Rupert Klieber / Karl W. Schwarz (Hgg.): Österreichs Kirchen im 20. Jahrhundert. Eine Bibliographie. Unter Mitarbeit von Markus Holzweber (= Österreichische Historische Bibliographie; Sonderband 1), Graz: Wolfgang Neugebauer Verlag 2007, 429 S., ISBN 978-3-85376-179-3, EUR 78,00
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Die Inhalte der hier angezeigten Publikation liegen gut verborgen unter dem Deckmantel eines mehrfachen Warnschwellenwertes. Ein erster wird von Mitherausgeber Karl W. Schwarz in seinem Vorwort benannt: "Austriaca non leguntur" (9). Eine zweite, längst sprichwörtlich gewordene Rezeptionsblockade schwingt in dieser Formulierung bereits mit: "Catholica non leguntur". Und eine dritte Einschränkung betrifft das gänzlich unattraktive Genre der Bibliografie an sich, das im Reputationsranking der wissenschaftlichen Literatur abgeschlagen auf dem letzten Platz liegt - was allerdings nichts über den erforderlichen Fleiß der Bearbeiter und noch weniger über den tatsächlichen Gebrauchswert dieser Gattung aussagt. Eine Bibliografie ist zwar 'nur' ein Hilfsmittel, aber immerhin eines, das intelligent genutzt und dementsprechend konzipiert werden will.
Bevor auf diesen alles entscheidenden Faktor Nützlichkeit im konkreten Fall näher eingegangen wird, ist festzuhalten, dass sich die Bibliografie zur österreichischen Kirchengeschichte im 20. Jahrhundert jenen Rahmenbedingungen verpflichtet weiß, die in der internationalen kirchlichen Zeitgeschichtsforschung inzwischen Standard sind: "Kirchliche Zeitgeschichte kann nicht mehr konfessionell isoliert betrieben werden, sondern erfordert eine überkonfessionelle Betrachtungsebene, die Theologen und Historiker zur Kooperation nötigt und den Reiz des interdisziplinären Arbeitens birgt" (10). Inhaltlich vermag die Bibliografie diesen Anspruch (noch) nicht abzubilden, denn Publikationen, die ihn nicht nur postulieren, sondern auch umsetzen, haben bislang Seltenheitswert.
Formal wird dieser Vorgabe aber insofern entsprochen, als in das Verzeichnis von insgesamt 5.828 Titeln - Monografien, Sammelbände, Aufsätze, Miszellen - nicht nur Publikationen zur katholischen und evangelischen Kirchengeschichte aufgenommen sind, sondern auch zu anderen christlichen Kirchen und Religionsgemeinschaften. Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die in jeweils eigenen Kapiteln zusammengefassten Themenkomplexe "Christen - Juden - Antisemitismus" (Kap. 12, 213-236) sowie "Ökumene, interreligiöser Dialog, Freikirchen" (Kap. 13, 236-243), wobei vor allem die doch überraschend breite Forschungsliteratur zur Problematik des (kirchlichen) Antisemitismus im 20. Jahrhundert heraussticht.
Nicht nur in diesem Punkt lässt sich die Bibliografie auch als Summe der bisherigen Forschung lesen. So fällt auf, dass die österreichische Situation - im Unterschied etwa zu Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz - bislang eher selten Gegenstand international vergleichender Forschungen gewesen ist. Über die Gründe für diese Zurückhaltung kann man nur spekulieren, die religiösen Signaturen des österreichischen 20. Jahrhunderts - der lange Schatten des Bündnisses von Thron und Altar, das Experiment des "christlichen Ständestaates" 1933/34-1938 oder die spezielle Entwicklung des Laienkatholizismus - wären es jedenfalls wert, verstärkt auch in komparatistischer Perspektive analysiert und interpretiert zu werden.
Das Setting der Institutionen und Personen, in das die kirchliche Zeitgeschichte Österreichs in den vergangenen Jahrzehnten eingebettet war, ist überschaubar. Mit Bedacht hat das gemischtkonfessionelle Herausgeber-Duo die Bibliografie Erika Weinzierl gewidmet, der "Mutter Courage der österreichischen Zeitgeschichte" (Ernst Hanisch), wenngleich die damit verbundene Zuschreibung als "Gründerin" der Disziplin Kirchliche Zeitgeschichte nicht ganz zutreffend sein dürfte. [1] Gleichwohl hat Weinzierl für diese Disziplin frühe und bleibende Akzente gesetzt. Etwa mit ihrem zweiteiligen Aufsatz "Österreichs Katholiken und der Nationalsozialismus", der 1963 bzw. 1965 in der Kulturzeitschrift "Wort und Wahrheit" erschien, und mit ihrem erstmals 1969 herausgebrachten und seither mehrmals wieder aufgelegten Buch "Zu wenig Gerechte. Österreicher und Judenverfolgung 1938-1945". Wie die Profanhistoriker Weinzierl und Hanisch leisteten auch Politologen wie Norbert Leser, Wolfgang Mantl, Heinrich Schneider und Anton Pelinka wichtige Beiträge, die das Feld der kirchlichen Zeitgeschichte bearbeiteten und gleichzeitig zur allgemeinen Zeitgeschichte hin offen und anschlussfähig hielten. Ebenfalls eine wichtige Rolle für die spezielle Profilierung der kirchlichen Zeitgeschichtsforschung in Österreich spielte eine ganze Reihe historisch sensibler, kirchlich engagierter Journalisten, angefangen von Otto Schulmeister über Fritz Csoklich und Hubert Feichtlbauer bis hin zu Paul Schulmeister und Peter Pawlowsky. Wichtige Köpfe im Bereich der Theologie waren die Pastoraltheologen Ferdinand Klostermann und Paul M. Zulehner sowie die Kirchenhistoriker Maximilian Liebmann, Franz Loidl und Rudolf Zinnhobler auf katholischer, Gustav Reingrabner und Karl W. Schwarz auf evangelischer Seite. Die meisten der genannten Personen sind inzwischen im Pensionsalter, womit sich die Frage stellt, wer der kirchlichen Zeitgeschichte Österreichs in Zukunft Fragen und Impulse geben wird. Erste Anzeichen eines Generationen- und Richtungswechsels lassen sich jedenfalls erkennen, wenn im Vorwort der Bibliografie explizit auf das Geschlechtergefälle in Themenwahl und Autor/inn/enschaft hingewiesen und der kirchlichen Sozial- sowie religiösen Alltagsgeschichte ein eigenes Kapitel zugewiesen wird, obwohl der wissenschaftliche Output in diesem Segment bislang vergleichsweise gering ist.
