Robin Middleton / Marie-Noëlle Baudouin-Matuszek: Jean Rondelet: The Architect as Technician, New Haven / London: Yale University Press 2007, viii + 360 S., ISBN 978-0-300-11567-3, GBP 50,00
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Als beherrschende Figur der Ingenieurbaukunst ragt Jean Rondelet (1743-1829) aus dem Trubel und den Umwälzungen des ausklingenden 18. Jahrhunderts hervor. Sein Name ist untrennbar mit der Neugestaltung von Techniken und Verfahrensweisen des Ancien Régime verbunden. Im renommierten Jesuitenkolleg La Trinité seiner Heimatstadt Lyon wurde er in Mathematik, Griechisch, Latein wie auch in Italienisch unterwiesen. Gleichzeitig studierte er an der von Jacques-Germain Soufflot gegründeten École de dessin. Durch seinen Vater und seine Brüder kannte er das Maurerhandwerk von der Pike auf. Als Zwanzigjähriger vertiefte er in Paris seine Kenntnisse bei Jacques-François Blondel, dem berühmtesten Lehrer dieser Zeit. Nachdem er sich zunächst Restaurierungsarbeiten gewidmet hatte, nahm seine Karriere 1770 eine entscheidende Wende, als ihn Soufflot für die Baustelle der Kirche von Sainte-Geneviève, der kühnsten Kuppelkonstruktion der französischen Hauptstadt, unter Vertrag nahm. Diese Tätigkeit sollte zur wichtigsten Erfahrung seiner Laufbahn, ja zu einer fortwährenden Herausforderung werden und seine praktische wie auch seine theoretische Tätigkeit konstant und nachhaltig beeinflussen. Die Standfestigkeit des gigantischen überkuppelten Sakralbaus führte zur erhitztesten Architekturkontroverse der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und stellte Rondelet ins Kreuzfeuer von Polemiken. Um 1773/74 notierte er auf den Rändern einer Kopie von Pierre Pattes Mémoire - der die Statik der Konstruktion hartnäckig in Zweifel zog - seine Widerlegungen (Refutations), auf die er später noch häufig zurückgreifen sollte (im Anhang abgedruckt).
Soufflot, der dem Bau des Hôtel-Dieu in Lyon seinen Ruhm verdankte, sollte in Rondelet einen festen Verbündeten finden: ...a tout mon secret, je le regarde comme un autre moi-même. Seinem Inspecteur oblagen die Modelle, die im Entwurfsprozess eine entscheidende Rolle spielten, und bald offenbarte sich sein ausgezeichnetes Talent für verwaltungstechnische Aufgaben. 1771/72 stellte er sein bautechnisches Können unter Beweis, indem er die Gewölbe der Portiken mithilfe von eisernen Ankern sicherte. Während Soufflot nach immer höheren Kuppeln strebte, versuchte Rondelet 1775 in einer vergleichenden Betrachtung, sich über Konstruktion und Statik der bedeutendsten historischen und zeitgenössischen Kuppelbauten Klarheit zu verschaffen und damit die ehrgeizigen Versuche von Sainte-Geneviève auf eine solidere Basis zu stellen. Im gleichen Jahr studierte man anhand eines großmaßstäblichen Modells neue Lösungen, die 1776 als Ausführungszeichnungen vorlagen. Der kreisförmige Grundriss des dôme und seine Kolonnade sind von Saint-Paul in London inspiriert; die Konstruktion sollte aus drei Schalen gebildet sein, so wie es Leonardo einst für das Tiburio des Doms von Mailand vorgesehen hatte. Bevor es jedoch zu einer endgültigen Entscheidung kam, errichtete man im Inneren die Gewölbe der Schiffe und Querarme - sozusagen ins Blaue. Combiner legerté et solidité war das Prinzip, durch das Soufflot griechische Prototypen mit gotischer Leichtigkeit zu verbinden suchte. Nachdem man 1776 die Schalungen der Bögen abgenommen hatte und sich Risse in den Pfeilern zeigten, entzündeten sich erneut Polemiken. 1778/1779 fertigte das Bureau de M. Rondelet Schnitte der inneren Kuppel und Darstellungen von Details an, doch als Soufflot im Jahr darauf starb, stand die Vierung noch immer unter freiem Himmel.
