Stephen Salkever (ed.): The Cambridge Companion to Ancient Greek Political Thought, Cambridge: Cambridge University Press 2009, IX + 380 S., ISBN 978-0-521-68712-6, EUR 19,99
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'The Cambridge Companion to Ancient Greek Political Thought' setzt sich ein anspruchsvolles Ziel: Die zwölf Beiträge des Sammelbandes sollen die vorgestellten antiken Texte sowohl in deren historischen Kontext einordnen als auch für zeitgenössische Theoriedebatten aufbereiten. Solche Versuche, antike politische Vorstellungen und Praktiken zu modernen in Beziehung zu setzen und mit diesen zu vergleichen, sind in den letzten Jahren von Seiten der althistorischen Forschung schon häufig unternommen worden. [1] Doch wie der Herausgeber Stephen Salkever in seiner Einleitung zu Recht anmerkt, erscheint "a healthy counterbalance to the strong 'modernist' bias of some influential modern political philosophers, such as John Rawls and Jürgen Habermas" (2) nach wie vor geboten.
Besonders gelobt werden muss vor diesem Hintergrund das Bemühen des Herausgebers sowie der Autorinnen und Autoren, auch Texte und Denker jenseits der 'Klassiker' Platon und Aristoteles zu berücksichtigen. Trotzdem mutet die Gewichtung der besprochenen Autoren etwas willkürlich an: Während Homer und die attischen Tragiker in jeweils einem Beitrag behandelt werden, befassen sich mit Thukydides zwei (einer davon bezieht auch Herodot mit ein), mit Platon drei und mit Aristoteles zwei Aufsätze. Den Abschluss des Bandes bilden drei Beiträge, in denen die Geschichte politischer Ideen und Konzepte über einzelne Denker hinausgehend nachgezeichnet wird.
Es muss jedoch kritisiert werden, dass kein einziger Sophist - und auch nicht 'die Sophisten' insgesamt - eine genauere Betrachtung erfährt und dass die Aufsätze zu Einzelpersonen den Eindruck erwecken, dass das antike politische Denken schon mit Aristoteles an sein Ende gekommen sei. [2] Begrüßenswert ist demgegenüber, dass zumindest die attische Tragödie (A.W. Saxonhouse, 42-64) und die häufig von der politischen Philosophie ignorierte aristotelische Athenaion Politeia (J. Frank und S.S. Monoson, 243-270) jeweils ein eigenes Kapitel erhalten.
Auffällig ist, dass die Aufsätze unterschiedliche Darstellungsabsichten verfolgen. So bemühen sich einige mit bemerkenswertem Erfolg, einen allgemeinen Überblick zum behandelten Werk und zur Forschungsdiskussion zu bieten. An dieser Stelle seien vor allem Dean Hammers Aufsatz zum politischen Denken in den homerischen Epen (15-41) sowie die Beiträge zu Platons Politeia (D. Roochnik, 156-177) und Politikos (C.H. Zuckert, 178-208) genannt. Hierzu gehören auch der Überblicksartikel von Ryan K. Balot (271-300) zur individualistischen, freiheitlichen und egalitären politischen Tugendvorstellung der athenischen Demokratie, ein Beitrag zur Frage nach der Existenz von Individual- und Menschenrechten in der Antike (F.D. Miller, Jr., 301-330) und Eric Browns breite Darstellung der Idee eines Naturgesetzes von den Vorsokratikern bis zu den Stoikern (331-363).
Andere Aufsätze konzentrieren sich hingegen auf die Erörterung mitunter sehr spezieller Detailaspekte. Das reicht von Stephen Salkevers Vorschlag, Aristoteles' Nikomachische Ethik und Politik als einen einzigen Text zur Frage des 'guten Lebens' zu lesen (209-242), über Susan Bickfords Aufsatz zum platonischen Sokrates, der nicht nur das destruktive Ziel verfolgt habe, die Meinungen seiner Mitmenschen zu erschüttern, sondern sie vor allem zur kritischen Selbstreflexion habe inspirieren wollen (126-155), und Gerald Maras Beitrag zur Beziehung zwischen Reden und Taten bei Thukydides (96-125) bis hin zu Nora Thompson (65-95), die Solon beziehungsweise Perikles als Schlüsselfiguren in Herodots beziehungsweise Thukydides' Geschichtswerk identifiziert.
