Bruno Boerner: Bildwirkungen. Die kommunikative Funktion mittelalterlicher Skulpturen, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2008, 315 S., ISBN 978-3-496-01397-6, EUR 59,00
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Mit seiner als Habilitationsschrift in Dresden eingereichten, in leicht veränderter Form im Jahr 2008 erschienenen Arbeit knüpft Bruno Boerner an aktuelle fachübergreifende Fragen an nach der Funktion der Bilder, nach ihrer Wirkung, nach ihrem Nutzen; Fragen, die mittlerweile nicht nur kunsthistorische, sondern auch philosophische oder sozialpsychologische Perspektiven eröffnen.
Der von Wolfgang Kemp bereits 1984 geprägte Forschungsbegriff "Kunst im Kontext", der über die klassischen Probleme von Stil- und Werkstattfragen hinausweist, führte ja mit Martin Warnke, Horst Bredekamp, Hans Belting bereits seit den 1970er und 80er Jahren zu einer Bildwissenschaft als Schnittfläche verschiedener Disziplinen. Als Höhepunkte gelten zweifellos - jüngst erschienen - "KultBild" (2004) oder "Bilderfragen" (2007).
"Bildwirkungen. Die kommunikative Funktion mittelalterlicher Skulpturen": Ein großer Titel! Bruno Boerner leitet seine Arbeit mit einer aus dem liber miraculorum des Dominikanerinnenklosters Unterlinden überlieferten Episode ein und entwickelt aus diesem Beispiel des "Gebrauchs" der Bilder seine Fragestellung. Sein methodisches Modell, mit Zitaten von Goodman und Danto bereichert, weckt Interesse. Die Begriffe "Bildwirkungen" und "kommunikative Funktion" grenzt er im Weiteren ein und beschränkt sich auf die "Kommunikationsleistung der Bilder": Jene Eigenschaft, die zunächst als einseitig vom Bild ausgehende "Wirkung" auf den Betrachter zu sehen sei. Dass diese Bildwirkung auf den Rezipienten eine "bestimmte Einstellung" generiere oder modifiziere (8), dass sie reaktives Agieren des Betrachters stimuliere und darin eine wesentliche Sinnbestimmung im Einsatz von Bildern im späten Mittelalter überhaupt liege, will Boerner an Hand von Beispielen nachweisen. Dazu zieht er vorrangig oberrheinische Skulpturen des 12.-14. Jahrhunderts, aber auch Beispiele aus der Malerei heran.
Boerners Arbeit gliedert sich hauptsächlich in zwei Teile: Im ersten Teil untersucht er die "religiöse Skulptur" und "ihre Funktionen im 12. Jahrhundert". So erfahren die Figurenportale des Basler Münsters, der Abteikirche Andlau sowie des Westportals von Sankt Peter und Paul zu Sigolsheim eine ausführliche und stilkritisch vergleichende Beschreibung. Dabei werden besonders Fragen der Datierung und ikonografischer Besonderheiten umfassend erörtert (15-32). Daran anschließend betrachtet der Autor "Quellenzeugnisse zur Funktion mittelalterlicher Kunst". In den Aussagen Gregors des Großen, Durandus', Crispins, Bonaventuras oder Thomas von Aquins sieht er einen Beleg dafür, dass die "Geschichte der Funktionsbegründung des religiösen Bildes die Geschichte seiner Rechtfertigung" (33) sei. Mit der folgenden "Auswertung der Quellen" (42 ff.) versucht er die 'Funktion der Bilder' herauszuarbeiten. Zum einen geht es ihm um die "biblische Begründung der Bilder", die als Fortsetzung der Rechtfertigungsdebatte, dennoch aber als Grundlage für seine zweite Position, "[...] die ästhetische Funktion der Kunstwerke" (44/45) dienen soll. Nach überlieferten Aussagen zur Repräsentationsfunktion widmet sich Boerner eingehender der Auffassung der Bilder als Schrift für Ungebildete und Laien (45-48). Erst danach kommt er zur Funktion als "Memorierungshilfe", als "Gedächtnisstütze" und ab Seite 52 zur eigentlichen Arbeitsaufgabe: nämlich auf die Bildwirkung selbst. Vergleichend werden "Bilder als Auslöser von Reue", also Bilder vorgestellt, die den Betrachter zu Umkehr und Buße bewegen. Es sind Weltgerichtsdarstellungen in den Tympana romanischer Portale von Autun, Conques-en-Rouergue, Maguelone und Saint-Marcel-les-Sauzet, wobei die Auswertung ihrer Inschriften einen besonderen Raum einnimmt.
