Kornelia Imesch / Jennifer John / Daniela Mondini u.a. (Hgg.): Inscriptions/Transgressions: Kunstgeschichte und Gender Studies (= Kunstgeschichten der Gegenwart; Bd. 8), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2008, 317 S., ISBN 978-3-03911-308-8, EUR 49,60
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Die Bandbreite, Qualität und Ausrichtung kunstgeschichtlicher Geschlechterforschung der letzten Jahrzehnte lässt sich beispielhaft an den unregelmäßig, aber dennoch kontinuierlich erschienenen Tagungsbänden der Kunsthistorikerinnen-Tagungen seit 1982 ablesen. [1] Auch die hier besprochene Publikation verortet sich in dieser Tradition und belegt aufs Neue die Aktualität und Anschlussfähigkeit geschlechtertheoretischer Fragestellungen in der Kunstgeschichte. Die in deutscher, französischer und englischer Sprache verfassten Aufsätze des Sammelbandes gehen größtenteils zurück auf Vorträge, die anlässlich der 2005 von der Vereinigung der Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker der Schweiz (VKKS) in Zusammenarbeit mit dem Institute for Cultural Studies der Zürcher Hochschule der Künste sowie dem Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft (SIK) veranstalteten Jahrestagung gehalten wurden. Einige zusätzliche Essays sind hinzugekommen; allen Beiträgen ist eine kurze englische Zusammenfassung beigefügt.
Den Auftakt des Bandes bildet Sigrid Schades kritische Auseinandersetzung mit den Bildwissenschaften, jenem in unserem Fach seit einigen Jahren begonnenen Diskurs um die Erweiterung traditioneller kunsthistorischer Gegenstandsbereiche und Methoden. Was zunächst wie eine wenig überraschende statistische Beobachtung wirken mag - nämlich die Tatsache, dass in den sich erfolgreich institutionalisierenden Bildwissenschaften Wissenschaftlerinnen chronisch unterrepräsentiert sind - , bildet den Ausgangspunkt für eine berechtigte inhaltliche Kritik. Durch das systematische Ausblenden gendertheoretischer Ansätze innerhalb der Bildwissenschaften scheinen die dort diskutierten Fragen nach der Differenz von Bild und Text, nach der Auseinandersetzung mit außerkünstlerischen Visualisierungen und nicht zuletzt nach dem Verhältnis von Körper und Repräsentation erstmals an die Kunstgeschichte herangetragen worden zu sein. Tatsächlich aber haben, wie Schade darlegt, diese Fragen in der kunsthistorischen Geschlechterforschung bereits eine längere Geschichte. Zentrale Beiträge der Bildwissenschaft jedoch nehmen diese kritische Forschungsgeschichte systematisch nicht zur Kenntnis.
Dieser Umstand lässt sich beispielhaft an Maike Christadlers Aufsatz "Kanonische Geschichten: Künstlerinnen-Viten zwischen den Feminismen" zeigen. Er liest sich wie eine kritische Ergänzung zur auf dem Marburger Kunsthistorikertag 2009 geführten Debatte um Kanon und Kanonisierungen - nur, dass Christadlers Beitrag bei Stattfinden der Konferenz bereits erschienen war. Auch in Marburg vermisste die Rezensentin, die vortragende Teilnehmerin des Kunsthistorikertags war, eine informierte Rezeption feministischer Kunstgeschichte jenseits einzelner Spezial-Sektionen. [2] Denn wie durch die Lektüre von Christadlers Beitrag noch einmal deutlich wird, profitiert das kritische Durchdenken der Kanonkategorie von einer geschlechtertheoretischen Perspektive. Christadler belegt am Beispiel der Rezeption der Arbeiten Sofonisba Anguissolas über einen Zeitraum von über sechzig Jahren die kanon-konstituierende Funktion kunsthistorischer Deutungsgeschichten. Neben der sexistisch gefärbten Abwertung von Anguissolas Können in der italienischen Kunstgeschichte der 1930er-Jahre steht der Versuch einer feministischen Aufwertung der Künstlerin in den 1990er-Jahren. Beide Lesarten sind, so Christadler, Teil interessengeleiteter Kanonisierungen, weil es eine 'reine' Interpretation nicht geben kann. Unter Verweis auf semiologische Ansätze plädiert Christadler daher für eine kritische Auseinandersetzung mit Effekten und Konstruktionen des Kanons, die sich nicht auf den Nachweis vermeintlich leicht zu korrigierender Ausschlüsse beschränkt. Vielmehr bekräftigt sie erneut die Forderung kunsthistorischer Geschlechterforschung, das "Gendering" kunsthistorischer Kanonbildung in seinen zentralen Kategorien wie 'Qualität', 'Kreativität', 'Kennerschaft' etc. stärker zu berücksichtigen.
