Elizabeth Irwin / Emily Greenwood (eds.): Reading Herodotus. A Study of the Logoi in Book 5 of Herodotus' Histories, Cambridge: Cambridge University Press 2007, xv + 343 S., ISBN 978-0-521-87630-8, USD 104,00
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Im Wald der Companions und Sammelbände zu einzelnen antiken Autoren noch einen freien Platz zu finden, ist schwierig geworden. Der vorliegende, hervorgegangen aus einer Tagung im Jahr 2002, soll einen "neuen Anfang in der Herodot-Forschung" setzen, indem verschiedene Gelehrte jeweils einen Logos eines herodoteischen Buches behandeln. Das ist (begrenzt) originell, aber auch willkürlich, denn die Einteilung in neun Bücher (vgl. Diod. 11,37,6) geht wohl erst auf den alexandrinischen Philologen Aristarchos von Samothrake zurück. Natürlich "gehört" der thrakische Logos (5,3-10) eher zum aufziehenden Perserkrieg als der libysche (4,168-199), aber das Hauptereignis des "fünften Buches", der Ionische Aufstand, endet erst 6,42, weswegen es sich angeboten hätte, dieses erste Drittel des sechsten Buches noch mitzunehmen.
Immerhin bemühen sich fast alle Beiträge, den jeweils zu interpretierenden Abschnitt in den größeren Zusammenhang des herodoteischen Werkes einzuordnen. In diesem Sinne kommen Themen wie Herodots Einschätzung der athenischen Politik seiner eigenen Zeit (so Irwin zu 5,1-10 über Paionen/Perinth bzw. Thrakien), die Verursachung von Ereignissen, die Charakterisierung von Personen, Herodots Humor, das Problem der Macht und der Diskurs über politische Systeme mehrfach zur Sprache. Ein zunehmendes Problem bildet mittlerweile aber der Druck, "an original thesis" zu präsentieren; er verleitet nicht selten zu Assoziationen und dem Aufspüren intertextueller Bezüge, die weit unter der Wahrnehmungsschwelle eines antiken Hörers oder Lesers gelegen haben dürften.
R. Osborne zeigt am Schicksal der Paionen (5,11-16), dass in Herodots Sicht das Einwirken einer Übermacht den Betroffenen eine Wahl auferlegte, die deren Charakter zum Vorschein brachte. - Viel an Sinnlast bürdet D. Fearn dem kurzen Abschnitt über Alexander von Makedonien auf (5,17-22); u.a. soll Makedonien eine dritte Kategorie zwischen Ost und West bilden, "challenging and deconstructing that opposition at a moment when we might have exspected it to have been established" (103). - Auf die kurze Episode, wie Dareios den potenziell gefährlichen Histiaios an seinen Hof ziehen und so entschärfen kann (5,23-27), sattelt E. Greenwood eine beziehungsreiche Studie über die metaphorische Bedeutung von Brücken bei Herodot und beim Leser. - Um narrative Übergänge geht es auch R. Munson, aber zum Glück bietet ihre Erörterung des Anfangs des Ionischen Aufstandes (5,28-38) noch mehr. Ob die Zeitgenossen oder Herodots Hörer Aristagoras und Histiaios als komische Gestalten erkennen konnten, mag aber fraglich bleiben. - S. Hornblower stellt die Dorieus-Geschichte (5,42-48) knapp und gut vor; mit Recht betont er, wie differenziert Herodot die spartanische Ordnung - auch in ihrer Entwicklung über die Zeit (vgl. 1,69) - vorstellt. - Chr. Pelling behandelt die Aristagoras charakterisierenden Kapitel (5,49-51. 54. 97), V. Grey leider nur einen Teil des so wichtigen Athen-Exkurses (5,55-69). - J. Haubold liest die Archäologie des Konfliktes zwischen Athen und Aigina (5,82-89) als Teil der für Herodots Geschichtsbild konstitutiven Fragen, welchen Anteil Götter und Menschen an der Verursachung historischen Geschehens haben. - J. Moles behandelt die antityrannische Rede des Korinthers Sokles (5,92), indem er u.a. frühere Interpretationen diskutiert und die verschiedenen Publika vorstellt. Wunderbar der Schluss: Wenigstens ein Beitrag zu diesem Band sollte doch "the reputation of the Histories as a great libertarian text" bewahren. In der Tat ist von Herodots politischer Ethik hier wie auch sonst eher wenig die Rede.
Namenssymbolismen und Räsonnieren über Herodots Konstruktion von Ethnizität prägen dann wieder den Beitrag von A. Serghidou über die Zypern-Kapitel (5,104. 108-116). Warum man schließlich zwei Fünfteln des ganzen Buches (5,76-126) einen einzigen Essay widmet, erschließt sich nicht ganz, zumal J. Henderson ("'The Forth Dorian Invasion' and 'The Ionian Revolt'") - neben interessanten Beobachtungen - auch aparte Ideen vorträgt, die nicht immer leicht zugänglich sind (e.g. 309: "The Histories are pledged to halt the march of expansionist empires right here, on the outskirts of Attica: had the Thucydidean re-match already steged ist surreal re-make, Dorian-Persian esbolê through the looking-glass? It's a mindfield.") Der Rezensent möchte nicht dafür einstehen, immer verstanden zu haben, was H. meinte sagen zu müssen. [1]
Die Kapitel des Bandes behandeln insgesamt weniger die 'traditionellen' Themen der Herodot-Forschung als vielmehr Übergänge, Assoziationen und intuitiv gesehene Beziehungen, die alles mit allem vernetzen. Den bei solchen Unternehmen sattsam bekannten Zufällen gelieferter und nicht gelieferter Beiträge dürfte geschuldet sein, dass manches fehlt und die Proportionen nicht recht stimmen. Der Stellenindex erlaubt eine auch punktuelle Benutzung. Aus dem Buch ist zweifellos viel zu lernen, aber ein höheres Maß an intellektueller Disziplin und Kenntnis nicht-englischsprachiger Literatur hätten gewiss nicht geschadet. [2]
Anmerkungen:
[1] Vgl. Donald Lateiner: CR 59, 2009, 49: "Phrases and punctuation make inadaequate sense even to native speakers. [...] The press should have spared the pulp for this essay."
[2] Vgl. Malcom Heath: G&R 56, 2009, 98: "Oblivious to the exuberance of Herodotus' narrative, many of the contributions to 'the first multi-authored collection of scholarly essays to focus on a single book of Herodotus' Histories' give the impression that reading Herodotus is a laborious decoding of perversely oblique communicative strategies."
Uwe Walter