Herman J. Selderhuis (ed.): Calvinus sacrarum literarum interpres. Papers of the International Congress on Calvin Research (= Reformed Historical Theology; Vol. 5), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008, 302 S., ISBN 978-3-525-56914-6, EUR 82,00
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Der Band dokumentiert die Vorträge, die auf dem Internationalen Calvin-Forschungskongress vom 22. bis 26. August 2006 in der Johannes a Lasco Bibliothek in Emden und der Theologischen Universiteit Apeldoorn gehalten wurden. Sachgemäß wird Calvin am Beginn in zwei Beiträgen als Bibelausleger untersucht. Peter Opitz erörtert Calvins Vorgehen als Bibelübersetzer anhand seiner Übertragungen des hebräischen Psalters (9-26). Exemplarische Untersuchungen ergeben folgenden Befund: Calvin hat die Züricher Übersetzungen (Jud, Bibliander und Pellikan) genutzt. Wichtiger jedoch sind die Straßburger Arbeiten Wolfgang Capitos und Martin Bucers, dessen Psalmenkommentar er eingehend konsultiert hat. Daher ist zum Beispiel Calvins Vertrauen in die jüdischen Bibelausleger Abraham Ibn Ezra und David Kimchi zu erklären. Auch Robert Estiennes mehrspaltige Genfer Bibeldrucke mit ihrem reichen Apparat sind von Calvin vielfach zu Rat gezogen worden. Gary Hansen behandelt die Frage, wie sich Calvin zu unterschiedlichen Varianten der "nonliteral exegesis" verhalten hat (27-36). Zwar weist Calvin vielfach allegorische Interpretationen früherer Ausleger ab, greift aber auch selbst darauf zurück, insbesondere wenn andere Bibeltexte das nahezulegen scheinen.
Wim Janses Beitrag über Calvins Abendmahlslehre entfaltet drei Thesen (37-69): Anstelle der verbreiteten summarischen Beschreibungen der Abendmahlslehre Calvins müsse der Aspekt einer Entwicklung zwischen 1536 und den letzten Formulierungen in der Institutio von 1559 und der Auseinandersetzung mit dem Lutheraner Westphal herausgestellt werden. Zum zweiten weist Janse auf die Kontextabhängigkeit der Aussagen Calvins hin, der recht flexibel auf kirchliche Entwicklungen reagiert und entsprechend unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt habe. Zum dritten sei die Annäherung an Bullinger im Vorfeld des Consensus Tigurinus von 1549 in ihrer bleibenden Bedeutung für die spätere Abendmahlslehre zu betonen.
I. John Hesselinks Beitrag "Calvin's Use of Doctrina in His Catechisms" (70-87) stellt den eigenständigen Wert der Lehre in den Katechismen heraus. Zwar wird hier in einer knapperen Form argumentiert, doch Calvin vermeidet unangemessene Simplifizierungen. Byung-Ho Moon untersucht "the Foundation of Calvin's Christological Understanding of the Law" (88-107). Um der grundlegenden und vorgängigen unio cum Christo willen werde aus der lex vivendi eine lex vivificandi. In der Folge sei es konsequent, dass Calvin den Gebrauch des Gesetzes in den Wiedergeborenen als usus praecipuus legis versteht. Weitere Aspekte der Theologie Calvins behandeln Jason Van Vliet (108-118: "'As a Son to his Father'. An Overlooked Aspect of the Imago Dei in Calvin"), Arnold Huijgen (119-130: "Divine Accomodation and Divine Transcendence in John Calvin's Theology"), Arie Baars (131-141: "'Opera Trinitatis Ad Extra Sunt Indivisa' in the Theology of John Calvin") sowie Lyle Bierma (142-148: "Baptism as a Means of Grace in Calvin's Theology. A Tentative Proposal").
