Iris Berndt: Märkische Ansichten. Die Provinz Brandenburg im Bild der Druckgraphik 1550-1850, Berlin: Lukas Verlag 2007, 480 S., 78 Farb-, 806 s/w-Abb., ISBN 978-3-936872-78-1, EUR 50,00
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Das opulente Buch, das Iris Berndt jetzt im Berliner Lukas Verlag vorlegt, geht auf die jahrelange Beschäftigung der Autorin mit historischen Abbildungen von Baudenkmalen vor allem in der Mark Brandenburg zurück, einschließlich ihrer unter der Mentorschaft von Helmut Börsch-Supan entstandenen und 2002 an der Freien Universität Berlin verteidigten Dissertation. In der Dissertation "wird ausführlich argumentiert und dokumentiert, was hier [im vorliegenden Buch] in einer knappen Einführung zusammengefasst ist. Erweitert gegenüber der Dissertation ist der Katalog.", so die Autorin in ihrem mit "Danksagung" überschriebenen Vorwort. Der "knappen Einführung" (9-20) steht der Katalog mit 1930 Nummern und beinahe ebenso vielen Abbildungen gegenüber.
Iris Berndt warnt zunächst vor dem "geläufigen Irrtum", eine historische Ansicht als "wirklichkeitsgetreue Abbildung einer Örtlichkeit jener Zeit" zu betrachten, und erläutert die Arbeitsweise des Zeichners, die letztlich, um es etwas überspitzter als die Autorin auszudrücken, auf eine Manipulation der tatsächlichen Gegebenheiten nach den Interessen des Auftraggebers, des Verlegers und wohl auch nach denen des Künstlers um einer befriedigenden Bildform willen hinausläuft. Entsprechend ist weiteres Misstrauen angesagt, wenn es sich um Kopien, zeitgenössische oder spätere, handelt. Der Standpunkt, von dem aus die Ansicht dargeboten wird, ist meistens fiktiv und deshalb vor Ort nicht oder nur schwer nachvollziehbar. Das ist allerdings nicht nur der Fall, solange "imaginierte" und keine wirklichen Standpunkte gebräuchlich waren. Auch von Karl Friedrich Schinkel, von ihm sogar expressis verbis überliefert, oder von Caspar David Friedrich wurden Landschaften der Komposition unterworfen und deshalb weicht der Anblick vom "wirklichen" Standpunkt meist erheblich von dem ab, was man auf der Zeichnung oder dem Gemälde sieht.
Der Frage "Wie viele waren es einmal?" widmet sich die Autorin statistisch. Von den in den Katalog aufgenommenen 1930 Blättern konnten 141 nicht im Original nachgewiesen werden. Davon ausgehend muss selbstverständlich mit weit mehr Material gerechnet werden als erfasst ist. Hinzukommt, dass sich zahlreiche Abbildungen in Stichwerken verbergen können, die aber gemeinhin "eine bessere Chance auf Überlieferung als Einzelblätter" hatten.
Geradezu spannend ist das Kapitel "Verleger und Auftraggeber". Die Verlagsorte lagen anfangs weitab von der Mark, in Süddeutschland oder der Schweiz, in Paris oder den Niederlanden. Iris Berndt vermutet nur Frankfurt an der Oder als Ausnahme. Die Verleger schickten ihre Zeichner durch Europa. So kam Johann Stridbeck d.Ä. (1665-1714) im Auftrag des Augsburgers Jeremias Wolff nach Berlin. Nur wegen des Todes des Verlegers unterblieb die zeitgenössische druckgrafische Umsetzung des heute in der Berliner Staatsbibliothek aufbewahrten Skizzenbuchs; spätere Drucke nach Stridbeck sind im Katalog die Nummern 61 (1720/25), 291 (1820) und 302 mit Abbildung (1839). In Berlin war Johann David Schleuen (1740-1774) der erste Verleger von druckgrafischen Ansichten. Er druckte auch nach Daniel Chodowiecki (1726-1801) und Christian Bernhard Rode (1725-1797), aber größtenteils waren diese ihre eigenen Verleger. Friedrich Nicolai (1733-1811) und der Schweizer Jean Morino, beide gleichzeitig in der Brüderstraße ansässig, vertrieben ebenfalls Ansichten, darunter die von Johann Georg Rosenberg (1759-1808) und Andreas Ludwig Krüger (1743-1822). Erst im mittleren 19. Jahrhundert siedelten sich Verleger auch in den Städten der Mark an, mehrere in Brandenburg an der Havel, in Prenzlau, Schwedt und auch in Neuruppin.
