Maija Jansson (ed.): Realities of Representation. State Building in Early Modern Europe and European America, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2007, XIV + 237 S., ISBN 978-1-4039-7534-8, GBP 42,50
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"In most accounts of the political history of early modern Europe, kings and queens, dynastic succession, and royal decisions dominate the story [...]." (1) Mit diesem Satz beginnt die Einleitung des Bandes "Realities of Representation", und dieser Satz ist sicherlich falsch. Nur weil die Rolle der so genannten Untertanen längst thematisiert wird, weil Herrschaft, selbst der vermeintliche Absolutismus, als komplexer Aushandlungsprozess zwischen der Monarchie und anderen politischen Entscheidungsträgern beschrieben worden ist, und weil Staatsbildung schon lange nicht mehr als eine Einbahnstraße von "oben" nach "unten" gedacht wird, macht ein Projekt wie "Realities of Representation" überhaupt Sinn. Ziel des Bandes ist es, die Wandlungen der politischen Repräsentation im frühneuzeitlichen Europa und den europäischen Kolonien darzustellen. Dabei soll es um die Idee der Repräsentation ebenso wie um ihre konkreten Realisierungen gehen. Für einen Band von unter 250 Seiten ist dies ein waghalsiges Programm. Der Versuch, diesen Anspruch umzusetzen, ist völlig konventionell konstruiert: Auf eine allgemeine Einleitung folgen Studien zu einzelnen europäischen und amerikanischen Großregionen. Am Ende des Bandes stehen gleich zwei Abschlusskapitel, eine "conclusion" wie auch ein "Afterword".
Maija Janssons Einleitung enttäuscht. Die Ausführungen bleiben sehr allgemein und unscharf. Jansson setzt einem Schwerpunkt auf eine "idea" (3) von Repräsentation, die merkwürdig unberührt von infrastrukturellen Notwendigkeiten sich formierender Verwaltungs- und Steuerapparate zu existieren scheint. Es folgen dann kurze Skizzen zu den Ländern, die im Hauptteil des Bandes besprochen werden, welche in ihrem Charakter zwischen Einleitungen und Zusammenfassungen schwanken. Freilich ist der internationale Blickwinkel für die Ständegeschichte keineswegs neu. Die Öffnung der Perspektive, um die amerikanischen Kolonien einzubeziehen, ist wichtig, wenn auch nicht originell. Dass dabei die Niederlande und die Schweiz ausgespart wurden, ist angesichts ihres großen Ausnahmecharakters gerechtfertigt. Aber dass Polen und Ungarn keiner Besprechung wert sind, erstaunt. Welches oder ob überhaupt ein Konzept hinter dieser Auswahl der Regionen stand, hätte die Einleitung erklären müssen. Sie lässt die LeserInnen hier aber ebenso allein wie die Frage unbeantwortet, wie denn nun methodisch die Annäherung an die verschiedenen Gebiete gelingen soll. In der Einleitung wird festgeschrieben, dass politische Repräsentation in der Frühen Neuzeit nicht die Repräsentation der bäuerlichen Bevölkerungsmehrheit gewesen sei. Schweden stelle hier die einzige Ausnahme dar. Dass in den amerikanischen Kolonien zumindest Neuenglands die Landbevölkerung durchaus repräsentiert war, wie mehrfach - u.a. vom Rezensenten - betont worden ist, wird übersehen. [1]
Die Texte des Hauptteils bieten große Überblicke. Eine Ausnahme stellt der Artikel von Gordon Turnbull zum Konflikt zwischen James Boswell und dem Earl of Lonsdale dar, der als biografische Miniatur die allgemeineren Arbeiten von H.T. Dickinson und Paul Seaward zu England flankiert. Dickinson entledigt sich der schwierigen Aufgabe, einmal mehr das englische Repräsentationssystem darzustellen und doch eigene Akzente zu setzen, mit großem Erfolg. Er betont die lokalen Beweggründe für umstrittene Wahlen. Er bestätigt überzeugend, dass erst die Amerikanische Revolution die Idee der "virtual representation" nachhaltig in Frage stellte. Seaward stellt in seinem sehr dichten Artikel die Entwicklung der Regierungskontrolle durch das Parlament in England dar. Er zeigt, dass diese Kontrolle nicht als Kernfunktion des Parlaments gesehen wurde, sondern fast ausschließlich in Krisenphasen als eine Waffe im politischen Konflikt entwickelt wurde.
David Bell versucht in seinem Artikel, die Entwicklung der französischen politischen Repräsentation von den Generalständen über die Revolution bis in die Zeit Napoleons zu verfolgen. Er zeichnet dabei konkurrierende Typen von Repräsentation, wie man sie in der Einleitung oder im Schluss des Bandes sinnvoll hätte darstellen können. Ronald Asch befasst sich mit der Repräsentation in den geistlichen Territorien des Alten Reiches. Sein Artikel demonstriert klug und klar, wie die Repräsentationsgremien zu Bühnen adeliger Selbstdarstellung und Kommunikation wurden. Wenn der Stiftsadel Reformen blockierte, verteidigte er also nicht nur seine politischen Interessen, sondern quasi seine Identität. Jane Ohlmeyers Artikel zu den Parlamenten Irlands im 17. Jahrhunderts betont die Rolle des Amtsadels, die sie mit parallelen Entwicklungen in Frankreich vergleicht. Knud Jespersen präsentiert auf wenigen Seiten einen luziden Vergleich zwischen Dänemark und Schweden. Nach Jespersen setzte sich Schweden wegen seiner Repräsentationsstrukturen, die eine vergleichsweise große Partizipation der Bevölkerung zuließen, gegen Dänemark durch, dessen rigide, vom Monarchen kontrollierte Strukturen es erschwerten, Reserven für die Kriege um die Ostseeherrschaft zu mobilisieren. José Ignacio Fortea Pérez zeichnet nach, wie die spanischen Cortes in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ihre Funktionen an kleine Führungsgremien abgeben mussten, wobei die Städte diese Entwicklung hinnahmen.
