Werner Rösener / Werner Troßbach (Hgg.): Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 55 (2007), Heft 1. Themenschwerpunkt: Waldgeschichte. Wälder im Spannungsfeld gesellschaftlicher Bedürfnisse, Konflikte und Projektionen, Frankfurt/M.: DLG-Verlag 2007, 165 S., ISSN 0044-2194
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Werner Rösener und Werner Troßbach versammeln in Heft 1/2007 der Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie vier Beiträge zur Waldgeschichte.[1] Ein kurzes Vorwort charakterisiert die Disziplin Forstgeschichte. Die Herausgeber beklagen darin die lange Dominanz traditioneller Themen, wie der Entwicklung der Waldfläche, der Forstgesetzgebung oder des Waldeigentums. Sie betonen die Impulse, die die jüngere Waldgeschichte aus der Historischen Geographie im Bezug auf Siedlungsdynamiken und -praktiken und aus der Umweltgeschichte hinsichtlich der Wahrnehmung von und des Umgangs mit Ressourcen erhielt. Was die Zusammenstellung der Beiträge betrifft, verweisen die Herausgeber auf die Notwendigkeit eines interdisziplinären Zugangs zum Thema Mensch und Wald.
Rösener untersucht die Waldentwicklung im Hoch- und Spätmittelalter und endet mit den Forderungen der Landbevölkerung nach freiem Zugang zu den Wäldern während des Bauernkriegs. Für das Hochmittelalter zentral ist die Frage nach dem Anteil der Klöster und des Adels an der Besiedlung bewaldeter Regionen, der Rösener am Beispiel des Schwarzwaldes nachgeht. Prägend für die Waldgeschichte des Spätmittelalters war die Krise des 14. Jahrhunderts. Die Kleine Eiszeit und ein starker Bevölkerungsrückgang in Folge europaweiter Pestzüge führte zur Wiederbewaldung wenig produktiver Höhenlagen. Rösener beschreibt gelungen und routiniert die Entwicklung verschiedener Eigentumsformen, wie der Königsforste und Bannwälder oder der Allmend- und Markwälder. Er stellt die wichtigsten Nutzungstypen dar: den sukzessiv abnehmenden Hochwald, die Hudewälder, die der Schweinemast und der Viehweide dienten, bis hin zu Weidelandschaften, die nur locker mit Sträuchern besetzt waren. Die Waldnutzung war seit dem Hochmittelalter mit erheblichen Konflikten verbunden. Die Bevölkerungszunahme erhöhte den Druck auf die Allmenden und führte zu Auseinandersetzungen zwischen alteingesessenen Bauern, unterbäuerlichen Schichten und Neuankömmlingen. Die Dorfgemeinden standen in ständigem Streit mit den jeweiligen Grundherrn über den Zugang zu den Wäldern. Ab dem 14. Jahrhundert griffen Landesherrn vermehrt in die Waldkonflikte ihrer Untertanen ein, um ihren Herrschaftsanspruch zu stärken. Erfreulich ist der strukturierte Zugriff, der zahlreiche Akteure, ihre Interessen und Positionen unterscheidet. Leider löst sich Rösener zu wenig von der im späten 18. Jahrhundert etablierten Meistererzählung der Forstwissenschaft. Bäuerliches Handeln und Allmenden erscheinen darin als 'waldschädlich' und unkontrolliert. Bevölkerungszunahme, mangelnde Kontrolle und fehlendes Fachwissen hätten nach 1750 zu Holzmangel geführt. Erst die moderne Forstwirtschaft und ihr Prinzip der Nachhaltigkeit hätten effektive Lösungen für die Ressourcenkrise geboten. Auch Rösener spricht von "Waldverwüstung" (19), "Raubbau" (23), von "gefährlichsten Schädlingen des Waldes" (25) und von der "Waldschutzpolitik" (31) der Landesherren. Weistümer gelten nicht als Beleg für Ressourcenkontrolle, sondern als Hinweis auf Raubbau. Die implizite Folie für diese Bewertungen ist das Hochwaldideal. Diese Konstruktion des Forstdiskurses im 18. und 19. Jahrhundert kam vor allem den holzwirtschaftlichen Interessen großer Waldbesitzer entgegen.
Winfried Freitag konzentriert sich in seinen Ausführungen auf die erste Bayerische Forstordnung von 1568, geht ausführlich auf ihren Kontext ein und setzt dabei Maßstäbe im kritischen Umgang mit einer zentralen Quelle der Waldgeschichte. Eine dichte Lektüre des Verordnungstextes und die Rezeption der jüngeren Policey-Forschung lassen Freitag nicht nur die plakativen Vorgaben entdecken, die die Forschung lange Zeit als "Waldschutzpolitik" im Vorlauf der modernen Forstwissenschaft interpretierte. Er analysiert auch die Zwischentöne, die für die vormoderne Herrschaftspraxis typischen Abschwächungen und Ausnahmen, die ein Aushandeln von Normen im Alltag ermöglichten. Das "Leitthema" der Forstordnung werde "begleitet von einem ständigen Sich-Einlassen auf andere Felder, der große Wurf konterkariert durch ein häufiges Sich-Fügen in wirtschaftliche, finanzielle, soziale oder politische Sachzwänge" (45). Dass sich die zahlreichen, oft widersprüchlichen Regelungen kaum realisieren ließen, bedeutete im vormodernen Rechtssystem kein fundamentales Problem. Landesherrliche Normen dienten genauso zur Repräsentation einer 'guten Obrigkeit' wie zur Regulierung sozialer Beziehungen. Mit ihnen demonstrierte der Herzog pflichtschuldige Fürsorge für die Untertanen und die Ressourcen des Landes.
