Dorothee Wimmer: Das Verschwinden des Ichs. Das Menschenbild in der französischen Kunst, Literatur und Philosophie um 1960, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2006, 177 S., 10 Tafeln, ISBN 978-3-496-01351-8, EUR 39,00
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Die Frage nach dem Subjekt in der Kunst wird zurzeit (wieder) viel und kontrovers diskutiert. [1] Zugleich sind autobiografische Facetten der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts in den Blickpunkt des Interesses gerückt. [2] Umso konsequenter erscheint es, den Blick nochmals zurückzuwenden, in die Epoche des "Verschwindens des Ichs". In dieser Arbeit wird anhand ausgewählter Beispiele der Pariser Aufbruch in die Postmoderne nachgezeichnet, der sich um 1960 anbahnte. Diesem Paradigmenwechsel, so die These, lag ein fundamentaler Wandel des Menschenbildes zugrunde. Die Vorstellung vom verstandeszentrierten Ich der Moderne wurde allmählich vom Bild eines heterogenen Ichs der Postmoderne abgelöst, das nur noch in "magischen" Momenten des Performativen seiner selbst bewusst zu werden vermag. Nach einem einleitenden, allgemein gehaltenen Teil folgt die klar gegliederte Untersuchung in drei Abschnitten den drei großen Themenbereichen Philosophie, Kunst und Literatur, die jeweils zwei Repräsentanten der verschiedenen Felder intensiver analysieren.
Die Einleitung führt in das Paris der vierziger und fünfziger Jahre, um die Vorgeschichte des Untersuchungsgegenstandes in den Blick nehmen zu können. Sartres Existenzialismus wird kurz charakterisiert, in groben Zügen geschichtlich verortet und bereits in Bezug zu Lacan gesetzt. Zugleich wird ein Ausblick in die Gegenwart unternommen, in der dem linguistic turn seit einem guten Jahrzehnt der iconic turn gefolgt ist.
Der erste, der Philosophie gewidmete Teil untersucht das Subjekt in den Theorien von Jacques Lacan und Claude Lévi-Strauss. Es wird genauer ausgeführt, wie Lacan die freudianische Psychoanalyse mit der synchronen Sprachforschung Saussures und der Linguistik Jakobsons zusammenführte, wodurch er den Menschen in der Signifikantenkette diskursiv zum Verschwinden brachte. Lévi-Strauss kombinierte hingegen die strukturale Methodik der Linguistik mit der Anthropologie, das Ergebnis war eine Auflösung des Menschen in der Struktur des Geistes. Betont wird am Ende des Kapitels mit Recht, dass darunter keine Zerstörung oder Auslöschung des Menschen zu verstehen ist, sondern die Aufhebung seiner Konsistenz. Indem Lacan und Lévi-Strauss danach strebten, einer universellen Sprache des Unbewussten theoretisch Ausdruck zu verleihen, lösten sie den Menschen in deren energetischer Struktur als "Subjekt des Begehrens, der Magie, ja des Wahns" (45) auf.
Der zweite, weitaus umfangreichste Abschnitt führt in den Bereich der bildenden Kunst und beschäftigt sich mit dem Subjekt in den Arbeiten von Yves Klein (Monochrome und Anthropometrien der fünfziger Jahre) und Niki de Saint Phalle (abstrakte und gegenständliche Schießbilder der frühen sechziger Jahre). Beide Künstler verbindet, und darin erweisen sie sich als gut gewählte Beispiele, ihr Umgang mit dem traditionellen Tafelbild, das von Klein immaterialisiert und von Saint Phalle zum Schuss freigegeben wurde. Außerdem betonten beide den Prozess der Bildentstehung, den teils öffentlich ausgeführten Akt des Malens, dem zugleich so weit wie möglich die individuelle Handschrift entzogen wurde. Nicht mehr bewusstes Arbeiten war ihr Ziel, sondern ein gleichsam unbewusstes Eintauchen in den Malprozess des Bildes: "Das Leben wurde als Energie verstanden, das Bild als Energieträger, der Mensch als Subjekt, das in dieser unendlichen, unbegrenzten und letztlich unbeschreibbaren Energie unfassbar ist." (106/107) Wichtig scheint jedoch der Hinweis, dass je unsichtbarer die individuelle künstlerische Handschrift wurde, die Künstler doch umso sichtbarer den Prozess des Malens mit ihrem Namen zu verbinden suchten.
Der dritte, die Literatur behandelnde Teil ist schließlich dem Subjekt im französischen Roman gewidmet, textnah diskutiert an Werken von Alain Robbe-Grillet (La jalousie, 1957) und Claude Simon (La route des Flandes, 1960). Beide kennzeichnet eine Auflösung des Erzählens jenseits einer linearen histoire, wodurch der Prozess des Schreibens, der teils sogar offengelegte Akt der Texterzeugung, an Bedeutung gewann, jedoch analog zu Klein und Saint Phalle möglichst fern der eigenen Handschrift. Auch der Romantext sollte nicht mehr bewusst gestaltet, sondern stattdessen in die Dynamik der écriture gleichsam unbewusst eingetaucht werden. Die "entgleitenden Wahrnehmungen" Robbe-Grillets wie die "zerfließenden Erinnerungen" Simons stellen in der Tat anschauliche Beispiele dar, wie die sich im Schreibprozess freisetzende Energie in den Text übertragen und der Mensch als Subjekt - der Schriftsteller ebenso wie der Leser - in dieser Energie zur Auflösung gelangen kann: "Gerade weil ich vergesse, lese ich", wird Roland Barthes in diesem Zusammenhang zitiert (145).
Die in dieser Arbeit unternommene Gegenüberstellung der grundlegenden These von der Auflösung des Subjektes um 1960 mit der zeitgleichen Auflösung des Denkens in der Philosophie (Lacan, Lévi-Strauss), der Auflösung des Malens (Klein, Saint Phalle) sowie der Auflösung des Erzählens (Robbe-Grillet, Simon) zeigt überzeugend Parallelphänomene auf, die erhellend für den gesamten Kontext sind. Die Einordnung der jeweiligen Werke in die Tradition kommt dabei allerdings etwas zu kurz. Während bei der am Beginn der Argumentation stehenden Philosophie noch ausführlicher auf die Vorgeschichte (Sartre) eingegangen wird, fehlt dies in den beiden anderen Bereichen. Bei der bildenden Kunst wird Georges Mathieu zwar erwähnt, hier wäre aber eine genauere Verortung wünschenswert gewesen, um die neuen Positionen noch klarer charakterisieren zu können.
Anmerkungen:
[1] Martin Hellmold u.a. (Hg.): Was ist ein Künstler? Das Subjekt der modernen Kunst, München 2003.
[2] Theresa Georgen / Carola Muysers (Hgg.): Bühnen des Selbst. Zur Autobiografie in den Künsten des 20. und 21. Jahrhunderts, Kiel 2006; Barbara Steiner / Jun Yan: Art Works. Autobiografie. Zeitgenössische Kunst, Hildesheim 2004.
Sabine Fastert