Peter Baumgart / Bernhard R. Kroener / Heinz Stübig (Hgg.): Die Preußische Armee zwischen Ancien Régime und Reichsgründung, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2008, XIII + 283 S., ISBN 978-3-506-75660-2, EUR 39,90
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Der Sammelband enthält die Vorträge der 29. und 31. Jahrestagung der "Arbeitsgemeinschaft zur Preußischen Geschichte" aus den Jahren 2002 und 2004. Als zentrales Forschungsinteresse wollen die Herausgeber die "Debatte über die Stellung des Militärs in der preußisch-deutschen Gesellschaft" (VII) weiterführen. Allerdings räumen sie dabei ein, dass es sich eher um "eine Zwischenbilanz als einen Aufbruch zu neuen Ufern" (VII) handle. Der Untersuchungszeitraum umfasst die Phase von der Herrschaft Friedrich Wilhelms I. bis zur Reichsgründung von 1871.
Bereits der erste Aufsatz von Peter Baumgart über den so genannten "Soldatenkönig" Friedrich Wilhelm I. thematisiert die Beziehung von Militär und Zivilgesellschaft. Der Verfasser setzt sich kritisch mit der Behauptung auseinander, der König habe das gesamte preußische Staatswesen militarisiert. Der Monarch sei keineswegs nur auf militärische Belange fixiert gewesen. Er habe sich hingegen zu gleichen Teilen einer "Finanz-, Verwaltungs- und Heeresreform" (12) gewidmet. Wolfgang Neugebauer befasst sich sodann mit dem Verhältnis von Staatsverfassung und Heeresverfassung im Preußen des 18. Jahrhundert. Neugebauer lehnt die Vorstellung ab, es habe einen klaren Antagonismus zwischen einem zentralistischen Militärstaat und einer lokalen Ständegesellschaft gegeben. Außerdem vergleicht der Autor die Militärausgaben verschiedener europäischer Staaten im 18. Jahrhundert, woraus ersichtlich wird, dass Preußen von europäischen Standards keinesfalls abwich.
Der Frage nach einem spezifisch preußischen Militarismus geht auch Bernhard Kroener nach. Ansatzpunkt seiner Studie ist die These von Otto Büsch, Militär- und Sozialsystem in Preußen seien praktisch identisch gewesen. Laut Kroener entwickelte Büsch daraus die Vorstellung, der Nationalsozialismus sei nicht etwa ein "Betriebsunfall der deutschen Geschichte" (72), sondern füge sich ein in einen Prozess sozialer Militarisierung seit dem 18. Jahrhundert. Kroener bestreitet jedoch Büschs zentrale These der personellen Identität von Gutsherren und Offizieren. Gutsherrschaft und militärische Karriere hätten sich eher ausgeschlossen. Der Verfasser attestiert Preußen zwar eine "Verdichtung militärischer Präsenz, wie sie in den anderen großen Mächten nicht erreicht wurde" (89). Der Grad der Einbindung des Adels in die militärische Elite unterscheide sich jedoch nicht wesentlich von der in anderen europäischen Staaten. Kroeners Kritik an Büschs Preußenbild wird ergänzt durch die Untersuchung von Rolf Straubel, welcher der Frage nach einer weitgehenden Militarisierung der preußischen Verwaltung nachspürt. Auf der Basis von Archivmaterial zeigt Straubel, dass ehemalige Soldaten nur in unteren Verwaltungsrängen besonders präsent gewesen seien. Höhere Positionen hätten hingegen vornehmlich zivile Spezialisten inne gehabt. Auch könne keine Rede davon seien, dass ehemalige Militärangehörige systematisch militärische Normen in die Verwaltung eingeführt hätten.
