Olaf Klenke: Kampfauftrag Mikrochip. Rationalisierung und sozialer Konflikt in der DDR, Hamburg: VSA-Verlag 2008, 327 S., ISBN 978-3-89965-300-7, EUR 22,80
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Bereits im Jahr 2001 hat Olaf Klenke eine lesenswerte Studie zur Geschichte der Mikroelektronik in der DDR vorgelegt. [1] Sein damaliger Hauptbefund lautete: Das nationalstaatlich angelegte Mikroelektronik-Programm scheiterte an der Globalisierung. Im vorliegenden Buch - der gedruckten Fassung der Dissertation des Autors - unternimmt er den Versuch, die sozialen Konflikte in den Betrieben der Mikroelektronik zu analysieren.
Klenke stellt einführend die außerordentliche Dimension des Mikroelektronik-Programms vor, an dem rund 400.000 Beschäftigte mitwirkten. Er analysiert knapp und treffend die Gründe für dessen Scheitern. Der Herausbildung von weltweit vernetzten Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionslinien vermochte die DDR mit ihrem auf die eigenen Ressourcen beschränkten Projekt nichts Adäquates entgegenzusetzen. Industriespionage half zwar Engpässe zu überbrücken, änderte aber nichts Grundsätzliches. Dem Autor ist zuzustimmen, wenn er die Investitionen in die Mikroelektronik im Maßstab der DDR als enorm, aber im Vergleich zu den "global players" als geringfügig einschätzt.
Im Hauptteil seiner Studie geht es um die Arbeitsbedingungen, Lohn- und Leistungspolitik und Arbeitskonflikte in Betrieben der Elektronikindustrie und ihrer Zulieferer. Das Modell des Staatskapitalismus dient ihm dabei als theoretischer Leitfaden. [2] Demgemäß standen dem Partei- und Staatsapparat die Arbeiterschaft und die Mittelschicht gegenüber. Immer wieder streut der Autor in seine Darstellung mehr oder weniger passende Marx-Zitate ein. Dies überzeugt vor allem bei der Diskussion über die Ware Arbeitskraft und die Entfremdung der Arbeit, hat aber seine Grenzen, wenn der Staat als Akteur ins Spiel kommt. Marx sah in der Festsetzung des Normalarbeitstages einen gesellschaftlichen Fortschritt. Klenke kehrt nun dieses Argument um und sieht in der Einführung von neuer Technik und des damit oftmals verbundenen Drei-Schicht-Systems in der DDR einen gesellschaftlichen Rückschritt (102). Schlüssig ist diese Argumentation nicht.
Arbeitsverhältnisse, Normen und Löhne waren Felder permanenter Konflikte. Klenke führt dafür eine Fülle von Beispielen an, wobei er nicht deutlich genug zwischen der von ihm untersuchten Branche und anderen Wirtschaftsbereichen trennt. Mögliche Besonderheiten in den Betrieben der Mikroelektronik kommen zu kurz. Eine Reihe von Befunden des Autors, wie etwa die relative Stagnation der Löhne in den 1980er Jahren und das "Einfrieren" sowie "Auftauen" der Jahresendprämie, treffen auf die gesamte Wirtschaft der DDR zu. Es hätte der Studie gutgetan, wenn sich der Autor stärker auf die drei wichtigsten Kombinate - Mikroelektronik Erfurt, Robotron Dresden und Carl Zeiss Jena - konzentriert hätte.
Klenke spannt einen Bogen vom "Fordismus bzw. Taylorismus in Rot" bis zu den Konzepten der "wissenschaftlichen Arbeitsorganisation" und "Rationalisierung in Eigenregie". Er konstatiert, dass es letztendlich nicht gelingen konnte, bei den Beschäftigten der Mikroelektronik ein ausgeprägtes Eigentümerbewusstsein zu entwickeln. Stattdessen dominierten auch in dieser Branche hierarchische Strukturen und es kam in den 1980er Jahren zu einem dramatischen Verfall der Arbeitsdisziplin. Die Grenzen des betrieblichen Konfliktmanagements werden überzeugend an den Beispielen der Einführung neuer Grund- und Produktivlöhne und dem Streit ums 13. Monatsgehalt demonstriert. Zu den wichtigsten Erkenntnissen des Autors gehören: Das Lohnniveau in den Betrieben der Mikroelektronik hob sich nicht vom allgemeinen Lohnniveau in der Industrie der DDR ab; die angestrebte Lohndifferenzierung blieb in Ansätzen stecken; in den industriellen Beziehungen zwischen SED und Staatsapparat auf der einen und der Arbeiterschaft auf der anderen Seite etablierte sich ein Patt.
Im letzten Teil seines Buches analysiert der Autor Konflikte, Proteste und den revolutionären Umbruch 1989/90. Offen bleibt die Frage, ob es einen umgekehrten Zusammenhang gab zwischen dem Grad der technischen Modernität und den sozialen Privilegien und der Bereitschaft, sich an den revolutionären Ereignissen zu beteiligen. Jörg Roesler hat diese Frage bejaht, Olaf Klenke bleibt demgegenüber skeptisch.
Anzumerken sind noch einige kleine Fehler: Ungefähr jeder achtzigste DDR-Bürger wurde 1983 aus disziplinarischen Gründen entlassen und nicht, wie der Autor schreibt (197), jeder Achte. Die Wismut wurde nicht als "Gemeinschaftsbetrieb" von der Sowjetunion nach dem Krieg ins Leben gerufen (155), sondern gehörte bis Ende 1953 vollständig der UdSSR; erst 1954 wurde die gemischte Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft Wismut gegründet.
Dem Resümee des Autors ist zuzustimmen: Der DDR gelang es weder, die mikroelektronische Revolution technisch noch sozial zu bewältigen. Den entscheidenden Unterschied der Leistungspolitik in der DDR gegenüber dem Westen sieht Klenke darin, dass ein arbeitsdisziplinarisches Druckmittel, in Form der Arbeitslosigkeit fehlte. Im Vergleich zur fast schon inflationären Zahl von Projekten zur DDR-Geschichte, die sich mit der politischen Geschichte befassen, stehen Untersuchungen des betrieblichen Alltags nicht eben hoch im Kurs. Es bleibt zu hoffen, dass Klenkes Buch weitere Historiker dazu anregt, sich auch den hier diskutierten Fragestellungen zuzuwenden.
Anmerkungen:
[1] Olaf Klenke: Ist die DDR an der Globalisierung gescheitert? Autarke Wirtschaftspolitik versus internationale Weltwirtschaft - am Beispiel der Mikroelektronik, Frankfurt am Main 2001.
[2] Heike Solga: Auf dem Weg in eine klassenlose Gesellschaft? Klassenlagen und Mobilität zwischen Generationen in der DDR, Berlin 1995.
Rainer Karlsch