Ramsay Cook stellt den Übergang von Neufrankreich an das britische Empire dar. Trotz erster Zugeständnisse bezüglich des Verbots der politischen Betätigung von Katholiken gab erst die Einwanderung von Loyalisten infolge der Amerikanischen Revolution den Anstoß, ein gewähltes Repräsentativorgan in Kanada einzuführen. Greene befasst sich mit den englischen Kolonien auf dem Gebiet der heutigen USA. Er beharrt darauf, es sei stets das Sinnen und Trachten der Auswanderer gewesen, in der Neuen Welt die Institutionen ihres Mutterlandes zu kopieren. Dieses Argument ist von vorn herein fragwürdig: Wie kann man durch einen Verweis auf Kontinuität und Ähnlichkeiten mit dem englischen System der volatilen und vielgestaltigen Entwicklung in den Kolonien gerecht werden? Blickt man etwa in die Neuenglandkolonien, lässt sich Greens Kontinuitätsargument klar widerlegen. Der Sinn der Auswanderung war gerade, ein neues Gemeinwesen zu konstruieren. Angesichts des Fehlens der essentiellen Bestandteile des englischen Repräsentationssystems (Adel und Landadel, d.h. Gentry, Repräsentationsprivilegien der Kirche, System von Counties und Boroughs mit jeweils unterschiedlichen Wahlberechtigungen) in Neuengland wird man festhalten dürfen, dass die Siedler durchaus erfolgreich waren.
Steve Pincus präsentiert als "Conclusion" ein konventionelles Bild der Repräsentation. Er versteht sie wesentlich als Vorläufer der demokratischen Staatsformen der Moderne. Als Erscheinungen der Frühen Neuzeit, die vollständig aus sich selbst heraus verstanden und interpretiert werden müssen, lässt er sie nicht stehen. Dieser ausgeprägte Hang zu Modernisierungsparadigmen, die man in anderen Bereichen der Geschichtswissenschaft rasch als Teleologien erkennen würde, ist in der Ständegeschichte leider noch immer zu beobachten. Pincus sucht rasch den Dialog mit John Locke und verweist auf die ökonomischen Bedingungen von Staatsbildungsprozessen. Hier sieht er das große Forschungsdesiderat, wenn er auch kurz anmerkt, ein Dialog mit der Kulturgeschichte könnte eventuell hilfreich sein. Die einschlägigen Werke, insbesondere die von Barbara Stollberg-Rilinger [2], sind ihm keine Erwähnung wert. Pincus setzt sich im Wesentlichen mit den Artikeln zur angelsächsischen Welt auseinander, ohne den Ergebnissen etwa von Asch Aufmerksamkeit zu schenken. Dass er dann der Politikgeschichte vorwirft, sich zu stark auf England zu konzentrieren, wirkt selbstironisch. Ein elaborierter und methodisch klar durchdachter Vergleich, der notwendig gewesen wäre, um die Ergebnisse des Sammelbandes zu bündeln und in Beziehung zueinander zu setzen, bleibt aus. In seinem "Afterword" erprobt auch Robert Zaller den Vergleich nicht. Wiederum lässt er Ergebnisse zur angelsächsischen Welt Revue passieren. Er problematisiert die Bedeutung des gewählten Staats- bzw. Regierungschefs vis à vis dem Parlament und stellt die Frage, wie "repräsentativ" die Volksvertretungen der Gegenwart tatsächlich sind. Die Schlusskapitel schöpfen das Potential des Sammelbandes sicherlich nicht aus.
Abgesehen von einer Ausnahme folgen den einzelnen Beiträgen kurze Literaturlisten, überschrieben teils als "Selected Bibliography" teils als "Further Readings", teils als beides. Hier hätte die Redaktion konsequenter arbeiten müssen. Das Sach-, Orts- und Personenregister ist zuverlässig. Sämtliche Karten und Schaubilder des Bandes beziehen sich auf Jespersens Artikel.
Die Beiträge des Bandes sind fast ausschließlich von hoher Qualität. Sie hätten eine besser durchdachte Einleitung mit klarem Konzept und eine ausführlichere Zusammenfassung, die sich um eine vergleichende Betrachtung der Ergebnisse bemüht, verdient. Mit "Realities of Representation" ist eine Chance, die real bestand, vergeben worden.
Anmerkungen:
[1] Johannes Dillinger: Die politische Repräsentation der Landbevölkerung. Neuengland und Europa in der Frühen Neuzeit (= Transatlantische Historische Studien; 34), Stuttgart 2008; ders.: Verfassungswirklichkeiten: Repräsentationskommunalismus in Massachusetts, Ostfriesland und Vorderösterreich, 17. und 18. Jahrhundert, in: Comparativ 14 (2004), 28-50.
[2] Barbara Stollberg-Rilinger: Einleitung: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, in: dies. (Hg.): Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? (= Zeitschrift für Historische Forschung; Beiheft 35)Berlin 2005, 9-24; dies.: Vormünder des Volkes? Konzepte landständischer Repräsentation in der Spätphase des Alten Reiches, Berlin 1999.
Johannes Dillinger