Steffen Bender: Der Burenkrieg und die deutschsprachige Presse. Wahrnehmung und Deutung zwischen Bureneuphorie und Anglophobie 1899-1902 (= Krieg in der Geschichte (KRiG); Bd. 52), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2009, 294 S., ISBN 978-3-506-76714-1, EUR 39,90
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Im Schatten des Ersten Weltkrieges sind die militärischen Auseinandersetzungen, die vor 1914 außerhalb Europas oder an der europäischen Peripherie stattfanden, von der deutschen Geschichtsforschung oft übersehen worden. Dabei hatten etwa der russisch-japanische Krieg von 1904/5 oder die beiden Balkankriege 1912 und 1913 enorme Bedeutung nicht nur für die Entwicklung moderner Kriegführung und die von den politischen Eliten formulierten geostrategischen Interessen der Großmächte, sondern auch für die Weltsicht breiterer Bevölkerungskreise, die von derartigen Konflikten aus der Presse erfuhren.
Dem letztgenannten Aspekt widmet sich Steffen Benders Dissertation, die im Rahmen des Tübinger Sonderforschungsbereichs "Kriegserfahrungen" entstanden ist. Am Beispiel des Krieges, den das Britische Empire von 1899 bis 1902 gegen die südafrikanischen Buren führte, analysiert sie, wie die deutsche Presse den Konflikt dargestellt und interpretiert hat. Ähnlich wie die ebenfalls am Tübinger SFB entstandene Arbeit von Florian Keisinger über die Balkankriege untersucht Benders Studie die Berichterstattung von Medien, deren Erscheinungsland nicht selbst am Krieg beteiligt war. Anders als Keisinger, der die öffentliche Meinung in Deutschland, England und Irland miteinander vergleicht, beschränkt sich Bender weitgehend auf das Deutsche Reich; die Einbeziehung der österreichischen Presse, von der sich der Autor "einen Prüfabgleich und eine Außensicht verspricht" (19), liefert keine wesentlichen Zusatzerkenntnisse.
Bender ist zu Recht skeptisch, was quantifizierbare Größen wie die Auflagenhöhe von Zeitungen über die öffentliche Wirkung bestimmter Presseorgane aussagen können. Stattdessen nimmt er eine qualitative Inhaltsanalyse von zwanzig Tageszeitungen und zwölf Zeitschriften vor, die er drei politischen Lagern zuordnet: einem konservativ-nationalistischen, einem liberalen und einem sozialdemokratischen. So einleuchtend diese methodische Grundentscheidung ist, bringt sie doch Probleme mit sich. Zum einen bleibt unklar, welchem Lager die Presse des katholischen Sozialmilieus zuzuordnen ist. Zum anderen verführt der Verzicht auf eine Gewichtung der Blätter nach ihrer Auflage dazu, politisch radikal auftrumpfende Publikationen des nationalistischen Lagers überzubewerten, auch wenn sie wie die "Alldeutschen Blätter" nur einen relativ kleinen Leserkreis erreichten. Umgekehrt wird die parteipolitisch neutrale, deswegen aber nicht unbedingt meinungslose und jedenfalls auflagenstarke Generalanzeigerpresse nicht berücksichtigt.
Zunächst gibt der Autor einen Überblick über den Burenkrieg als "Medienereignis". Dazu gehört einerseits die Bureneuphorie im Kaiserreich, wie sie in der beginnenden Konsumkultur und Werbewirtschaft ihren Niederschlag fand - vom Lutschbonbon Marke "Buren-Erfrischer" bis zur "Burenwurst", die bis heute an Wiener Würstchenbuden zu kaufen ist (31). Andererseits geht es um die von britischen Zensurmaßnahmen bestimmte Infrastruktur der Berichterstattung und die damit zusammenhängende Ungewissheit über den Kriegsverlauf, die teilweise wilde Spekulationen anheizte.