Den Blick auf die Entwicklung im 19. Jahrhundert eröffnen zwei Aufsätze von Michael Sikora. Er widmet sich zunächst der Neudefinition des Verhältnisses zwischen Militär und Gesellschaft im revolutionären Frankreich. Im Zentrum der Diskussion habe der "Bürgersoldat als Utopie der Vereinigung von Militär- und Bürgerstand" (139) gestanden. Die französische "levée en masse" habe die "militärische Sonderexistenz" (150) beendet. Sikora betont jedoch, dass sich Militär und Zivilgesellschaft in der Folgezeit schnell wieder entfremdet hätten. Einen Grund hierfür sieht er im permanenten Kriegszustand, der eine neue "Berufskriegerkaste" (154) hervorgebracht habe. Insgesamt habe die neue französische Heeresverfassung nicht völlig mit der Praxis des Ancien Régimes gebrochen. Allerdings hätte die Republik die französische Rekrutierungspraxis modernisiert und rationalisiert, vor allem durch den Verzicht auf "ständestaatliche Rücksichten" (159). Auch im Fall Preußens sieht Sikora die Überwindung "ständestaatlicher", "auf Privilegierung und Rechtsungleichheit beruhender Strukturen" (166) als entscheidende Reformleistung. Zudem hätten die Neuerer auf eine "Verbürgerlichung des Militärs" (171) gesetzt, um die Kluft zwischen Armee und Gesellschaft zu überwinden. Eine nationale Mobilisierung sei freilich nur in einem "Ausschnitt" gelungen, da die meisten Kriegsfreiwilligen aus ungebildeten Schichten gekommen wären. Dennoch sei es zumindest ansatzweise zu einer "Versöhnung von Militär und Bürgertum" (192) gekommen.
In Sabrina Müllers Aufsatz über die Rolle der preußischen Armee während der Revolution von 1848/49 erscheint das Militär jedoch wieder als Gegenspieler der zivilen Gesellschaft. Müller behauptet freilich nicht, dass die Armee die Revolutionsbewegung geschlossen abgelehnt hätte. Einige Soldaten - vor allem Reservisten - hätten durchaus mit den Revolutionären sympathisiert. Das konservative Offizierskorps habe die Mannschaften jedoch durch "innere Führung" weitgehend unter Kontrolle gehabt. Die Revolutionsbewegung hätte die Soldaten nur als "starke Opposition", unterstützt von der "Mehrheit der Bevölkerung" (211) für sich gewinnen können. Harald Müller fokussiert schließlich die Beziehung zwischen Militär und Zivilgesellschaft am Ende des Betrachtungszeitraums. Er sieht das Septennatsgesetz von 1874 als entscheidende Abgrenzung der beiden Sphären. De facto habe dieses Gesetz eine parlamentarische Kontrolle des Heerwesens verhindert. Müller stützt sich dabei auf in der Forschung bisher weniger wahrgenommene Bestimmungen des Gesetzes. So habe dieses etwa festgelegt, dass Militärangehörige keine Gemeindemitglieder in ihren Dienstorten sein sollten.
Ähnlich ausgewogen wie der letztgenannte Beitrag fällt der ganze Sammelband aus. Die Artikel über das 18. Jahrhundert widerlegen gängige Stereotype vom "Militärstaat" Preußen. Sie zeigen einmal mehr die Problematik teleologischer Geschichtsbilder, wie der Vorstellung eines deutschen "Sonderwegs". Es wird deutlich, wie derartige Schablonen historische Fakten verfälschen können. Andererseits zeigen die Beiträge zum 19. Jahrhundert, dass es durchaus fatale Entwicklungen im Verhältnis von Armee und Gesellschaft in Preußen gab. Das Phänomen des preußischen Militarismus wird daher weder verharmlost noch verabsolutiert. Darin besteht zweifellos die Hauptstärke des Werkes. Etwas problematisch erscheint lediglich, dass die hier vorliegenden Aufsätze auf bereits vier respektive sechs Jahre zurückliegenden Vorträgen basieren. Die Literaturangaben der Beiträge befinden sich daher nicht immer auf dem neuesten Stand. Ausnahmen bilden der Aufsatz von Kroener und vor allem der zweite Artikel von Sikora. Insgesamt handelt es sich jedoch, vor allem aufgrund der ausgewogenen Gesamttendenz, um eine wertvolle Forschungs(zwischen)bilanz.
Sebastian Dörfler