Drei Beiträge vergleichen Calvin mit Luther, Johannes a Lasco und Jacques Sadolet. Thomas Kaufmann (149-171) informiert über die Forschungsgeschichte zum Thema "Luther und Calvin", geht präzise auf die methodischen Probleme einer Erörterung des Verhältnisses ein und gibt dann eigene Antworten. Insbesondere Calvins Anfänge im Gespräch mit Luther und die Urteile in der Korrespondenz werden dargestellt. Zu Recht arbeitet Kaufmann die Einheit der Reformation Luthers und Calvins heraus, ohne dass die Unterschiede übersehen werden. Akira Demura vergleicht die Kirchenordnungen Calvins und Johannes a Lascos (172-189). Die Darstellung a Lascos nimmt breiten Raum ein, wobei die Abhängigkeit seiner Kirchenzuchtkonzeption wie auch seiner Praxis des sitzenden Abendmahlsempfangs von täuferischen Traditionen nahegelegt wird. Annie Noblesse-Rocher vergleicht Calvins Römerbriefkommentar mit dem Jacques Sadolets (190-208). Dies ist insofern besonders erhellend, weil sie zeigen kann, dass Sadolets Kommentar durch einen frühen, "allgemeinen" Humanismus geprägt ist, der eine spiritualisierende Exegese im augustinisch-thomistischen und erasmianischen Sinn vertreten hat, aber auch noch auf die mittelalterliche Tradition des vierfachen Schriftsinns zurückgreift. Calvin hingegen legt den Römerbrief im Sinne eines pädagogisch orientierten Humanismus als rhetorisch konzipierten Text aus, der auch Elemente der antiken Gerichtsrede enthält und entsprechend dem sola scriptura-Prinzip Autorität beansprucht.
Sechs weitere Beiträge widmen sich mehr oder weniger präzise der Rezeption Calvins. Raymond Mentzer untersucht die Nachwirkungen der Ekklesiologie Calvins in den französischen Kirchen (209-222). Irena Backus untersucht die Bilder Calvins, die in den frühen Biografien Calvins gezeichnet werden (223-243). Bezas frühe und spätere Darstellung von 1564 und 1575, Colladons Biografie von 1565 sowie Jerome Bolsecs gegen Bezas Darstellung 1577 verfasste Schmähschrift werden charakterisiert. Frank van der Pol untersucht einen Konflikt in den nördlichen Niederlanden, der 1617 in einer gegen Calvins Irrtümer und Neuerungen gerichteten, von vier remonstrantischen Pfarrern verfassten Schrift kulminierte (244-256). Joy Kleinstuber untersucht detailliert den Vorgang des Übersetzens anhand eines Vergleichs der französischen und lateinischen Fassung der gegen Servets Irrtümer gerichteten "Defensio orthodoxae fidei de sacra Trinitate" von 1554 (257-270). Besondere Aufmerksamkeit wird der unterschiedlichen Weise, auf andere Autoren zu verweisen, geschenkt. Eine sechsseitige Auflistung dokumentiert die Varianten, eine weitere die wahrscheinlich durch Diktat zu erklärenden Eigenheiten der französischen Fassung. In-Sub Ahn stellt Calvins Nutzung der antidonatistischen Texte Augustins in seinen Auseinandersetzungen mit der römischen Kirche und den Täufern dar (271-284). Michael Bush setzt verschiedene Beispiele der Rede von der zu reformierenden Kirche ("ecclesia semper reformanda") mit Calvins entsprechenden, aber zurückhaltenden Vorstellungen in Beziehung (285-299).
Angesichts des Sachverhalts, dass viele wichtige Aspekte der Theologie Calvins eingehend erforscht sind, ist die Zusammenstellung der Beiträge zu begrüßen. Neben Untersuchungen zu teilweise sehr speziellen Fragestellungen stehen Abhandlungen zu vielfach behandelten, grundlegenden Problemen der Theologie Calvins. Hier gelingt es gleichwohl, neue Einsichten zu formulieren bzw. methodische Zugänge zu wählen (so insbesondere W. Janse und Th. Kaufmann). Ein Register würde helfen, den reichhaltigen Band zu erschließen.
Christoph Strohm