Der Kulturwissenschaftler Siegfried Becker befasst sich mit den Grundzügen der nationalsozialistischen Waldideologie. In der Weimarer Republik assoziierten völkische Autoren die 'Lebensgemeinschaft Wald' mit dem ideologischen Konstrukt einer Volksgemeinschaft, in der die angebliche Dominanz des Gesunden und Starken zum Leitprinzip wurde. Nach 1933 wurde die symbolische Um- und Aufwertung des Waldes Ziel staatlicher Großforschung, wie dem Projekt "Wald und Baum" des "SS-Ahnenerbes". Der Wald wurde Metapher für die Ziele des NS-Staats, etwa was die landschaftliche 'Germanisierung' der überfallenen Länder im Osten betraf. Eugenik und Genozid wurden mit Hilfe der Durchforstungspraktiken der Forstwirtschaft exemplifiziert. All das stellt Becker anschaulich dar und dekonstruiert die Baupläne der NS-Waldideologie. Einige Debatten, die auf Brüche, die polyzentrischen Merkmale des NS-Regimes und die Frage nach der Rezeption der NS-Ideologie in der Bevölkerung hinweisen, vermisst man. So wurde der aufwendig produzierte Film "Der ewige Wald" (1936), in dem 'germanische' Lebensformen nachgestellt und Waldpanoramen mit völkischer Propaganda präsentiert wurden, kein Hit an den Kinokassen. Hitler soll gemurrt haben, der Wald sei ein Rückzugsgebiet für schwache Völker. Ein anderes Beispiel ist die Dauerwaldpolitik, die den Mischwald propagierte und bis zum ersten Vierjahresplan 1936 durchaus Gewicht hatte, dann aber der Autarkiepolitik wich.
Der letzte Beitrag stellt ein ethnologisch-soziologisches Forschungsprojekt vor, dass die "Konstruktion eines 'nachhaltigen Gewohnheitsrechts'" in Zentral-Sulawesi (Indonesien) untersuchte. Im Jahr 2000 erhielt das im Lore-Lindu-Nationalpark gelegene Dorf Toro umfassende Management-Rechte für die umliegenden Schutzgebiete. Die Übertragung basiert auf der Revitalisierung traditioneller Nutzungspraktiken und -prinzipien durch die Dorfverwaltung und ist zugleich eng mit der internationalen Debatte um indigenous rights und local knowledge verbunden. Die Devolution, so der Ethnologe Günter Burghart, setzte den Nachweis einer gemeinschaftlich organisierten und gewohnheitsrechtlich legitimierten Besitzergemeinschaft voraus, die das jeweilige Gebiet gemeinsam organisieren und erhalten sollte. Burgharts Feldstudien belegen, dass im Zuge des Anerkennungsprozesses eine erhebliche Umdeutung traditioneller Begriffe und Praktiken stattfand. Die Dorfverwaltung reagierte auf die Rechtslage und die internationalen Gerechtigkeitsdiskurse und interpretierte die Lage vor Ort entsprechend neu. Zu Recht leitet Burghart aus dem Befund einer konstruierten 'Wirklichkeit' keine ethischen Wertungen ab. Problematisch war aber die Entscheidungsfindung vor Ort. Da die Devolution auf staatlicher Anerkennung beruhte und die Anträge unter Zeitdruck entstanden, verlor der Prozess an Glaubwürdigkeit. Nicht alle Gruppen waren eingebunden. Wegen des gemeinschaftlichen Managements der Flächen können viele der Landbesitzer keine Darlehen erhalten, für die sie ihr Land als Sicherheit angeben müssten. Investitionen werden so erschwert. Burgharts 'dichte Beschreibung' der Aneignungs- und Umdeutungsprozesse in Toro und ihrer sozialen Effekte ist für die Waldgeschichte in Europa primär methodisch interessant. Der Blick führt weg von der klassischen Perspektive der Forstgeschichte, der Ausbildung der ökonomischen, wissenschaftlichen und institutionellen Prinzipien der Forstwirtschaft, hin zu Fragen der Konstruktion sozialer Realitäten im Feld der Mensch-Umweltbeziehung. Neben den dominanten Diskursen der Forstwissenschaft um Schlüsselbegriffe wie 'Nachhaltigkeit' werden sich in historischen Konfliktquellen, wie Gerichtsakten, Aneignungsleistungen der europäischen Bevölkerung finden lassen. Dieser Perspektivwechsel kann das Bild eines monolithischen Modernisierungsprozesses korrigieren und die Handlungs- und Erfahrungsebene lokaler Akteure integrieren.
Die vier Aufsätze zeigen schlaglichtartig die Themen- und Methodenvielfalt der Waldgeschichte. In unterschiedlichem Maß regen sie neue Ansätze der Erforschung der Mensch-Wald-Beziehung an. Sie zeigen auch, dass es bei der Gestaltung von Sammelbänden oder Themenheften nicht unbedingt auf inhaltliche Engführung ankommt. Das Heft hätte jedoch profitiert, wenn die Herausgeber versucht hätten, die durchaus vorhandenen methodischen und inhaltlichen Verknüpfungen zwischen den Beiträgen zu skizzieren und ihre Bedeutung für eine Weiterentwicklung der Waldgeschichte zu prüfen.
Anmerkung:
[1] Das Heft enthält Debatten- und Rezensionsteile, die hier nicht besprochen werden.
Richard Hölzl