Wie stand es um die Abnehmer? Zunächst waren Sammler selten. Die königliche Familie hatte zwar an italienischen und auch englischen Ansichten, nicht aber an märkischen Interesse und schon gar nicht an druckgrafischen Blättern. Eher waren Künstler an den Arbeiten interessiert. Vorlagensammlungen für die Porzellanmanufaktur sind bekannt, Friedrich Wilhelm III. schätzte die Veduten auf Porzellanschaustücken. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wurde ein Ansichtenalbum zur Subskription angeboten, es fand über 500 Abnehmer, überwiegend in der Mark. Die Preise waren unterschiedlich, Schleuen verkaufte billig, wohl aufgrund hoher Auflagen, Krüger verlangte mehr, Johann Rosenberg war ausgesprochen teuer.
Hinsichtlich der Ikonografie standen zunächst Stadtansichten hoch im Kurs, während Dorfansichten offenbar kein Thema waren. Die erste Ansicht von Frankfurt an der Oder in der Cosmographia von Sebastian Münster ist von einem Frankfurter Zeichner (Franz Friedrich ?) für Hans Rudolph Manuel Deutsch in Basel gezeichnet worden, der sie 1548 in Holz geschnitten hat. Dörfer wurden als Motiv erst durch die Romantik angeregt, stilistisch wirkte die holländische Malerei ein. Später konkurrierten Schlossansichten mit den Stadtansichten. Das Interesse an ihnen lag bei den Besitzern und Bauherren wie bei den Architekten gleichermaßen: Sie propagierten ihre Fähigkeit zum Bauen. Bautätigkeit sei der wichtigste Motor für die Anfertigung druckgrafischer Ansichten, meint die Autorin in diesem Zusammenhang und nennt Jean-Baptiste Broebes (1660-1720) und Eosander von Göthe (1669-1728). Verleger in Augsburg sorgten für die überregionale Verbreitung. Am Beispiel des Schlosses Sanssouci demonstriert Iris Berndt noch einmal den Wandel des Standpunkts: Andreas Ludwig Krüger hat auf die frontale Prospektansicht verzichtet und eine perspektivische Seitenansicht mit Staffage auf der Terrassenplattform eingeführt, wie sie später auch von Chodowiecki und nach ihm von Adolf Menzel benutzt wurde.
Am Ende stellt sich heraus: "Öffentliche Aufmerksamkeit war notwendig, um das Verlangen nach Darstellung zu wecken", sie war unterschiedlich in den Zeiten und sie war entscheidend für die Auswahl. Städte zunächst, Schlösser und Parks folgten. Die Vorlieben für Bauten und Landschaften wechselten. Chorin war durch Schinkel um 1810 zeichnerisch erschlossen und von seinen Eleven für die Druckgrafik kopiert. Lehnin blieb unbekannt, nur vier Druckgrafiken verzeichnet der Katalog. Ein letzter Boom wurde durch die Straßennetze, Postrouten und schließlich durch die Eisenbahnen ausgelöst. Es entstanden Alben mit "Ansichtsrouten". Am Ende wurden sie von fotografisch bebilderten Reiseführern abgelöst.
"Märkische Ansichten" assoziiert ähnlich klingende literarische Titel und literarisch, ja beinahe journalistisch sind die Überschriften der einzelnen Abschnitte des angenehm zu lesenden Essays, der ohne Nachweise und Anmerkungen auskommt. Dafür steht das Verzeichnis der Primärquellen und der Literatur im Anhang auf den Seiten 430 bis 479. Dem Katalog stehen Nutzungshinweise voran, Erläuterungen zum geografischen - die preußische Provinz Brandenburg in ihren Grenzen von 1815 - und zeitlichen Bereich - die Entstehung vor 1850 -, ferner zu Auswahl und Anordnung - nach den ersten Ortschaftsverzeichnissen ohne Berücksichtigung späterer Grenzveränderungen. Hier wäre es dennoch gut gewesen, die polnischen Namen der Orte in der heute zu Polen gehörenden Neumark mit zu verzeichnen oder den Verzicht zu erläutern. Berlin und Potsdam seien ausgespart (22f.), was bei 67 Seiten für Berlin und 58 Seiten für Potsdam im Katalog nicht recht überzeugt. Innenraumdarstellungen wie auch Bauzeichnungen, Grundrisse und Schnitte sollten nicht Gegenstand des Katalogs sein.
