenden genauso wie ihren sehr spezifischen Umgang insbesondere mit ihrer weiblichen Untertanenschaft, den sie gleichsam als Ausdruck ihrer mehrdimensionalen Selbst- und Fremdwahrnehmung als Frau, Mutter und Landesherrin wertet (168). Ihren zweifelsohne auf Ausgleich und Verständigung bedachten Herrschaftsstil macht die Autorin als ein typisches Charakteristikum weiblicher Herrschaft im 18. Jahrhundert aus. Besondere Aufmerksamkeit schenkt Labouvie zudem den weitgreifenden unternehmerischen Aktivitäten der Reichsgräfin, hin und wieder verwischen hier jedoch die Grenzen zwischen (weiblichem) adeligem Unternehmertum und obrigkeitlicher Wirtschaftspolitik.
Der zweite Dokumentationsteil, ebenfalls von Linsmayer und Wettmann-Jungblut dargebracht, lässt unter der Überschrift "Privates Leben im Blick der Öffentlichkeit. Glück und Leid am spätabsolutistischen Fürstenhof" einmal mehr die Quellen selbst sprechen, hier zuvorderst Porträts und Briefe, aber auch Ehekontrakte, Fürbitten und autobiographische Aufzeichnungen. Er leitet über zum Beitrag von S. Klein zum "Alltag bei Hofe", der sich mit dem Ehe- und Familienleben am lothringischen Herzogshof zwischen 1698 und 1766 auseinandersetzt. In chronologischer Folge typisiert und vergleicht sie dazu die drei Herzöge Leopold (1679-1729), Franz Anton Stephan (1708-1765) und Stanislas Leszczynski (1677-1766) hinsichtlich ihrer Rollen als Ehegatten, Väter und Großväter sowie ihrer Affären und Liebesbeziehungen, jeweils bezugnehmend auf die Situation an den Höfen in Lothringen, Wien und Versailles. A. Becker widmet sich zum Abschluss des Bandes schließlich noch einmal dezidiert den (hoch-)adeligen Frauen, indem er diverse Aspekte weiblicher Lebenswelten darstellt. Hierzu präsentiert er eine Vielzahl von adeligen Frauengestalten des Saar-Pfalz-Raumes - wobei er den Untersuchungszeitraum an einigen Stellen überschreitend teils bis ins Spätmittelalter zurückgreift (276f.) -, anhand derer er typisch weibliche Rollen- und Verhaltensmuster, von Ehe und Mutterschaft über Regentschaft und Witwenstand bis hin zum Mätressendasein, erläutert. Seine Befunde bestätigen dabei weitestgehend den bisherigen Kenntnisstand zur weiblichen Herrschaft und Adelskultur des 18. Jahrhunderts.
Insgesamt betrachtet gewährt der Band eine Fülle von Einblicken in die höfischen Lebenswelten des saarpfälzisch-lothringischen Hochadels und sensibilisiert zugleich für die Vorzüge einer geschlechtergeschichtlichen Perspektive der Adelsforschung. Damit erfüllt er auch den eigenen Anspruch, eine "erste Orientierung" (Einleitung, 11) in diese Richtung zu bieten. Zugleich eröffnet er, nicht zuletzt durch die zahlreichen präsentierten Quellen in den gelungenen Dokumentationsteilen, einen wertvollen Einstieg in die weitere Erforschung einer Adelslandschaft, die nicht nur durch ihre geographische (Grenz-)Lage einige ganz besondere Charakteristika aufweist. Bei einer weitgehenden Beschränkung auf hochadelige Herrscherpersonen, die z.T. bereits mehrfach im Interesse der Forschung standen, können diese freilich nur schwach umrissen werden; in vielen Fällen wird schlichtweg wenig Neues präsentiert. Demgegenüber bleiben die mannigfachen Umbruchsphänomene der "Sattelzeit" (1750-1850), unter deren Banner man hier ausdrücklich ins Feld zieht, mit ihren wirkmächtigen Implikationen und Herausforderungen gerade auch für den Hochadel ähnlich blass wie das Verhältnis zum benachbarten Frankreich. In Anbetracht eines bis 1815 reichenden Untersuchungszeitraums hätte man sich zudem einige Ausführungen zur Wahrnehmung der Französischen Revolution gewünscht, wie überhaupt zur Reaktion des lokalen Adels auf die französische Eroberung und Einverleibung weiter Teile des Untersuchungsgebiets. All dies findet allenfalls am Rande Erwähnung, die napoleonische Herrschaft bleibt völlig ausgeklammert. Auch dahingehend stößt der Band leider an seine Grenzen, doch gibt er nichtsdestotrotz wichtige Impulse und Anregungen zur weiteren Erforschung nicht nur dieser Adelslandschaft "an der Grenze".
Florian Schönfuß