Während sich der emotionale Aspekt, die Fähigkeit der Bilder, Gemütsbewegungen bis hin zu körperlichen Reaktionen des Betrachters auszulösen, argumentativ vorwiegend auf die Quellenauswertung stützt (55-58), behandelt der Autor auf den folgenden Seiten (58-62) seine im Titel bereits angekündigte zentrale Aufgabe der "kommunikativen Funktion der Bilder", allerdings auf die beabsichtigte Lebens- und Handlungsorientierung des Rezipienten begrenzt.
In einem weiteren Schritt wird dem Leser der "intendierte Betrachter" als "Hauptadressat des religiösen Bildes" (62) nahe gebracht. Boerner glaubt, dass dem Betrachter durch eine didaktisch-strategische Bildprogrammplanung "[...] konkrete Vorbilder für eine gelungene Lebensführung [...]" (69) vor Augen geführt werden sollten. Was dann als "kommunikative Bildfunktion" verstanden sein will, versucht sein Kapitel "Bildfunktionen in der romanischen Skulptur am Oberrhein" (71-86) vor dem Hintergrund seiner Bild- und Quellenanalysen und an Hand der eigentlichen "Bild-Mitteilung" der vorher beschriebenen Portale und der Chorumgangskapitelle im Baseler Münster zu erklären.
Der zweite Teil "Sancta Simplicitas - Bildfunktionen und Laienreligiosität am Ende des 13. und zu Beginn des 14. Jahrhunderts" beginnt wiederum mit ausführlichen Beschreibungen der Westportale des Straßburger und des Freiburger Münsters (87-108); daran anschließend als Vertiefung der "Diskussion um den intendierten Betrachter" folgt ein Exkurs zur: "[...] laikalen Religiosität und ihren historischen Rahmenbedingungen" (109-138). Als wichtige und dem Arbeitstitel entsprechende Bestandteile erweisen sich darin seine Überlegungen zum Bild in Bezug auf die "neue Bußpraxis" (122-126) zu "Bildwirkungen und Gewissensurteil" (126-128) sowie zur "psychologischen Wirkkraft der Bilder" (136-138). In seinem Kapitel "Funktion und Bedeutung der Portalprogramme in Straßburg und Freiburg" gewinnt der Leser einen Eindruck von der "prägenden Wirkung der Bilder" auf das religiöse Leben und die Kunstproduktion der oberrheinischen Metropole (139-192). Schließlich führt Boerner "Skulpturen im Kircheninneren - Heilige Gräber und Vesperbilder" (193-214) und "Bildwerke in Nonnenklöstern" (215-236) in ihrer Funktion und ihrem Nutzen für die praxis pietatis der Gläubigen vor, bevor er zum Schluss und damit einer Zusammenfassung seines Vortrags kommt. Gerade diese Beispiele ermöglichen eine Vorstellung von der "Wirkung" der Bilder, war doch zuvor überwiegend von Bildwerken die Rede, die mit dem Verlust ihrer Farbigkeit entscheidende Voraussetzungen an Ausdrucksmöglichkeiten entbehren.
Die vorliegende materialreiche und überaus anschauliche Arbeit vermittelt mit wort- und detailreichen Beschreibungen eine vertiefte Kenntnis der oberrheinischen Skulptur des 12.-14. Jahrhunderts. Verdienstvoll sind dabei nicht nur die umfassende Forschungsübersicht zu den besprochenen Stücken, die Aktualisierung und gelegentliche Korrektur ihrer Datierungen und stilistischen Zusammenhänge, sondern auch die vergleichende Darstellung ihrer Ikonografie, die umfassende Deutung ihrer Bildprogramme und die Auswertung von Quellen.
Allerdings bleiben kunstwissenschaftlicher Auftrag und systemtheoretische Struktur entsprechend der im Titel eingesetzten Begriffe weit hinter ihrer Leistungsfähigkeit und enormen Tragweite zurück: Eine Aufgabe, die unter Einbeziehung jüngerer Forschungen der Philosophie und Kommunikationswissenschaften bezogen auf "Bildwirkungen", "Sprachen der Kunst" oder "kommunikative Funktion" weiterhin ansteht.
Burkhard Kunkel