Was die Gliederung der Bibliografie anbelangt, so ist es den Herausgebern weitgehend gelungen, "die Balance [zu] halten zwischen einer möglichst sachgerechten Klassifizierung der Literaturfülle und der Wahrung einer Übersichtlichkeit" (11), wie es Rupert Klieber in seinem Vorwort formuliert. Die Gliederung ist klar und kompakt, dort, wo es angebracht ist, wird sie ausdifferenziert, ohne zu zersplittern. Die Kombination aus chronologischen und sachlichen Abgrenzungen kann im Wesentlichen überzeugen, auch wenn etwa das 20. Jahrhundert - ganz ohne Begründung - schon 1890 beginnt. Was fehlt, ist eine Auflistung von Periodika, die gerade im kirchlichen Bereich weit verbreitet sind und alles andere als eine quantité négligable darstellen; diese Schriften sind vor allem theologie- und organisationsgeschichtlich von kaum zu überschätzender Bedeutung (z. B. theologische und religiöse Zeitschriften, diözesane Jahrbücher, Ordensmitteilungen, Pfarr- oder Vereinsblätter). Analog zum Kapitel 10.3 ("Kirchliche Standortbestimmungen") hätte man sich auch eine Auflistung von explizit kirchen- und religionskritischer Literatur gewünscht, mit dem die ausschließliche Innensicht auf die kirchliche Zeitgeschichte zumindest ein wenig konterkariert worden wäre. Und schließlich sucht man vergeblich nach einem eigenständigen Kapitel zum großen Themenfeld Seelsorge; die stiefmütterliche, nur punktuelle statt systematische Berücksichtigung dieses Schlüsselthemas dokumentiert auch die entsprechende Passage (411 f.) im ansonsten sehr umfangreichen Orts-, Personen- und Sachregister (317-429).
Formale Einwände betreffen die teilweise irritierende Binnengliederung einzelner Kapitel durch Hervorhebung von Schlüsselbegriffen in Fettdruck. Ein Kapitel, wo dies konsequent und brauchbar umgesetzt wurde, ist das Verzeichnis biografischer Schriften, in dem die Namen der porträtierten Personen in Fettdruck akzentuiert und alphabetisch geordnet sind (vgl. 58-96); weniger gelungen ist dies im Kapitel 10.2 ("Studien zu einzelnen Regionen"), wo in der alphabetischen Ordnung etwa die Schriften zu "Burgenland" und "[Diözese] Eisenstadt" ebenso auseinander gerissen sind wie zu "Steiermark" und "[Diözese] Graz-Seckau", "Oberösterreich" und "[Diözese] Linz" etc. Nicht sinnvoll erscheint die Hervorhebung von Namen und Schlagwörtern auch dort, wo damit Publikationen ohne Autoren gekennzeichnet und in die alphabetische Ordnung eingefügt werden. Zu welchen Orientierungsschwierigkeiten das führen kann, zeigt das Teilkapitel 13.4 ("Weitere christliche Denominationen und andere Religionsgemeinschaften"), bei dem nicht klar ersichtlich ist, auf welchem Prinzip der Fettdruck der einzelnen Begriffe beruht. Warum man in Kapitel 15 ("Kirchenbau, christliche Kunst und Kirchenmusik") die alphabetische Ordnung nach Autoren zugunsten eines kombinierten Sach- und Ortsschlagwortverzeichnisses aufgegeben hat, bleibt ebenfalls unklar. Bei Diplomarbeiten und Dissertationen ist nicht ersichtlich, ob es sich um theologische, philosophische oder Qualifikationsarbeiten anderer Disziplinen handelt. Vereinzelt sind Seiten (z. B. 238 bzw. 240) in alphabetische Unordnung geraten. Insgesamt wäre eine kurze Einführung in den Gebrauch der Bibliographie hilfreich gewesen.
Diese Beanstandungen sollen den Wert der angezeigten Publikation jedoch nicht über Gebühr schmälern. Alles in allem handelt es sich um ein äußerst nützliches Hilfsmittel, das in gemeinsamer Anstrengung der scientific community auch in Zukunft fortgesetzt und gepflegt werden sollte - und zwar möglichst in digitaler Form und mit entsprechend großer Nutzerfreundlichkeit (= Volltextrecherche), die eine gedruckte Ausgabe nie zu erreichen vermag.
Anmerkung:
[1] Vgl. dazu die Rezension der hier angezeigten Bibliografie von Alfred Rinnerthaler, in: KZG/CCH 21 (2008), 404-408.
Matthias Opis