Im ersten der beiden Zentralkapitel untersucht Bender die Wahrnehmung des Krieges in Südafrika: Im Deutschen Reich, so sein Ergebnis, verbreitete die nationalistische Presse das Bild eines von britischen Börsenspekulanten und Minenbesitzern aus Profitinteressen ausgelösten und mit barbarischen Methoden - wie den berüchtigten Internierungslagern - betriebenen Raubkrieges. Die Buren wurden als tapferes "stammverwandtes" Volk gesehen, das seine ehrwürdigen Traditionen und seine Unabhängigkeit gegen eine hochindustrialisierte Imperialmacht verteidigte. Gegen diese Verbindung von antimodernem Germanenmythos und antikapitalistischem Englandhass drangen liberale Stimmen nur schwer durch, wenn sie dazu rieten, Deutschland solle sich nicht wegen einer engstirnig an vormodernen Bräuchen festhaltenden Gruppe von Bauern mit der Weltmacht England anlegen, zumal das Reich in Südafrika keine eigenen nationalen Interessen verfolgte. Die sozialdemokratische Presse oszillierte zwischen Kritik an dem im Burenkrieg vermeintlich offenbar werdenden militanten Wesen des Kapitalismus und Vorbehalten gegen die Buren, die man für rückständige religiöse Fanatiker hielt.
Im zweiten Hauptteil geht es um die Rückwirkungen, die der medial vermittelte Burenkrieg auf die innenpolitischen Frontverläufe und die außenpolitische Strategie des Deutschen Reiches hatte. Im Einklang mit neueren Forschungen betont Bender die engen Grenzen, die der Reichsleitung bei der Presselenkung gesetzt waren. Reichskanzler Bernhard von Bülow erscheint nicht mehr als der machiavellistische Manipulator der deutschen Öffentlichkeit, als den ihn etwa noch Peter Winzen in seiner Studie über "Bülows Weltmachtkonzept" gedeutet hatte.
Vielmehr verfolgte die Reichsleitung in Benders Interpretation einen Zickzack-Kurs. Einerseits versuchten Kaiser Wilhelm II. und seine Berater, die Anglophobie der deutschen Bevölkerung im Interesse der Agitation für eine vergrößerte deutsche Flotte anzuheizen, um das zweite Flottengesetz im Sommer 1900 durch den Reichstag zu bringen. Die Regierung ließ aber andererseits über ihr außenpolitisches Hausorgan, die "Kölnische Zeitung", konsequent Beweggründe für den strikten Neutralitätskurs der deutschen Diplomatie verbreiten, wobei Bender sowohl die weitgehende Wirkungslosigkeit dieser Argumente deutlich macht als auch das bisher nicht bekannte Ausmaß der Anfeindungen, dem sich die Redakteure der Zeitung als angebliche Vaterlandsverräter und Englandfreunde ausgesetzt sahen. Bülows berühmte "Granitrede" im Reichstag vom Januar 1902 interpretiert Bender als Reaktion auf den immensen öffentlichen Gegenwind, der dem Kanzler entgegenschlug. Um populär zu bleiben, sei er schließlich den öffentlichen Forderungen nachgekommen, "die verlangten, Großbritannien energisch entgegenzutreten" (252).
Leider fehlt der Studie ein Resümee, das die mediale Dimension der deutsch-britischen Entfremdung in ihrer Bedeutung gegenüber bisher stärker beachteten Faktoren wie der Flottenrüstung gewichtet. Dennoch füllt die materialreiche, flüssig geschriebene Untersuchung eine Forschungslücke. Sie geht deutlich über das hinaus, was Ulrich Kröll 1973 in der einzigen früheren Monographie zur deutschen Burenbegeisterung herausgefunden hat. Bender deutet die Presseberichterstattung über den Krieg in Südafrika als Durchgangsstadium einer umfassenderen Transformation der Öffentlichkeit im Zeitalter des Wilhelminismus, die von wachsender Anglophobie geprägt war und sich zugleich immer stärker den traditionellen Methoden staatlicher Presselenkung entzog.
Dominik Geppert