Als Inspektor von Maximilien Brébion, dem die Verantwortung für die Baustelle übertragen worden war, versuchte Rondelet in einem weiteren Gutachten zu belegen, dass das Gewölbe der geplanten Kuppel keinerlei Druck auf Pfeiler und Mauern ausübe. Während er sich dann von April 1783 bis Dezember 1784 in Italien aufhielt und systematisch alte und neue Konstruktionsmethoden verglich, stagnierten wohl die Arbeiten in Sainte-Geneviève. Vermutlich wollte er sich auch größere Gewissheit verschaffen und so verschmolzen Vergangenheit und Gegenwart in seinem Blick auf die Monumente, deren Gesamtorganismen er ohne jegliches Interesse für ihre stilistischen Eigenheiten betrachtete, um die statische Wirksamkeit ihrer Systeme und deren Anwendbarkeit zu diagnostizieren. Ein Jahr nach seiner Rückkehr bereitete man zwölf repräsentative Zeichnungen der Kuppel vor, die geringfügig von den früheren Varianten abweichen; ein weiteres Modell erlaubte es, die Entscheidungen kritisch zu erwägen (es befindet sich noch heute in der nördlichen Sakristei). Während des Sturms auf die Bastille im Juli 1789 baute man an der äußeren Kuppel unbeirrt weiter und im Sommer des folgenden Jahres, zehn Jahre nach dem Tod Soufflots, ragte sie endlich stolz in den Himmel der gärenden Kapitale.
Nachdem die Kirche 1791 zum Mausoleum der Grands hommes dans les sciences, les lettres et les arts erklärt wurde, fielen unter der Leitung Quatremère de Quincys Umbauten an. Als außerdem immer tiefere Risse in den Pfeilern klafften, leitete Rondelet 1796 ein Team von vier Architekten und acht Ingenieuren; man wurde sich jedoch nicht einig. Um den Problemen abzuhelfen, hatten Patte und de Wailly vorgeschlagen, die Kuppel kurzerhand abzureißen und durch eine offene Säulenkolonnade zu ersetzen. 1797 verteidigte Rondelet seinen Standpunkt in einem weiteren Bericht, doch erst nachdem sich der Ruhmestempel 1806 durch Napoleons Dekret wieder in eine Kirche verwandelt hatte und Pierre-François-Léonard Fontaine, offizieller Architekt seit 1801, Rondelet und der Kaiser im Februar des gleichen Jahres die Situation in einem denkwürdigen Treffen vor Ort examiniert hatten, bahnten sich Lösungen an. Rondelet ummantelte die Pfeiler mit einer 0,60 m dicken Steinschicht und verstärkte auch die Bögen. Außerdem ergänzte er im Osten einen Portikus, der in die Krypta führte, und ab 1809 wurde schließlich auch der kostbare Marmorboden verlegt, dessen großzügiges Muster aus farbigen Platten sich harmonisch mit dem hellen Naturstein verbindet. Als Louis-Pierre Baltard 1813 an die Stelle Rondelets trat, befremdete ihn der Wechsel von sakralen und profanen Funktionen, von der Pfarrkirche übers Pantheon zur "Basilique Impériale".