Den Aufsätzen von Schade und Christadler, die aus zwei Perspektiven sehr überzeugend die Berücksichtigung der Kategorie Geschlecht innerhalb von Kunstgeschichte und Bildwissenschaft einfordern, folgen Beiträge, die ein großes Feld kunsthistorischer Gegenstandsbereiche verhandeln: Vom wissenschaftsgeschichtlichen Blick auf den schweizerischen Kunstbetrieb seit 1970 (Kornelia Imesch), einer Analyse zum Stand der kunsthistorischen Geschlechterforschung in der Schweiz (Séverine Sofio), den methodischen Fallstricken feministischer Künstlerinnenforschung (Rachel Mader), der Produktion von Geschlechterdifferenz in der ästhetischen Moderne (Griselda Pollock) und im 16. und 17. Jahrhundert (Frédérique Villemur), Geschlechterdiskursen im Ausstellungswesen (Jennifer John) über männliche Subjektivität in der Frühen Neuzeit und der Gegenwartskunst (Marianne Koos, Sigrid Adorf, Elvan Zabunyan, Donatella Bernardi, Peter Stohler, Judith Halberstam) bis hin zur Kunstausbildung (Catherine Quélioz / Liliane Schneiter) reicht das Spektrum.
Gerade die auf den ersten Blick disparaten Einzelbeiträge belegen, dass die Frage nach der Kategorie Geschlecht nicht auf ein Teilgebiet des Faches beschränkt bleiben kann. Vielmehr wurde mit ihr eine ausdifferenzierte Forschungsperspektive entwickelt, die nicht zuletzt die Kunstgeschichte als interdisziplinären Diskurs befördert.
So durchbricht beispielsweise Marianne Koos in ihrem Aufsatz "Die Lust am Leid - Spielformen männlicher Subjektivität in der Kunst der Frühen Neuzeit wie der Gegenwart" die methodische Separierung von älterer und gegenwärtiger Kunst und reichert weit gespannte ikonologische Verknüpfungen mit Fragen nach deren geschlechterpolitischen Implikationen an. Im Vergleich selbstverletzender Performances der 1970er-Jahre mit Darstellungen des verletzten männlichen Körpers in der Malerei der Renaissance kann sie zeigen, wie in beiden Fällen - auf je unterschiedliche Art und Weise - der visuellen Verletztheit und Verletzlichkeit des männlichen Körpers semantische und mythische Erhöhung entgegengesetzt wird.
Dem Titel entsprechend bietet der vorliegende Band somit eine Vielzahl an lesenswerten Einschreibungen und Überschreitungen tradierter kunsthistorischer Methoden und Deutungen. Darüber hinaus beansprucht er nicht zuletzt durch die konsequent durchgehaltene Dreisprachigkeit eine dezidiert internationale Perspektive.
Anmerkungen:
[1] Zuletzt: Susanne von Falkenhausen / u.a. (Hgg.): Medien der Kunst. Geschlecht, Metapher, Code. Beiträge zur 7. Kunsthistorikerinnentagung in Berlin 2002, Marburg 2004.
[2] Die Beiträge aus der Sektion "Die Rolle der feministischen Theorie in der kunsthistorischen Kanondebatte" sind veröffentlicht in: FKW. Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur 48 (Dezember 2009), hg. von Gabriele Werner.
Anja Zimmermann