Anzumerken ist, dass eine Auseinandersetzung mit nicht-englischsprachiger Literatur weitgehend unterbleibt; in den Fußnoten werden fremdsprachige Texte nur dann berücksichtigt, wenn von ihnen Übersetzungen ins Englische vorliegen. Die angekündigte Bezugnahme auf die aktuelle politische Theorie und Praxis wäre zudem sicherlich an vielen Stellen möglich, wird aber nicht von allen Autorinnen und Autoren geleistet. Ebenso wenig gelingt es ihnen immer, die praktische Dimension politischen Denkens hinreichend auszuloten. Die Einbeziehung der politischen Praxis ist jedoch unabdingbar, wenn man, wie es Stephen Salkever in der Einleitung ankündigt, zeigen will, "how these texts speak to us indirectly, that is, through their response to the arguments and events of ancient Greek political life" (2).
Die Schwierigkeiten liegen im Politikverständnis der Autorinnen und Autoren begründet: An Stephen Salkever (3) anknüpfend, betrachten insbesondere Susan Bickford (153), Gerald Mara (97), Jill Frank und S. Sara Monoson (257) im Anschluss an Hannah Arendt die kritische Reflexion des eigenen Handelns als Gegenstand politischen Denkens. Ein unbestreitbarer Vorteil dieser Begriffsbestimmung besteht darin, dass sie es gestattet, Politik nicht lediglich als administrative Exekution von Entscheidungen anzusehen. Dies erscheint aufgrund der zentralen Bedeutung der ergebnisoffenen Deliberation und der freien Debatte für das politische Leben der griechischen Antike durchaus angemessen.
Trotzdem erweist sich dieses Politikverständnis als problematisch. Es besteht die Gefahr, Arendts Politikbegriff so zu verkürzen, dass Politik lediglich als Sprechakt erscheint, der sich bereits im Reflektieren und Debattieren erschöpft. Exemplarisch für eine solche Überordnung des Räsonnements über die politische Praxis kann Gerald Maras Urteil über Thukydides' Schilderung des Perikles genannt werden: "In offering the basis of an appreciative but critical assessment of Pericles, Thucydides performs an exercise in political thought that is less directive and more discursive; indeed, one that ist potentially more democratic" (116) als jenes des Perikles. Thukydides' historiographische Darstellung des demokratischen Politikers Perikles wäre demnach demokratischer als dieser selbst. Daraus muss man paradoxerweise folgern, dass für Mara das bloße Reden über Politik politischer ist als die politische (Rede-)Praxis mit all ihren unmittelbaren Auswirkungen.
Eine politische Ideengeschichte, die die praktische Dimension des Politischen und damit auch des politischen Denkens ausblendet, bleibt jedoch unvollständig und einseitig. Sie verkennt den Praxisbezug politischen Denkens und lässt dessen historischen Kontext, der immer auch durch gegebene Handlungszusammenhänge geprägt ist, außer Betracht. Trotz dieser Defizite bietet der vorgestellte Sammelband einige interessante, auch zum Widerspruch anregende Artikel, die eine Mischung zwischen allgemeiner gehaltenen Einführungen und voraussetzungsreicheren Untersuchungen zu spezielleren Fragestellungen darstellen.
Anmerkungen:
[1] Als relativ willkürlich herausgegriffene Beispiele seien etwa genannt: Biancamaria Fontana (ed.): The Invention of the Modern Republic, Cambridge 1994; Fergus Millar: The Roman Republic in Political Thought, Hanover / London 2002; Wilfried Nippel: Mischverfassungstheorie und Verfassungsrealität in Antike und früher Neuzeit, Stuttgart 1980; Ders.: Antike oder moderne Freiheit? Die Begründung der Demokratie in Athen und in der Neuzeit, Frankfurt am Main 2008; Josiah Ober: Democracy and Knowledge. Innovation and Learning in Classical Athens. Princeton/Oxford 2008; Loren J. Samons II: What's Wrong with Democracy? From Athenian Practice to American Worship, Berkeley u.a. 2004.
[2] Eine vollständigere, dabei aber gezwungenermaßen eher lexikalische und weniger originelle Darstellung bieten Christopher Rowe / Malcolm Schofield (eds.): The Cambridge History of Greek and Roman Political Thought, Cambridge 2000.
Katarina Nebelin