Letzteres wird der Bau- und Kunsthistoriker bedauern, sucht er doch in den historischen Blättern nach Dokumentationen gewesener Zustände. Aber er kommt dennoch auf seine Kosten. Einige Beispiele: Die drei Ansichten der Stadtkirche von Angermünde aus der Chronik von Lösener geben den Westturm, der im unteren Teil aus Granitquadern besteht, mit den charakteristischen Rissen wieder, die bei anderen Türmen gleicher Art im 19. Jahrhundert vielfach zum Abriss geführt haben. Zusätzlich lässt die Zeichnung Kat.-Nr. 5 vermuten, dass das heute steinsichtige Feldsteinmauerwerk, dessen Urtümlichkeit wir so bewundern, zeitweilig verputzt war. Das Feste Haus Badingen und das Schloss Boitzenburg (Kat.-Nr.429 und 442), deren Gestalt sich nach dem 17. Jahrhundert entscheidend verändert hat, zeigen nach den Stichen von Merian von 1652 ihre mächtigen, heute weitgehend verlorenen Renaissancegiebel vor. Den Kat.-Nr. 471 und 472 "Grundriß und Prospect der auf dem Berge bei Alt-Brandenburg gestandenen Marien Kirche" von 1827 liegen die Aufnahmen des Alphonse des Vignoles von 1722 zugrunde, was leider nicht vermerkt ist. Überhaupt hält sich der Katalog mit Zusatzinformationen zurück. Zwar wird die Herkunft aus den Primärquellen genannt, nicht aber die Originale, wenn nach solchen kopiert worden ist. Die Klosterkirche Chorin von Nordwesten (Kat.-Nr.615) aus Löseners Chronik wird, obwohl nur von Johann Heinrich Strack (1805-1880) überliefert, auf eine Zeichnung Schinkels zurückgehen.
Von besonderem Wert sind natürlich die Ansichten von Gebäuden, die teilweise zerstört oder gänzlich verschwunden sind. Von der Brandenburger Marienkirche war schon die Rede. Das Schloss zu Dahme (Kat.-Nr.667) ist eine trostlose Ruine. Wichtig für die noch im Wiederaufbau befindliche Marienkirche in Frankfurt an der Oder ist Kat.-Nr. 744 mit der vollständigen Doppelturmfassade und der Einsturzbeschädigung des Südturms, der nach 1826 bis in Traufhöhe des Langhauses abgetragen worden ist. Ähnliches gilt für die Stadtkirche von Guben (Gubin) in einer der selteneren Innenstadtansichten (Kat.-Nr. 944). Diese sind, als Beispiele zu nennen wären auch die von Perleberg (Kat.-Nr. 1229) und vor allem von Prenzlau (Kat.-Nr. 1626 und 1629), insofern von besonderer Bedeutung, als nach Kriegszerstörung und Wiederaufbau die Gestaltung von Platz- und Straßenräumen historisch gewachsener Städte vielfach kaum noch zu verifizieren ist. Schade, dass von den vier verzeichneten Lehnin-Blättern nur eines abgebildet ist. Von Interesse wäre doch die seinerzeit ruinöse Klosterkirche "im gedacht vollendeten Zustand" gewesen (Kat.-Nr. 1053). Etwas einseitig ist auch die Auswahl der Ansichten von dem für die Mark, besser für die Provinz und das heutige Land Brandenburg so außergewöhnlichen Barockkloster Neuzelle (Kat.-Nr. 1149-1158).
Nicht ausreichend erscheinen dem Rezensenten auch die Ansichten von Landschlössern und Herrenhäusern, deren Erhaltung im Lande Brandenburg ja eines der größten Probleme für die Denkmalpflege darstellt.
Trotz einiger kritischer Anmerkungen bleibt das Verdienst der Publikation jedoch unbestritten. Die Ausbeute für den Kunstgeschichtler und Landeshistoriker ist bei aller Einschränkung durchaus ergiebig. Vollständigkeit ist erklärter- und zugegebenermaßen unmöglich. Die Abbildungen regen aber dazu an, auch die nicht wiedergegebenen druckgrafischen Blätter kennenzulernen und nicht zuletzt im Kunsthandel nach einem möglichen Erwerb zu trachten. Denn die Freude am Bild ist letztlich genau so groß wie das Interesse an der Dokumentation und wird durch die gut ausgewählten Farbtafeln noch einmal mehr angesprochen.
Ernst Badstübner