Der Zusammenarbeit mit Quatremère de Quincy dankte Rondelet Erfahrungen einer rational organisierten Baustelle, wobei er sich bei den Steinmetzen und Bauhandwerkern sogar den Ruf eines Tyrannen eingehandelt hatte. Im Conseil des Bâtiments Civils, der seit 1795 die Bâtiments du Roi des Ancien Régime ablöste, erreichte Rondelets administrative Laufbahn den Höhepunkt. Es unterstand ihm nicht nur das Ressort repräsentativer Staatsbauten, des Gesundheitswesens, der Infrastruktur und Sicherheit, sondern ihm oblagen ebenfalls Gutachten finanzieller und technischer Natur über die ehemaligen königlichen Bauten: die Schlösser des Louvre, der Tuileries, von Versailles, Saint-Cloud, Rambouillet und Fontainebleau, wie auch die Werkstätten der Gobelins. Hier erfüllte sich seine bürokratische Begabung in einer Flut von Gutachten, Prüfungen, Empfehlungen und Korrekturen. Spielten Nutzbauten, die Umgestaltung konfiszierter Besitztümer, städtische Modernisierung und die Wasserversorgung eine wesentliche Rolle, so beschäftigte er sich auch mit triumphalen Achsen wie der "grande rue impériale", die die Place de la Bastille mit dem Louvre verbinden sollte. Als Inspecteur Général des Bâtiments Civils gehörte Rondelet seit 1812 einer kleinen Gruppe von Verantwortlichen an, denen die Aufsicht über 18 Départements unterstand. Im Rahmen dieser Tätigkeiten bestimmte er strengere Regeln für die Abrechnung von Bauwerken, löste das alte System der us et costumes durch präzise Angaben über Materialien und Gewichte ab und setzte größere Transparenz bei den praktischen Abläufen der Baustelle durch. Für die Ausbildung kompetenter öffentlicher Verwalter forderte er spezielle Schulen.
In der Encyclopédie Méthodique (1788-1825), für die er 176 Beiträge über die Baukunst lieferte (von Aire bis Grue), und in den fünf Bänden seines Traité théorique et pratique de l'Art de bâtir (1802-1811) flossen seine Erfahrungen zusammen und er lieferte in diesen Schriften ein kohärentes Bild seiner Vorstellung von der Entwicklung der Baukonstruktion. Die aus festen Mauern gebildeten Monumente der römischen Antike waren ihm Vorbild, während die diaphanen Wände der gotischen Kathedralen dem Ingenieur Misstrauen einflößten. Eisenverstärkungen wurden in seinem Traktat zum ersten Mal systematisch behandelt und trugen wohl auch zu seinem langen Nachleben bei. Diese Ansätze und Erkenntnisse bestimmten auch seine Lehre an der École des Beaux Arts, in der er auf materiellen, mathematischen und technischen Kenntnissen im Sinne Vitruvs aufbaute. Sie wurden von Rondelet als unverzichtbare komplementäre Erfahrung zur Entwurfslehre verstanden. Die Breite seines geistigen Horizonts verrät seine Bibliothek (2018 Bände), die außer Büchern zu Architektur, Perspektive und Steinschnitt auch Schriften Georges Cuviers umfasste, dessen Methode der zukünftigen Architekturgeschichte wichtige Impulse geben sollte. Sein Werk als entwerfender Architekt blieb schmal: ein Wohnhaus an der rue de Lille (rue de Bourbon), Entwürfe für die Kuppel der Halle au Blé und den Umbau der Madeleine in einen "Temple de la Gloire de la Grande Armée" (1806).
Der prachtvolle Band besticht durch eine Fülle von Fakten aus Jean Rondelets Leben und seiner Zeit, doch verliert sich der weitschweifige Text immer wieder in einem dichten Netz von bekannten Fakten, das den Protagonisten an den Rand drängt. Wenn etwa Brunelleschis Florentiner Kirchen von San Lorenzo und Santo Spirito als Bauten Bramantes bezeichnet werden (82), spiegelt sich darin mangelnde Kenntnis der Baukunst der Renaissance wider, die doch für Rondelet große Bedeutung besaß. Eine Bibliografie am Ende des Buches hätte den Forschungsstand überschaubarer dargestellt, ein direkterer Dialog zwischen Text und Bild die Lektüre erleichtert. Stellenweise tritt Jean Rondelet jedoch plastisch hervor und es offenbart sich das nüchtern abwägende und zuweilen pedantische Profil eines Ingenieurs, dem es immerhin gelang, zwischen zwei Epochen zu vermitteln.
Sabine Frommel